Doppelpunkt setzt Ausrufezeichen
In der aktuellen Printausgabe werfen wir einen genaueren Blick auf die Gender-Debatte an der Universität Leipzig.
Seit fast zwei Jahren gilt an sächsischen Schulen das vom Kultusministerium verabschiedete Genderverbot. Nicht aber an Hochschulen und Universitäten, an denen Verbote geschlechtergerechter Sprache in die Wissenschaftsfreiheit eingreifen würden. Einheitliche Regeln in Lehrveranstaltungen und Prüfungsleistungen gibt es keine, dafür eine Empfehlung auf der Webseite der Universität Leipzig. Die Universität sei kein Sprachratgeber, sagt Sebastian Seyferth, der germanistische Linguistik in Leipzig lehrt. Statt Empfehlungen zur Verwendung geschlechtergerechter Sprache herauszugeben, solle die Universität sich wie das Kultusministerium am Rat der deutschen Rechtschreibung orientieren und nicht dem „Gender-Mainstream verfallen“, findet er. Doch Gender-Verbote seien autoritär, sagt Politikwissenschaftlerin Rebecca Pates: „Genau die Haltung, die den Verfechter*innen gendergerechter Sprache vorgeworfen wird.“
Der Rat für deutsche Rechtschreibung empfiehlt, Sonderzeichen zum Gendern nicht ins Amtliche Regelwerk aufzunehmen. Dennoch spricht er sich nicht gegen geschlechtergerechte Sprache aus: Das sei eine „gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann.“ Der Rat wolle die weitere Schreibentwicklung und den gesellschaftlichen Sprachwandel beobachten. Bis dahin werden Genderzeichen kein Teil der deutschen Orthografie.
Sollte nun an der Universität Leipzig gegendert werden? Die Empfehlung des Senatsbeschlusses sieht die Verwendung geschlechtsneutraler Formulierungen sowie das Gendern mithilfe eines Doppelpunktes vor. Geschlechtergerechte Sprache wird aber nicht an allen Fakultäten gleich gehandhabt. Die Studierenden nehmen das Gendern im Campusalltag ganz unterschiedlich wahr. „Es ist manchmal umständlich, aber wenn es hilft, mehr Sichtbarkeit und Inklusion herzustellen, finde ich das nicht zu viel verlangt“, sagt Lehramtsstudentin Henriyeta. Sie selbst versuche immer, gendersensible Sprache zu verwenden, damit sich alle angesprochen fühlen. Diese Haltung nehme sie auch bei ihren Kommiliton*innen wahr. In den Lehrveranstaltungen erlebe sie das Thema aber kaum. „Nur in den Bildungswissenschaften habe ich aktiv die Aufforderung bekommen, in den Prüfungsleistungen zu gendern“, sagt die 25-Jährige.
Bezüglich der Bewertung von Prüfungsarbeiten steht es den Studierenden aktuell frei, ob sie gendern oder nicht. In der Germanistik liege dazu seit zwei Jahren ein Institutsratsbeschluss vor, der festlege, dass alle Formen zugelassen seien, sagt Professor Seyferth. Dennoch wünscht er sich persönlich die Rückkehr zum generischen Maskulinum: „Diese Form ist verallgemeinernd – das war das generische Maskulinum bereits im Althochdeutschen“, begründet er seinen Standpunkt. In der germanistischen Linguistik gebe es keine einheitliche Position. Besonders an Universitäten sei Gendern aber schon zu einem Substandard geworden. Er selbst glaube, Gendern werde sich in der Sprechergemeinschaft nicht durchsetzen, „weil es nicht in der Natur der Sprache liegt und es gegen mindestens zwei Sprachprinzipien verstößt: die Sprachökonomie und die Standardisierung.“
Professorin Pates zweifelt aus anderen Gründen am gendergerechten Sprachwandel: „Diese sich in studierten Kreisen durchsetzenden sprachlichen Neuerungen stoßen auf Unmut in großen Teilen der Bevölkerung. Sie gelten als Versuche, sich sozial abzugrenzen und die eigenen bildungsbezogenen Privilegien nach außen zu tragen“, sagt sie. Aus politikwissenschaftlicher Sicht könne man den Endzweck der Demokratie in der Gleichheit aller Bürger*innen sehen. Dazu solle geschlechtergerechte Sprache beitragen. Das generische Maskulinum werde mit Selbstverständlichkeit verwendet, durch Gendern werde diese Dominanz von Männlichkeit in der Gesellschaft und in der Sprache denaturalisiert. „Aber nicht alle haben das Privileg, über den Telos der Demokratie nachzudenken und ihre Sprache entsprechend zu verändern“, sagt Pates.
Auf geteilte Meinungen ist auch Lehramtsstudent Tilman gestoßen. In der Chemiedidaktik habe es im vergangenen Semester einen Projekttag für Leipziger Schulklassen gegeben. Vorab hätten sich die angehenden Lehrkräfte Gedanken über die Verwendung geschlechtergerechter Sprache gemacht: „Da an sächsischen Schulen das Verbot für das Gendern mit Sonderzeichen gilt, standen wir vor der Frage, wie wir gendergerechte Sprache handhaben wollen. Einige von uns wollten dennoch gendern. Andere brachten den Vorschlag ein, ausschließlich das generische Femininum zu verwenden“, sagt der 22-Jährige. Allerdings sei das Institut auf die Zusammenarbeit mit den Schulen angewiesen. „Um negative Konsequenzen zu vermeiden, kamen wir auf Bitte unserer Professorin zu einem Kompromiss“, erklärt Tilman. So haben die Studierenden in ihren Präsentationen gegendert, in Arbeitsblättern und anderen Dokumenten, die die Schüler*innen aber mit nach Hause nehmen konnten, wurde darauf verzichtet. Mit der Fächerkombination Englisch und Chemie nimmt der Lehramtsstudent den Umgang mit geschlechtergerechter Sprache an den verschiedenen Instituten unterschiedlich wahr.
Auch Jura-Studentin Charlotte berichtet, dass viele Dozierende in ihren Vorlesungen und Skripten konsequent gendergerechte Sprache verwenden würden. „Wir hatten jedoch auch schon Professoren, die sich darüber ganz boomermäßig aufregten“, sagt die 22-Jährige. In ihrer Fakultät kleben überall Sticker, die auf eine Initiative aus dem Jahr 2021 aufmerksam machen: Als einzige juristische Fakultät Deutschlands heißt die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig „Juristenfakultät“. Eine geschlechtsneutrale Umbenennung in „Juristische Fakultät“ wird vor allem von studentischer Seite gefordert. Die Hochschulgruppe Kritische Jurist*innen Leipzig startete eine Kampagne und veranstaltet aktuell offene Treffen, um die Änderung durchzusetzen, doch die Forderung ist in der Universität umstritten.
Bei der Debatte um geschlechtsneutrale Formulierungen gehe es nicht einfach um grammatikalische Eingriffe in die Sprache, sondern um die Repräsentation und Anerkennung aller, sagt Theaterwissenschaftsstudent Luis und findet, sein Institut leiste gute Arbeit, gendergerechte Sprache durch Sensibilisierung umzusetzen.„Die Lehrpersonen achten auf die Pronomen und die Verwendung gendergerechter Sprache“, meint der 22-Jährige, der selbst beim Sprechen und Schreiben gendert. Auch im Studiengang Informatik gebe es Dozierende, die aufs Gendern achten, sagt Informatikstudent Leon. „Viele Begriffe in der Informatik werden aber auch einfach aus dem Englischen übernommen und sind somit geschlechterneutral“, merkt er an.
Dass Dozierende und wissenschaftliche Mitarbeitende geschlechtergerechte Sprache verwenden, hängt laut Seyferth mit einem Konformitätsdruck zusammen, der sich auch unter den Studierenden widerspiegeln würde. „Es herrscht ein vorauseilender Gehorsam, der Empfehlung der Universität zu folgen“, sagt Seyfert. Diese werde „falsch“ gelesen und stattdessen als Anweisung aufgenommen. Er beklagt den damit entstandenen Zwang: „Aber Sprachwandel entsteht niemals von oben, sondern aus der Sprechergemeinschaft heraus.“
Die Studierenden der Universität Leipzig gendern nicht aufgrund der Universitätsempfehlung. Dass es diese gibt, wusste zumindest niemand der Befragten. Für Seyferth erfüllt das Gendern nicht den Zweck der Gleichbehandlung, sondern sei „pseudofeministisch“ und „pseudoprogressiv“. „Aus grammatischer Sicht müsste das jeder Sprachforscher ablehnen. Sprache hat nicht die primäre Funktion, Geschlechteridentitäten abzubilden“, sagt er. Politikwissenschaftlerin Pates aber wünscht sich, dass „die Sprachforschung die politischen Bedingungen, unter denen sich Sprache ändert, mit ins Auge nehmen sollte.“
Titelbild: Antonia Bischoff


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