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  • Beim Zahnarzt der unsterblichen Liebe

    Im letzten Jahresviertel präsentierten die Passage Kinos ihre neue Reihe Passage Werke. Thema des ersten Zyklus waren Vampire und ihr Verhältnis zur LGBTQIA+-Community.

    Bram Stokers Dracula (1897) ist ohne Zweifel der Roman, der wie kein anderer der Figur des Vampirs zu Popularität in der Moderne verhalf. Weniger bekannt als der alte, monströse Graf ist sein unmittelbarer Vorgänger oder besser seine Vorgängerin, nämlich Joseph Thomas Sheridan Le Fanus‘ Carmilla (1872), die nicht nur eine weibliche Vampirin darstellt, sondern mit ihrem Verhältnis zur Protagonistin des Romans das Thema homoerotisch besetzt. Zurückzugehen scheinen beide – so man Wikipedia Glauben schenken möchte – auf John Polidoris Vampyr (1816); und der Vampirmythos ist wahrscheinlich fast so alt wie der Glaube an die Geister und die Präsenz verstorbener Ahnen, wenngleich sich selbst Vampire zu verbitten scheinen zum Beispiel mit den chinesischen Jiang Shi oder der albanischen Shtriga verwechselt zu werden. 

    Unter dem Titel Queere Vampire warfen wir zusammen mit dem Team der Passage Kinos über zwei Monate nicht nur einen fantasievollen Blick auf dieses gesellschaftspolitisch wichtige und aktuelle Thema, sondern bekamen dazu auch noch wissenschaftliche Analysen serviert. Tim Pfeifer und Johanna Mertl gaben dem Publikum gemeinsam Einführungen, Interpretationen sowie Stoff für Diskussionen im Kinosaal.  

    In der Reihe liefen: 

    1. The Hunger (dt. Begierde, 1983) von Regisseur Tony Scott 
    2. The Lost Boys (1987) von Regisseur Joel Schumacher 
    3. What We Do in The Shadows (dt. 5 Zimmer Küche Sarg, 2014) von Regisseur Jemaine Clement und Taika Waititi 
    4. A Girl Walks Home Alone at Night (2014) von Regisseurin Ana Lily Amirpur

    Queerness und der populäre Film hatten aus historischen Gründen von Anfang an ein schwieriges Verhältnis. Bekanntermaßen entstand der erste Horrorfilm Nosferatu 1922, also in einer Zeit, auf die in nur kurzem Abstand der Terror der totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts folgte. Aber selbst in Amerika, das mit seinen Hollywoodproduktionen die Welt erobern sollte, war die konservative Kulturlandschaft darauf bedacht, Queerness aus ihren Filmen weitgehend zu verbannen. Ein Beispiel dafür, so erfahren wir in den Einführungen von Pfeifer und Mertl, ist der sogenannte „Hays Code“, der von 1936 bis 1967 in den USA bestanden hatte. Staatliche Behörden und Filmproduktionsfirmen hatten sich dabei gemeinsam mit zivilen Interessengruppen zum Schutz der Bürger und öffentlichen Moral auf Richtlinien zur Einschränkung, Tabuisierung und Zensur von gefährlichen Inhalten geeinigt. Darunter: Obszönitäten, Vulgaritäten, Unsittlichkeit und Blasphemie. Dass das für Schwule, Lesben, Feminist*innen und andere Gruppen Folgen hatte, braucht kaum gesagt zu werden. Sie verschwinden aus dem Kino oder werden wahlweise mit Unmoral, Bosheit oder Geisteskrankheit assoziiert.

    Auch Vampire haben es mit ihrem Aussehen nicht immer leicht. Foto: Kane Skennar

    Queerness und der Monsterfilm – ein Genre, das sich ohnehin oft mit Grenzbereichen und dem Verdrängten beschäftigt – gehen so mit der Zeit ein affirmierendes Verhältnis ein. Das Monster, im Besonderen der überaus populäre Vampir, wird zur Stellvertreterfigur von Außenseitern, Marginalisierten und allerlei Andersartigen. Man bezeichnet solche Themen und Figuren in der Literaturwissenschaft nach Julia Kristeva auch als Abjekte, also Gegenstände oder Themen, die aus nicht immer eindeutigen Gründen eine Aversion bei den Zuschauenden hervorrufen. Vielleicht darf man auch nicht vergessen, dass Mary Shelley berühmtes Monster Frankensteins keineswegs eine böse, sondern vielmehr eine tragische und sentimentale, durch die menschliche Gesellschaft verächtlich gemachte Figur ist. Da die öffentliche Auseinandersetzung mit Themen wie Homosexualität, Geschlechtsheterodoxie und Sexualität im Allgemeinen im Kino weitgehend unterbunden war – und bis heute oft ist –, setzten sich schon früh Formen der Codierung durch. Bekannt sind Andeutungen, wie etwa die sanfte Überblende eines sich küssenden Paares im Schlafzimmer zu einer folgenden Szene desselben Paares in Schlafanzügen beim Frühstück im Bett. Sogenanntes „Queer-Coding“ funktioniert ähnlich, es kann von Blicken über gewisse Bewegungen des Körpers, Verhalten und die Kleidung bis zu zweideutigen, intensiven Freundschaften, der Inszenierung von Männerkörpern oder etwas zu langen Berührungen reichen.  

    Das sehen wir im Pulp-Movie The Lost Boys, dem zweiten Film der Reihe, bereits wenig subtil – vielleicht liegt es am Regisseur Joel Schuhmacher, selbst homosexuell und berühmt geworden durch seine Batman-Filme der 90er Jahre, den legendären hautengen Kostümen inklusive Bat-Nipples und Bat-Creditcard. Und es ist sicher nicht falsch, wenn man Pfeifer folgt, der von latenten homoerotischen Energien spricht. So hängen im Zimmer einer der Hauptrollen nicht nur die homoerotischen Poster von Boy Bands; die gesamte Geschichte ist als Verhältnis zwischen dem Vampir David (Kether Sutherland) und seinem Rivalen/Adepten Michael (Jason Patric) anlegt. Dazu durchzieht diesen Film der späten 80er der Stil eines (Last-Christmas-)George Michael und der Metrosexuellen-Ikone Prince – so etwa darf man sich die Hauptrolle des Michael vorstellen. Besonders greifbar wird die Homoerotik des Films noch einmal in der Schlussszene, in der David von Michael mit einen Holzpflog durchbohrt wird und dabei von einer ganz unwahrscheinlichen Befriedigung, kurz einem Orgasmus, durchdrungen wird. Außerdem gibt es in dem Film einen nichts weniger als legendären, muskelbepackten und eingeölten Saxophonspieler.
    https://www.youtube.com/watch?v=A1dY6OkPb7E | The lost boys – I still believe scene (02.01.2024) 

    Weniger subtil, was die Erotik betrifft, ist The Hunger. Hier spielt David Bowie einen alternden Vampir, der jedoch bald von der Bildfläche verschwinden wird, um der Beziehung zwischen der Obervampirin Miriam und der Doktorin Sarah Platz zu machen. Hier spielt sich auch die einzige Sexszene der Reihe ab, die sehr elegant mittels leichter Bekleidung und einem verschütteten Tropfen Rotwein, der unglücklicherweise das weiße Hemd Sarahs befleckt, initiiert wird. (Schade um das arme Hemd!) Der Film führt – so wird vor allem in der Diskussion nach dem Film klar – noch eine andere Deutung an. Miriam scheint nicht nur ein realer, sondern auch ein emotionaler Vampir zu sein: Alle paar Jahre wechselt sie ihre Partner und konserviert diese, weil untot, auf dem Dachboden ihres Domizils, das gleichzeitig als Vogelverschlag für weißer Tauben dient. Der Satz „Für immer lieben“ („Forever!“) wird hier ganz plastisch. „Für immer“ hat natürlich die Kehrseite, dass die Vampirin Miriam die Beziehung zu ihren vergangenen Liebhaber*innen nie wirklich loslässt, eine Vielzahl Parallelbeziehungen führt, und damit ihre Partner*innen und sich selbst quält.
    The Hunger Official Trailer #1 – Susan Sarandon Movie (1983) HD | https://www.youtube.com/watch?v=7a6YFwC2zKA (05.01.2024) 

    Über What We Do In The Shadows hätte ich gerne mehr gesagt, aber selbst bei der Diskussion im Kino blieb dazu eigentlich nicht viel übrig, weil der Film zu komisch ist, als dass da noch viel Platz für Erklärungen geblieben wäre. Es ist sicher die beste Vampirkomödie, die es bis jetzt gibt. Interessant dazu waren sicher auch Pfeifers Ausführungen aus klassen- und raumtheoretischer Sicht, also einer Analyse, die Fragen der gesellschaftlichen Klasse und des Wohlstandes mit Aspekten des Standortes und der Ausformung von „Räumen“ im weitesten Sinne, verknüpft. In diesem Fall – so die Interpretation am Abend des 30. November – symbolisiert die rein-männliche Vampir-WG inmitten eines Reihenhausbezirks Wellingtons mit ihrer Mischung aus Homoerotik und queerer Andersartigkeit, Subversionen inmitten des Bürgertums.  

    A Girl Walks Home Alone At Night fällt ein bisschen aus der Reihe. Zweifellos kann man diesen Film feministisch lesen. Der Film der amerikanisch-iranischen Regisseurin und Drehbuchautorin Amiripour liefert – so meine Lesart – einen Einblick in einen fiktionalisierten Iran nach der Revolution von 1979. 

    Das Taschador tragende “Killer Girl” in A Girl Walks Home at Night

    Das öffentliche Leben in einer Kleinstadt ist wie ausgestorben, ein Leichenberg ist unter einer Brücke zu sehen, im Inneren der Häuser und Wohnungen eine Mischung aus Kleinkriminalität, Drogensucht und Prostitution. Als Monster im Tschadour, einer Form der islamischen Verschleierung, zieht eine junge Frau männertötend durch die Kleinstadt. Der Film folgt dem Stil des amerikanischen Rock n‘ Roll-Kino der 50er Jahre, der Soundtrack ist über allen Maßen gut gewählt und eine Empfehlung wert. Alles in allem, einer der coolsten Filme einer coolen Reihe und ein guter Abschluss. 

    Die Schlüsselszene von A Girl Walks Home at Night endet nicht mit einem Mord, sondern mit Musik.                     Fotos: Capelight Pictures

    Für Grusel- und LGBTQIA+-Freunde war die Reihe ein Genuss, was nicht nur die Kostüme des Publikums an Halloween verrieten. Man hat Durst auf mehr bekommen. Seit Ende Januar zeigen die Kinos nun unter dem Schwerpunkt „Cyberpunk“ vier weitere Filme. Mit Blade Runner (1982) von Ridley Scott lief am 29.01.2024 bereits der erste Film. Neben dem Anime Akira (1988) und dem wohlbekannten Klassiker Matrix (1999), freuen wir uns schon im Besonderen auf David Cronenbergs eXistenZ (1999).  

     

     

    Titelbild: Kane Skennar

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