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  • Unterschätzt, aber unentbehrlich

    Die Zahl der Erstis, die ein Studium der Geisteswissenschaften beginnen, ist in Deutschland rückläufig. Auch an der Uni Leipzig lässt sich das Phänomen beobachten.

    Die Geisteswissenschaften kämpfen gegen Klischees und für ihre Rolle im gesellschaftlichen Diskurs
    Immer weniger Studienanfänger*innen entscheiden sich für die Geisteswissenschaften, und das trotz insgesamt steigender Studierendenzahlen in Deutschland. Laut dem Statistischen Bundesamt hat sich die Zahl der Erstsemester in den Geisteswissenschaften innerhalb von 20 Jahren um mehr als 20 Prozent verringert: 2003 waren es noch rund 64.000, im Jahr 2023 dagegen nur noch 50.000.
    Währenddessen wächst das Interesse an anderen Fachbereichen. Vor allem in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie den Ingenieurswissenschaften (jeweils +39 Prozent) immatrikulierten sich seit 2003 mehr Menschen.

    Zu den Geisteswissenschaften zählen, nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit, Fächer wie Philosophie, Religion und Ethik, aber auch Archäologie, Medien- und Theaterwissenschaft, Regionalwissenschaften, Anthropologie und Ethnologie. Weit gefasst gehören auch Sprach- und Literaturwissenschaften dazu.

    Uni Leipzig auch betroffen

    An der Universität Leipzig spiegelt sich der bundesweite Trend wider: Die Zahl der Studierenden in geisteswissenschaftlichen Fächern ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Nach Angaben der Medienredaktion der Universität Leipzig waren im Wintersemester 2015/16 in den Geisteswissenschaften noch 8.375 Studierende eingeschrieben, 2024/25 waren es nur noch 7.255.
    Eine gegenläufige Entwicklung zeigt sich jedoch im Bereich des Lehramts der Geisteswissenschaften. Während die Gesamtanzahl insgesamt schrumpft, steigen die Einschreibungen fürs Lehramt trotz kleiner Schwankungen an. 2015/16 waren es insgesamt 1.795 Studierende, zehn Jahre später bereits 2.044.

    Von Stereotypen behaftet

    „Philosoph*innen lösen Probleme, die außer ihnen niemand hätte“, habe sie schon oft gehört, erzählt Svantje  Guinebert, Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Philosophie der Universität Leipzig. Auch das stereotype Bild von Träumereien und endlosen Diskussionen halte sich hartnäckig: „In den Geisteswissenschaften würde nur geredet, die wichtigen Dinge passierten woanders“.
    Tatsächlich gebe es Debatten über sehr spezielle Fachbegriffe, die für Außenstehende kaum verständlich seien. „Aber Letzteres liegt möglicherweise unter anderem daran, dass deutlich unterschieden werden muss zwischen der wissenschaftlichen Grundlagenforschung zu spezifischen Einzelaspekten und daraus zu folgernden, für uns und unser Zusammenleben wichtigen und nachvollziehbaren Ergebnissen.“, sagt Guinebert.

    Doch vor allem hält sie Vorurteile für stark verkürzt und undifferenziert. Während andere Disziplinen schnelle Lösungen liefern müssten, gehe es in den Geisteswissenschaften darum, grundlegende Fragen zu stellen. „Etwas Nützliches tun kann ich erst, wenn ich geklärt habe, was ‚nützlich‘ überhaupt heißt“, so die Dozentin.

    „Ohne Geisteswissenschaftler*innen gibt es keine tiefere, tragfähige Auseinandersetzung mit Menschenbildern, keine kritisch durchleuchteten Entwürfe alternativer und zukünftiger Möglichkeiten, keine Erklärung und ernsthafte Reflexion der Menschenrechte. Nicht zuletzt die Art und Weise, wie gesellschaftliche Debatten geführt werden, würde von einem tatsächlich ernsthaften Interesse am Verstehen ungemein profitieren.“

    Nicht nur Lehrende, auch Studierende bekommen die gängigen Klischees über ihr Fach zu hören. Besonders Philosophiestudierende sind häufig mit spitzen Bemerkungen konfrontiert. „Das ist doch brotlos. Es gibt keine Zukunftsaussichten. Viel Gerede, kein Getue“, erzählt eine Studentin über ihre Erfahrungen. Solche Kommentare höre sie vor allem von älteren Menschen oder von Leuten, die kein positives Bild von Philosophie hätten.

    „Wichtige Rolle in der Gesellschaft“

    Guinebert betont, dass die Geisteswissenschaften gerade in Zeiten von Meinungsblasen und gesellschaftlicher Zersplitterung wichtig seien, weil sie das Verstehen unterschiedlicher Perspektiven fördern, Zusammenhänge sichtbar machen und zur Allgemeinbildung beitragen. Besonders das Verständnis von Sprache sei zentral: Sie könne Menschen verbinden, ausgrenzen oder gezielt manipulieren.

    Bei aktuellen Themen zeigen Geisteswissenschaften ihre Stärke: von der Analyse politischer Radikalisierung über Forschungen zu gesellschaftlichem Wandel und Klimafragen bis hin zum historischen Vergleich von Pandemien. „Auf Ebene des gesamtgesellschaftlichen Diskurses ebenso wie in individuellen Biographien machen sich Wirken und Fehlen geisteswissenschaftlicher Forschung deutlich bemerkbar“, so die Lehrkraft. Gerade weil Geisteswissenschaften nicht allein auf Verwertbarkeit und Nutzen ausgerichtet seien, erinnerten sie die Gesellschaft daran, was verloren gehe, wenn alles nur auf Effizienz und Brauchbarkeit reduziert werde.

    Tipps für den Berufseinstieg

    Besonders schwierig gestaltet sich der Berufseinstieg für Absolvent*innen der Geisteswissenschaften. „Schon seit mehreren Jahren zeigt sich, dass deutlich mehr Studierende Geisteswissenschaften abschließen, als studienadäquate Stellen verfügbar sind“, fasst Tina-Marie Reuter, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit Leipzig, die Ausgangslage zusammen. Sie ergänzt: „Hinzu kommt, dass Berufseinsteiger*innen oft weniger praktische Erfahrung und spezielles Fachwissen mitbringen als bereits etablierte Fachkräfte.“ Bundesweit sei die Zahl neu gemeldeter Stellen 2024 zurückgegangen, in Leipzig trafen im selben Jahr 79 Arbeitslose auf lediglich sechs gemeldete Stellen in der Berufsgruppe der Geisteswissenschaften.

    Die Ursachen für diese Misere liegen laut Reuter unter anderem im Leipziger Kultur- und Projektsektor, wo viele Arbeitsplätze von Fördermitteln abhängen und diese entsprechend befristet sind. Hinzu kämen ein hoher Wettbewerbsdruck durch die Erwartung von Publikationen und ehrenamtlichem Engagement sowie nur wenige unbefristete Stellen außerhalb von Professuren an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

    Um die Chancen im Berufseinstieg zu verbessern empfiehlt die Agentur für Arbeit, während des Studiums Praxiserfahrungen durch Praktika oder studiennahe Nebenjobs zu sammeln, sich Zusatzqualifikationen in Projektmanagement, IT und digitaler Kompetenz anzueignen und die eigenen Netzwerke zu erweitern. „Hilfreich ist auch Flexibilität – beim Arbeitsort, bei der Arbeitszeit oder beim Gehalt“, betont Reuter.

    Die Philosophiestudentin sieht die Situation zwiespältig: „Philosophie ist ein sehr theoretischer Studiengang mit unkonkreten Berufsperspektiven. Ich lerne mehr für mich selbst als für meine berufliche Zukunft.“ Für sie liegt die Stärke des Fachs in der gezielten Reflexion und im Lesen: „Philosophie heißt vor allem kritisch zu denken, Ansichten zu hinter fragen und vergleichend zu analysieren.“ Diese Qualitäten seien auch in der Berufswelt von Vorteil.

    Titelgrafik: Rosa Burkardt

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