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  • Wie ist es denn so da im Osten?

    Stereotype zu den Kategorien ost- und westdeutsch seien unter Studierenden in Leipzig noch immer präsent, schrieb Melanie Kühn 2005 in einem student!-Artikel. Wie ist es 15 Jahre später?

    Ost- und Westdeutsche treffen in der Universität Leipzig heute deutlich häufiger aufeinander als noch vor 15 Jahren. Das zeigen Erhebungen des Studentensekretariats zum Wintersemester 20/21, die feststellen, wo Studierende ihr Abitur gemacht haben. Aktuell stammen 32 Prozent aller deutschen Studierenden der Uni Leipzig ursprünglich aus dem Westen. Im Wintersemester 2004/05 waren es gerade einmal 17 Prozent.

    „Ausschlaggebend war für mich vor allem die Lebensqualität, die ich mir von Leipzig als Stadt versprochen habe“, erzählt Jannis Hollinger. Er machte sein Abitur in Rheinland-Pfalz und zog anschließend zum Studieren nach Leipzig. Bedenken, im Osten zu leben, habe er, damals wie heute, keine gehabt.

    Astrid Lorenz, Dekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie, vermutet, dass die Studienortwahl nicht grundsätzlich an der Himmelsrichtung ausgerichtet ist. Man müsse vielmehr nach Studiengängen unterscheiden. Weniger geographische Auswahl haben Studienanfänger*innen, wenn ihr Studiengang eher selten angeboten wird oder einen hohen Numerus Clausus voraussetzt. Anders sehe es bei Studiengängen aus, die einen Bezug zum späteren Ort der Berufstätigkeit haben, wie zum Beispiel Lehramt.

    So wird plausibel, weshalb für den Studiengang Kulturwissenschaften an der Uni Leipzig, der deutschlandweit an nur vier Standorten angeboten wird, fast 60 Prozent der aktuellen Erstis aus Westdeutschland zugezogen sind. Im Grundschullehramt betrug dieser Anteil lediglich 5,8 Prozent. Hier sind Studienanfänger*innen beim Berufseinstieg mitunter an das Bundesland gebunden, in dem sie studiert haben. „Da geht man eher danach, wo man sich vorstellen kann zu leben“, erklärt Lorenz.

    Ausschlaggebend für die Studienortwahl scheinen demnach viele verschiedene Faktoren zu sein. Und doch ist der Wechsel zwischen Ost und West nicht für jede*n eine Option. „Ne“, lautet die klare Antwort zweier Studierender der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK) auf die Frage, ob sie zum Studieren jemals nach Westdeutschland ziehen würden. Im Westen gebe es mehr „Ellbogen-Denken“, befürchten die beiden gebürtigen Ostdeutschen.

    Eine Umfrage von luhze auf Instagram zeigt, dass solche Stereotype keine Seltenheit zu sein scheinen. Von 69 Teilnehmer*innen gaben 60 an, in ihrem Alltag Stereotypen über Ost- und Westdeutsche zu begegnen. Auch Hollinger berichtet von Verwandten aus seiner westdeutschen Heimat, die sich erkundigen „wie es denn so ist im Osten“. Üblich seien auch Neckereien unter Freund*innen, die empfinde er jedoch nicht als störend.

    Sophia Dubiel, Studentin an der HTWK Leipzig, kann eine ganze Reihe solcher Vorurteile aufzählen, die „in aller Munde sind“: Westdeutsche seien gebildeter, arbeits- und leistungsfähiger, wohlhabender und erfolgreicher. „Vielleicht liegt das aber auch am Dialekt“, überlegt sie, „Sächsisch klingt einfach dusselig.“

    Tatsächlich steckt hinter manchen dieser Zuschreibungen ein wahrer Kern. So zeigen Erhebungen des Statistischen Bundesamts im Jahr 2018, dass der Verdienst im Osten durchschnittlich deutlich unter jenem im Westen liegt. Während ein westdeutscher Haushalt im Schnitt über ein Nettogesamtvermögen von 182.000 Euro verfügt, beträgt dieses in einem ostdeutschen gerade einmal 88.000 Euro.

    Weiterhin sind Ostdeutsche in Führungspositionen gegenüber Westdeutschen insgesamt unterrepräsentiert. Vor allem in den Sektoren Justiz, Militär und Wirtschaft, fasst es der Soziologe Raj Kollmorgen in einem Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung im Mai zusammen. 2017 seien zum Beispiel nur 2 Prozent der Vorstände deutscher DAX-Unternehmen von Ostdeutschen besetzt gewesen – dabei haben Ostdeutsche einen Bevölkerungsanteil von etwa 17 Prozent.

    Dubiel findet das Klischee des „Besser-Wessis“ dennoch nicht pauschal zutreffend. Aufgewachsen in Thüringen, jedoch in einem westdeutschen Elternhaus, kenne sie beide Seiten gut und sei immer wieder überrascht, dass viele Westdeutsche noch nie im Osten waren. „Wenn ich das höre mache ich erstmal direkt Werbung.“

    Titelgrafik: Marie Nowicki

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