Das unkonventionelle Leben der Sarah Shahverdi
Beim Publikumswettbewerb des diesjährigen Dokumentarfilmfestivals in Leipzig gewann „Cutting Through Rocks“ - ein Film, der Emotionen weckt, als auch über die politische Situation im Iran aufklärt.
Der Dokumentarfilm ,,Cutting Through Rocks” wurde im Rahmen des diesjährigen Dokumentarfilmfestivals in Leipzig gezeigt. Die Ende-dreißig-jährige Sarah Shahverdi hat jahrelang als Hebamme ihr Geld verdient und lebt in einem Dorf im Nordwesten des Irans, umgeben von weiter, karger Landschaft. Ihr Leben ist unkonventionell, da sie seit zehn Jahren geschieden ist und sich mit großer Selbstverständlichkeit mit dem Motorrad fortbewegt. Das Motorrad Fahren hat ihr Vater ihr als Kind beigebracht. Im Gegensatz zu den anderen Frauen, die traditionelle Kleidung tragen, hat Sarah ihre Kleidung in Form von Lederjacke und Windschutzkappe an das Motorradfahren angepasst.
Sarah ist die erste Frau die für den Stadtrat kandidiert, denn sie möchte sich für eine progressivere Politik und für die jungen Frauen im Dorf einsetzen. Sie gewinnt die Wahl und nimmt ihre neue Verantwortung sehr ernst. Die Zuschauer*innen können Sarah bei ihren täglichen Erledigungen begleiten. Auf individueller, wie auch auf struktureller Ebene versucht sie, Frauen zu ermutigen, für sich einzustehen und ihren eigenen Weg zu gehen. Was sich als sehr schwierig herausstellt, denn die traditionellen Rollenbilder scheinen stets stärker als die rebellisch-revolutionären Funken, die Sarah versprüht. Die Männer sagen Sätze wie „Gib einer Frau Schuhe, aber keinen Weg“, doch sie bleibt stoisch – auf Aggression reagiert sie bestimmt, aber geduldig. Der Titel des Films spiegelt Sarah Shahverdis Wesen wider, denn sie tut das, was sich anfühlt, wie durch Felsen schneiden.
Besonders eindringlich ist die Geschichte eines frisch geschiedenen Mädchens, das Sarah übergangsweise bei sich aufnimmt. Das Mädchen wurde im Alter von zwölf Jahren gegen seinen Willen mit einem 35-jährigen Mann verheiratet. Die Dokumentation spielt sich hauptsächlich in Sarahs Heimatdorf ab. Die Protagonist*innen sprechen nicht über die hauptsächlich in den Großstädten stattfindende Revolution „Frau, Leben, Freiheit“, bei der iranische Frauen für Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gegen das repressiv-patriarchale System des iranischen Regimes kämpfen. Dieser größerer politische Kontext steht aber in enger Verbindung zu den Geschehnissen im Film.
Klassische Musik unterstreicht die verschiedenen Stimmungen des Films, und immer wieder gibt es sehr malerische Bilder – etwa wenn Sarah bei Sonnenaufgang mit dem Motorrad durch die weiten Felder fährt. Diese Sequenzen verleihen dem Film eine emotionalisierende Wirkung. Wie ein roter Faden zieht sich das Motorrad durch den Film – sinnbildlich für die Selbstbestimmung und Freiheit von Sarah und den jungen Frauen, die sie ermutigt an sich selbst zu glauben und aus dem strengen Regelwerk der Traditionen auszubrechen. Dieses Vorhaben stößt auch an seine Grenzen, denn die meisten Frauen kann sie nicht vom Heiraten abhalten.
Die sensibler Kameraführung fängt sowohl die entscheidenden als auch die alltäglichen, unbedeutenden Momente in Sarahs Leben ein. Sarahs faszinierende Ausstrahlung und der Kontrast zwischen ihrem starken Willen und ihrer Leichtigkeit machen den Film aus. Von der Erzählweise und dem dramaturgischen Aufbau erinnert der Film eher an einen Spielfilm als an eine Dokumentation: Es wurden keine Interviews geführt, und es gibt keinen Off-Sprecher. Neben der harten politischen Realität werden auch die sinnlichen, fast poetischen Momente dokumentiert – etwa, wenn eine Träne über Sarahs Wange rinnt, während sie über das schneebedeckte Dorf schaut und angesichts der Ungerechtigkeit nicht mehr weiterweiß. In Momenten wie diesen lässt einen der Film verzweifelt fühlen, doch Sarah gibt nicht auf und bleibt bis zum Schluss eine Heldin, da sie nicht aufhört gegen die frauenfeindlichen Strukturen anzukämpfen und zu versuchen andere Frauen und Mädchen mit ihrem Mut anzustecken.
Der Film lässt einen keinesfalls resigniert zurück, sondern bestärkt den oft von Pessimismus erschütterten Glauben daran, dass eine einzelne Person so viel bewirken kann. Die Regisseur*innen Sara Khaki und Mohammadreza Eyni gaben in einem Interview mit dem Filmmaker Magazine an, sieben Jahre gebraucht zu haben, um das in der Dokumentation enthaltene Material zu filmen. Dieser Aufwand hat sich ausgezahlt, denn die Dokumentation gibt intensive und pure Einblicke in die Lebensrealität iranischer Frauen, die einen nachhaltigen Eindruck bei den Zuschauer*innen hinterlassen.
Titelbild: DOK Leipzig [2025] [Cutting Through Rocks], [Sara Khaki, Mohammadreza Eyni]
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