The rage is real
Female rage ist kein Modetrend, sondern die Konsequenz eines Systems, das Frauen klein hält. Wie ein einziges, scheinbar unbedachtes Wort Machtverhältnisse offenlegt und Wut wachsen lässt.
Vorab: Ich gehöre zu den privilegiertesten Frauen – Cis und weiß. Ich kann meine Wut weitestgehend ohne existenzielle Angst aussprechen. Das muss gesagt werden.
Manchmal frage ich mich, wie viele „Fräuleins“ oder „Madames“ es noch braucht, bis wir kollektiv explodieren. Bis wir endlich laut werden dürfen, ohne dass uns jemand „hysterisch“ nennt. Meine Wut ist kein Makel. Sie ist eine Reaktion. Auf ein System, das uns seit Jahrhunderten erklärt, wir sollten bitte leiser sein und gleichzeitig erwartet, dass wir lächeln, während wir es ertragen.
„Fräulein“, „Schätzchen“ oder „Madame“: Wörter, manchmal ironisch, manchmal nicht, die in mir ein tief verwurzeltes Kribbeln auslösen. Keins von den schönen: Es ist eine unbeschreibliche Wut, aber auch eine Art Scham. Diese Begriffe verwenden Männer meist abschätzig gegenüber Frauen. Sie begegnen mir in letzter Zeit wieder vermehrt. Bewusst oder unbewusst tragen sie dazu bei, dass Frauen in ihren Äußerungen und Handlungen abgewertet und infantilisiert werden. Das Gegenüber rückt in eine überlegene Position. Und das alles, weil viele Männer von einem scheinbar gottgegebenen — oder besser: patriarchal auferlegten — Selbstvertrauen durchdrungen sind.
Und täglich grüßt die Wut
Als ich neulich wieder einmal in so einer Situation war, fragte ich mich: Was ist dieses Gefühl? „female rage“ kommt dem, was ich empfinde, wohl am nächsten. Und bevor jetzt jemand denkt, eine Welt ohne Männerhass wäre besser: Es geht nicht um Männerhass. Männer werden im Patriarchat sozialisiert, sie sind Teil eines Systems, das Generationen vor ihnen aufbauten. Aber dieses System bauten Männer vor allem für sich selbst, nicht für andere Geschlechter. Wenn sich etwas ändern soll, muss man den Fehler benennen und immer wieder darauf aufmerksam machen. Anders gäbe es heute kein Frauenwahlrecht, wir dürften nicht arbeiten oder selbst über unseren Körper bestimmen. Das macht wütend. Es ist die Wut auf ein System, in das kaum jemand passt, vor allem keine Frauen oder andere Geschlechter. Wie Tara-Louise Wittwer es treffend in ihrem Buch „Nemesis´ Töchter“ beschreibt: „female rage ist das Wissen darum, dass die Hälfte der Gesellschaft, die als unkontrollierbar und untolerierbar nicht nur dargestellt, sondern in vielen Fällen verfolgt, bestraft, eingesperrt und ermordet wurde, nicht mehr bereit ist, dies länger unkommentiert und tatenlos hinzunehmen.“
Die Infrastruktur des Patriarchats
Jedes „Eine Frau sollte das nicht sagen“, jede ungefragte Berührung, jedes Nachlaufen und Bedrängen, aber auch jedes ironisch gemeinte „Fräulein“ oder beleidigende „Schlampe“, nur weil ich nicht für eine Gruppe drei mir entgegenkommender Männer anhalte und warte, hat meine Wut wachsen lassen. Die Muster unserer Gesellschaft sitzen so tief, dass es schwerfällt, Neues keimen zu lassen. Das gilt für Frauen und Männer, für das Denken übereinander. Gedankenstränge müssen neu verknüpft und weniger in Boxen gedacht werden. Nur weil ein Mann weint, ist er nicht unmännlich; und nur weil eine Frau für ihre Meinung einsteht, ist sie nicht hysterisch. Begriffe wie „weich“, „sinnlich“ oder „emotional“ dürfen nicht automatisch mit Weiblichkeit verknüpft werden, genauso wenig wie „dominant“, „durchsetzungsstark“ oder „stark“ automatisch mit Männlichkeit. Diese sprachlichen Verkehrszeichen lenken unser Verhalten. Sie müssen gebrochen werden, damit Männer weich sein dürfen und Frauen stark, ohne dass das reflexartig als „das dürfen sie nicht“ bewertet wird.
Was Frauen über andere Frauen denken
Die Vorstellung, wie Frau-Sein auszusehen hat, sitzt tief und sie wirkt auch unter Frauen. Es tut weh zu sehen, wie Frauen andere abwerten: „Sie sei nicht so wie die“, „Sie rege sich ja nicht so auf“, „Sie komme viel besser mit Männern klar“ heißt am Ende oft, andere Frauen seien zu zickig. Das ist internalisierte Misogynie. Sätze, durch die Feminismus als nicht mehr notwendig erachtet wird. Und das, obwohl Gewalt gegen Frauen noch immer Realität ist. Das BKA gab für 2023 bekannt, dass es 360 Tötungsdelikte an Frauen gab, nur auf Grund ihres Geschlechts. In Tagen sind das 360. Ein Jahr hat 365 Tage.
Ich erwische mich zwar nicht dabei, den Feminismus für obsolet zu erklären, aber ich erwischte mich manchmal dabei, wie ich selbst misogyne Gedanken habe. Wie ich Frauen ihre Gefühle im ersten Moment abspreche und einen Schritt zurücktreten muss, um das zu reflektieren.
Deswegen mein Wunsch an dich, liebe / lieber Leser*in: Lass diese Kolumne kurz in deinem Kopf nachhallen. Frag dich, wann du vielleicht auch gedacht hast: „Ach komm, so schlimm ist es doch nicht.“
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