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  • „Jede*r kann sich das zutrauen“

    Die Studentinnen Julia und Zora haben mit luhze-Redakteurin Alicia Opitz über ihre Instagramseite FrauenMachtPolitik gesprochen – und darüber, wie es aktuell um Frauen in der deutschen Politik steht.

    Julia Keil (l.) und Zora Reckhaus (r.) haben sich im Masterstudiengang Sustainable Development in Leipzig kennengelernt. Seit August 2020 betreiben die beiden Studentinnen gemeinsam die Instagramseite FrauenMachtPolitik (@frauenmachtpolitik). Dafür interviewen sie politisch aktive Frauen aus verschiedenen Parteien, stellen diese anschließend in ihren Beiträgen vor und wollen so Frauen in der deutschen Politik sichtbarer machen. luhze-Redakteurin Alicia Opitz hat mit ihnen über Hintergrund, Motivation und Ziele ihres Projekts gesprochen.

    luhze: Eure Instagramseite ist im Rahmen des vom Helene Weber Kolleg angebotenen Kommunalpolitischen Empowerment-Programms für Studentinnen entstanden, das sich für mehr junge Frauen in der Kommunalpolitik einsetzt. Warum habt ihr teilgenommen?

    Julia: Politik hat mich schon immer sehr interessiert, gerade auch Kommunalpolitik. Im Bachelor habe ich Politikwissenschaft studiert. So war das immer in meinem Kopf, aber ich habe nie tatsächlich den Schritt gemacht, parteipolitisch aktiv zu werden. Dann habe ich dieses Programm gesehen, und dachte mir, dass das vielleicht dazu führt, dass ich wirklich mal in eine Partei eintrete.

    Zora: Ich kann mich dem voll anschließen. Politik war immer Thema und ich hatte eigentlich den Anspruch und auch Lust darauf, mich zu engagieren. Aber ich habe trotzdem gezögert, weil ich nicht so eine richtige Vorstellung davon hatte, wie das alles aussieht. Julia ist mit dem Programm auf mich zugekommen und ich dachte mir, dass das genau der erste Schritt sein kann, um diese Vorstellung zu bekommen und von da aus weiterzumachen.

    luhze: Wieso habt ihr euch für das Erstellen einer Instagramseite entschieden?

    Zora: Wir hatten in einem der Workshops des Empowerment-Programms gebrainstormt, wie wir junge Frauen erreichen können und was da gerade der Entwicklung der Zeit entspricht. Und da kam sofort Instagram auf.

    Julia: Frauen sind in der Politik unterrepräsentiert, deswegen sehen auch gerade junge Frauen wenige Frauen in der Politik und können sich vielleicht weniger mit Politik identifizieren. Das reproduziert sich immer weiter und ist ein Grund dafür, dass es nach wie vor so wenige Frauen in der Politik gibt. Genau das wollten wir angehen mit der Seite: Frauen, die politisch aktiv sind, sichtbarer machen und eine Identifikationsmöglichkeit schaffen.

    luhze: Jede Frau wird von euch in drei Beiträgen vorgestellt, die jeweils den Themen Inspiration, Hürden und Vielfältigkeit gewidmet sind. Wieso sind euch gerade diese drei Aspekte so wichtig?

    Julia: Zur Inspiration: Das ist genau diese Vorbildsache. Was hat diese Frau motiviert, in die Politik zu gehen? In dem Teil wollen wir persönlich auf die Frau eingehen, deswegen bitten wir sie auch immer, einen persönlichen Gegenstand mitzubringen, um einen Zugang zu schaffen. Außerdem wollen wir die Hürden zeigen, die den Frauen begegnen. Und vielleicht haben die Politikerinnen Wege gefunden, die Hürden zu überwinden, was den Leserinnen womöglich helfen kann. Mit dem Aspekt der Vielfältigkeit wollen wir zum einen zeigen, dass es sehr breit gefächert ist, wofür man sich politisch einsetzen kann und in welcher Position man das tut. Und zum anderen, dass es ganz verschiedene Charaktere gibt in der Politik. Man muss also nicht so und so sein, um politisch aktiv werden zu können, sondern jede Frau kann etwas Wichtiges einbringen, nämlich ihre Perspektive.

    luhze: Ist euch ein Interview oder eine Aussage besonders im Gedächtnis geblieben?

    Zora: Oh, viele! Im letzten Interview fand ich die Aussage besonders gut, dass man nicht so streng mit sich sein soll, weil viele Rahmenbedingungen mit dafür verantwortlich sind, wie etwas läuft. Wenn die erste Wahlperiode nicht gut läuft, muss das also nicht nur an einem persönlich liegen, sondern auch daran, wie zum Beispiel der Stadtrat insgesamt zusammengesetzt ist. Sonst finde ich es aber vor allem überraschend, dass alle Frauen immer irgendetwas Neues und anderes Wichtiges zu sagen haben.

    luhze: Beobachtet ihr trotzdem auch Überschneidungen, besonders im Hinblick auf die Hürden?

    Zora: Was ich häufig höre, ist, dass die Frauen einfach mehr Aufwand betreiben müssen. Man spricht da oft von der „gläsernen Decke“, die sie erst durchbrechen müssen. Es gibt immer noch viele Klischees und Kommentare, mit denen Frauen kleingehalten werden. Ihnen wird weniger zugetraut und weniger Stimme gegeben und deswegen müssen die Frauen immer noch mehr Energie aufwenden, um überhaupt gehört zu werden.

    Julia: Ja, die Beurteilung von außen ist negativer und gleichzeitig sagen viele der Frauen, dass sie auch an sich selbst besonders hohe Ansprüche stellen, sich sehr viel hinterfragen. Was sich aber sicher wieder gegenseitig bedingt: Wenn die Gesellschaft bestimmte Erwartungen an einen hat, dann macht das ja was mit einem.

    luhze: Frauen machen sowohl auf Bundes-, als auch durchschnittlich auf Landes- und Kommunalebene weniger als ein Drittel der Politiker*innen aus. Was muss eurer Meinung nach passieren, damit Frauen in der Politik besser repräsentiert sind?

    Julia: Ich glaube, grundsätzlich sind wir uns beide einig, dass Frauen definitiv die Hälfte der Macht haben sollten – auf allen Ebenen.

    Zora: Um das zu erreichen, müssen sich auf jeden Fall die Rahmenbedingungen ändern. Häufig sind Frauen im Alltag ganz anders eingespannt und können dann wegen privater Verpflichtungen weniger parteiliche wahrnehmen. Und dadurch, dass die Politik männerdominiert ist, ist natürlich auch die ganze Struktur auf sie ausgerichtet, sodass Frauen es schwerer haben, sich danach zu richten. Deswegen müssen Frauen expliziter angesprochen werden, es muss andere Angebote geben. Natürlich ist es, vereinfacht dargestellt, leichter, immer den nächsten Mann einzustellen, statt Energie darauf zu verwenden, die Strukturen so zu verändern, dass zum Beispiel auch eine alleinerziehende Mutter genauso gut hineinpasst. Eigentlich müssten die Parlamente viel vielfältiger sein. Deswegen bin ich ein bisschen Quotenfan geworden, weil dadurch die Parteien erst verpflichtet werden, mehr Anstrengungen zu unternehmen, damit Frauen angesprochen werden. Und den Anreiz gibt es glaube ich erst, wenn es mehr Verbindlichkeit gibt, die Frauen auf die Listen zu setzten.

    luhze: Beim Thema Frauenquote scheiden sich die Geister. Julia, bist du auch Befürworterin?

    Julia: Ja, schon. Ich sehe natürlich durchaus Kritikpunkte. Das ist kein perfektes Instrument und es gibt auch sehr viel legitime Kritik daran. Aber ich glaube tatsächlich nicht, dass sich das Problem anders lösen lässt. Man hat es an den letzten Jahren gesehen, der Prozentsatz an Frauen im Bundestag ist sogar runtergegangen, bei vielen Parteien tut sich da sehr wenig.

    luhze: Inwieweit denkt ihr, dass ihr mit eurer Instagramseite etwas bewegen könnt?

    Zora: Wir wollen viele junge Frauen, oder eigentlich alle Menschen, egal welchen Geschlechts, erreichen. Es gibt viele Menschen wie uns, die die Idee haben, in die Politik zu gehen, sich aber nicht trauen. Diese Bedenken wollen wir ein Stück weit nehmen. Wir wollen Identifikation schaffen, die idealerweise zu politischem Engagement führt. Feedback von Frauen, die sich seit Jahren Gedanken machen und durch die Seite eine neue Perspektive oder neue Motivation gewonnen haben, war das Coolste, was wir hören konnten.

    luhze: Seid ihr mittlerweile selbst politisch aktiv geworden?

    Julia: Bisher haben wir uns eher in zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Hochschulgruppen für bestimmte Themen eingesetzt. Ich habe mir aber konkret vorgenommen, vor der Bundestagswahl dieses Jahr in eine Partei einzutreten und mich da zu engagieren. Nicht unbedingt auf ein Amt hin, aber um mich da einfach einzubringen.

    Zora: Das Empowerment-Programm hat mich auf jeden Fall motiviert, den ersten Schritt zu machen. Bei mir steht es tatsächlich auf der Agenda, dass ich demnächst der Linken beitrete. Ich bin auch gespannt, wie das alles während Corona abläuft, weil normalerweise, glaube ich, trifft man sich zu Beginn viel in Arbeitsgemeinschaften, um mitzubekommen, wie die Partei funktioniert.

    luhze: Liest man den Namen eurer Seite als Aufforderung, ergibt sich „Frauen, macht Politik!“. Habt ihr aus den Interviews Tipps mitgenommen, wie der Einstieg gelingt?

    Julia: Es ist wichtig, dass man sich nicht zu sehr den Kopf zerbricht: Weiß ich genug über Politik? Bin ich über alles gut genug informiert? Stopp! Jeder Mensch hat Erfahrungen, eine Perspektive, ein bestimmtes Wissen, die er einbringen kann. Jede*r kann sich das zutrauen.

    Zora: Und am Anfang braucht es Zeit, um alles kennenzulernen. Man muss nicht den Anspruch haben, sofort perfekt reinzupassen und aktiv und effektiv zu sein. Man wächst mit seinen Aufgaben und ist darin nicht allein, denn die Partei ist zur Unterstützung da. Und wenn etwas schiefgeht, ist das nicht dramatisch. Man sollte, wie Julia sagt, nicht zu viele Bedenken haben. Es geht ja auch darum, Spaß daran zu haben.

    Titelfoto: Privat

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