• Menü
  • Interview
  • „Dass ich Student des Jahres bin, ist ein Türöffner“

    Noah Dejanović, Student des Jahres 2025, spricht im über sein Engagement für mehr Kinderschutz im Lehramtstudium resümiert ein ereignisreiches Jahr.

     

    Der Leipziger Lehramtsstudent Noah Dejanović nahm im März 2025 die Auszeichnung „Student des Jahres“ in Berlin entgegen. Damit ehrte das Deutsche Studierendenwerk und der Deutsche Hochschulverband sein Engagement für mehr Kinderschutz im Lehramtstudium. Zusammen mit Katja Sturm, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Sachsen, gibt Dejanović dazu seit anderthalb Jahren Workshops an der Universität Leipzig. Aus seiner Perspektive als Betroffener vermittelt er, wie angehende Lehramtsstudierende Missbrauch bei Kindern erkennen und damit umgehen können. (luhze berichtete: „Aufklären, eingreifen – Kinder schützen). Luhze-Redakteurin Elisa Pechmann hat mit ihm über seine Arbeit von den Anfängen bis zur Preisverleihung und darüber hinaus gesprochen.

     

     

    luhze: Durch Ihr Engagement für mehr Kinderschutz im Lehramt wurden Sie zum Studenten des Jahres 2025 ausgezeichnet. Wie hat dieser Weg für Sie begonnen?

    Dejanović: Ja, das ist wohl ein bisschen „positiv eskaliert“. Auslöser war ein Workshop von Katja Sturm vom Kinderschutzbund Sachsen, der mir gezeigt hat, dass Kinderschutz im Lehramtsstudium gar keine Rolle spielt. Katja und ich haben dann begonnen, gemeinsam weitere Veranstaltungen zu machen. Schon zur ersten sind ungefähr 300 Leute gekommen. Besonders die Kombination meiner Betroffenensicht und ihrer fachlichen Expertise funktionierte gut. Ich konnte teilen, was ich persönlich erlebt habe, und sie konkrete Anhaltspunkte nennen, wie man Kindesmissbrauch als Lehrperson bemerken und darauf reagieren kann. Parallel dazu habe ich bei einer Aufklärungskampagne von der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung (Unabhängige Bundesbeauftrage gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Anm. d. Red.) mitgemacht. Die Reels dazu hatten mehrere Millionen Aufrufe. Die Auszeichnung „Student des Jahres“ hat das Ganze nochmal explodieren lassen und viel mediale Aufmerksamkeit erregt. Es ist so groß geworden, weil ich einfach nicht Nein gesagt habe zu den Medien.

     

     Warum hast du zugelassen, dass dein Projekt so viel Aufmerksamkeit erregt?

    Am ehesten wegen meiner eigenen Betroffenheit. Ich hätte mir in der Schule eine Lehrperson gewünscht, die auf mich zugekommen wäre. Ich weiß noch sehr gut, wie ich mich damals gefühlt habe. Außerdem kann ich darüber reden, das kann und möchte auch nicht jede*r. Es war eine Chance, die ich nutzen musste, eine Chance, dazu beizutragen, dass es betroffenen Kindern und Jugendlichen besser geht. Denn wenn Lehrpersonen sensibilisiert sind, können sie in solchen Situationen auch eingreifen.

    Auf der anderen Seite ist es maximal unangenehm, die ganze Zeit wildfremden Personen intimste Dinge zu erzählen. Am Anfang fand ich es ganz schlimm, vor hunderten Leuten darüber zu sprechen. Dann kamen auch noch die Kameras dazu. Das Feedback im Internet war zwar größtenteils bestärkend, aber zum Teil gab es auch bösartige Kommentare wie: „Man sieht ja, was es mit ihm gemacht hat, jetzt ist er schwul und links.“

     

    Du sprichst über deine Erfahrungen. Ist das notwendig für dein Engagement?

    Ich glaube schon, dass das notwendig ist. Indem ich mich verletzlich mache und zeige, worunter ich gelitten habe, kann ich sagen, was ich in der Situation gebraucht hätte. Aber mein langfristiges Ziel ist es, mir nicht mehr immer dieses Label aufdrücken zu müssen. Ich will irgendwann eher von der eigenen Geschichte losgelöst eine Expertenrolle einnehmen und aus fachlicher Sicht über das Thema sprechen.

     

    Warum glaubst du, ist das Thema Kinderschutz noch so unterrepräsentiert?

    Weil es immer noch ein ganz schambehaftetes Thema ist. So sehr, dass die Schuld immer noch bei den Opfern gesucht wird. Zwar haben andere Betroffene, wie bei den Missbrauchsskandalen der Kirche, schon krasse Arbeit dafür geleistet, dass mehr über Kindesmissbrauch gesprochen wird. Dennoch:  Es wirkt für viele noch ganz weit weg und es fehlt das Bewusstsein, dass Missbrauch überall passiert. Statistisch gesehen kennen wir alle Betroffene im eigenen Umfeld und somit auch Täter*innen.

    Ein weiteres Problem ist das starre Schulsystem, das Schüler*innen weniger als Menschen und mehr als Leistungsträger sieht. Es geht die ganze Zeit darum, wie wir Schüler*innen bewerten und benoten können, statt wie wir ihre psychische Gesundheit schützen. Das Thema ist außerdem ein Querschnittsthema – es gibt also keinen Fachbereich, der das dezidiert aufgreift.

     

    Ist das Thema wissenschaftlich gut aufgearbeitet?

    Es gibt auf jeden Fall Wissenschaftler*innen, die dazu forschen. Aber es wird gerade erst die bundesweit erste Forschungszentrale aufgebaut. Es ist noch nicht etabliert. Einige Dozierende finden das Thema auch zu praxisnah für das Lehramt und denken, es gehöre ins Referendariat. Vielen ist nicht klar, dass man sich dem Thema auch aus wissenschaftlicher Perspektive nähern kann. Um das zu ändern, gibt es jetzt auch eine AG Kinderschutz an der Universität Leipzig, bei der ich mich auch engagiere.

     

    Heißt das, dass es zu wenig Personen gibt, die Kinderschutz qualifiziert vermitteln könnten?

    Ja. Zu unseren Veranstaltungen kommen größtenteils Lehramtsstudierende, aber auch Dozierende, da sie auch nicht so viel über das Thema wissen. Man müsste also auch Stellen schaffen, in denen sich Menschen damit beschäftigen können. Was wir auch fordern, ist ein universitäres Schutzkonzept. Wenn Lehramtsstudis in ihren Praktika an Schulen grenzüberschreitendes Verhalten von Lehrpersonen oder Anzeichen von Missbrauch bei Schüler*innen bemerken, muss es an der Universität eine Ansprechperson geben, die Studierenden zur Seite steht. Gerade, wenn die Schulen nicht genug tun.

     

    Gibt es an den Schulen einen Mangel an Ansprechpersonen?

    Ja, denn die Schulen sind in Sachsen nicht verpflichtet, Schutzkonzepte zu haben. Deshalb gibt es das bei vielen noch nicht. Ich bekomme oft Anfragen von Lehrpersonen, die mich bitten, eine Fortbildung an ihren Schulen anzubieten. Denn sie wissen nicht, wie sie das Thema sonst ansprechen sollen. Die Kapazitäten habe ich aber nicht. Deswegen ist es auch so wichtig, dass Kinderschutz schon Teil des Studiums ist. Es ist viel effizienter, Studierende schon mit dem Thema zu konfrontieren. Und das Interesse bei den Studierenden ist auf jeden Fall da, denn zu unseren Veranstaltungen kommen immer zwischen 200 und 500 Personen.

     

    Hat sich deine Arbeit durch deine Auszeichnung als Student des Jahres verändert?

    Die Reichweite ist größer geworden und mir wird aufmerksamer zugehört. Zum Beispiel hat mich der Leiter des Amtes für Familien und Jugend der Stadt Leipzig zum Gespräch eingeladen und gefragt, was meiner Meinung nach verbessert werden muss. Das hätte ich mir niemals zu träumen gewagt: Leute kommen sogar auf mich zu und auch ich kann einfacher auf sie zugehen. Die Auszeichnung hat auch dazu beigetragen, dass ich jetzt im Betroffenenrat des Bundesministeriums sitze und das Thema Kinderschutz dort einbringen darf. Auch die Rektorin der Universität Leipzig ist offen für Gespräche über Kinderschutz im Studium. Dass ich Student des Jahres bin, ist oft ein Türöffner, um Leute anzusprechen.

     

    Und für die Workshops?

    Für das Projekt war das natürlich super. Das wird immer größer und wir waren dieses Jahr auch bundesweit unterwegs. Wir waren an fünf Unis, in Berlin, Halle und Gießen. Nächstes Jahr gehen wir auch nach Greifswald und Magdeburg. Das Problem, dass Kinderschutz im Lehramt fehlt, besteht nämlich wirklich an allen Unis. Wir versuchen, so eine Art Notübergangslösung mit unseren Veranstaltungen zu sein.

     

    Ist es schwierig, dieses Engagement mit dem Studium zu vereinen?

    Ja, auf jeden Fall. Ich sehe meine Freund*innen aktuell viel zu wenig, schlafe weniger, habe weniger Zeit für die Uni. Deshalb versuche ich auch, mein Studium ein bisschen in die Länge zu ziehe. Damit ich mir das leisten kann, will ich dafür die 5.000 Euro Preisgeld sparen, die ich als Student des Jahres bekommen habe.

     

    Hast du einen Vorsatz für das nächste Jahr?

    Es steht gerade eine kleine Reform des Lehramtstudiums in Sachsen an, bei der Credits von den Fachwissenschaften in die Bildungswissenschaften verschoben werden. Mit welchen Inhalten diese gefüllt werden, wird in den nächsten Monaten festgelegt. Das ist eine einmalige Chance, Kinderschutz im Lehramt zu verankern. Und ich will auf jeden Fall versuchen, darauf aufmerksam zu machen.

     

    Titelbild: Noah Dejanović /Universität Leipzig, SUK

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

    Verwandte Artikel

    Rasen mähen und Miete sparen

    In einer Zeit, in der Wohnraum knapp ist, bringt das Leipziger Studentenwerk ungewöhnliche Wohngemeinschaften zusammen – Gartenarbeit und transgenerationaler Austausch inklusive.

    Campuskultur Hochschulpolitik | 9. November 2025

    Süße Ernte, bittere Wahrheit

    Seit 70 Jahren summt es im Leipziger Norden: Eine Bio-Imkerei zeigt, wie
    nachhaltige Bienenhaltung auch in Zeiten von Klimawandel und Preisdruck
    gelingen kann.

    Reportage | 3. November 2025