„Manche knuspern zu viel an der Karriereleiter“
Mephisto-Darsteller Hartmut Müller spricht im Interview mit Caroline Tennert darüber, was ihn zu einem guten Teufel macht.
Auerbachs Keller wird 500 Jahre alt. Anlässlich dessen wurde die Rektorin der Universität Leipzig Eva Inés Obergfell im März zur Ehrenbotschafterin gekürt. Viele Menschen assoziieren die Lokalität mit Faust und viel mehr noch mit Mephisto, die beide in Goethes Tragödie auf einem Weinfass aus Auerbachs Keller hinausreiten. Die Figur des Mephisto kann man dort auch heute noch erleben: Hartmut Müller tritt mittlerweile seit 30 Jahren in der Rolle auf. Mit luhze-Redakteurin Caroline Tennert sprach er unter anderem darüber, was ihn zu einem guten Mephisto macht.
luhze: Hat sich Ihre persönliche Sicht auf das Böse verändert, seitdem Sie den Teufel verkörpern?
Müller: Ja, das ist ja die ganz große Frage: Ist eigentlich Mephisto der Böse? Eigentlich ist der Böse, oder der manchmal „nicht Gute“ der Faust. Der versagt nämlich. Dieser Mephisto ist eigentlich nur die Ausrede für das Fehlverhalten des Menschen. Viele schimpfen auf den Mephisto. Das Schlimme ist eigentlich, dass Gott und Mephisto eine Wette gemacht haben und Faust der Spielball der beiden ist.
Wie sind Sie zu Ihrem Job gekommen?
Ich habe im Poetischen Theater „Louis Fürnberg“ in Leipzig im Studententheater gespielt. Mit meinem Bruder zusammen hatte ich Anfang der 90er Jahre ein Theaterprojekt. Das war Tanztheater, Pina-Bausch-Ästhetik. Da haben wir etwas mit dem Roten Tod gespielt. Den damaligen Restaurantleiter von Auerbachs Keller, Horst Georg Wende, konnten wir als Sponsoren für das Projekt gewinnen. Dann hat er gesagt, er möchte hier in den historischen Weinstuben von Auerbachs Keller ein Programm machen, unter dem Titel „Ein Abend bei Herrn Goethe“. Da haben wir gespielt – ich war Mephisto. 1996 hat sich die Stadt Leipzig in zehn deutschen Städten präsentiert und ich habe den Mephisto gespielt. Da war nicht nur der Oberbürgermeister dabei, sondern auch einige Hoteldirektoren. Zurück in Leipzig haben die mich angerufen, um mal für ihre Gäste den Mephisto darzustellen. Auch Herr Reinhardt kam auf mich zu, der vorher Koch im Merkur-Hotel und dann Wirt von Auerbachs Keller war, und hat mich gefragt, ob ich dort regelmäßig auftreten würde. Das Programm war ursprünglich für donnerstags, also einen umsatzschwachen Tag, gedacht.
Wie ist Ihre persönliche Beziehung zu dem Werk Faust?
Ich habe vor Jahren, als ich mein Mephisto-Solo geschrieben habe, versucht, Faust I auswendig zu lernen. Ich kann auch vieles davon und erstaunlicherweise fällt es mir immer noch leicht, auswendig zu lernen. Aber wenn man das nicht permanent wiederholt, dann verblassen auch einige Dinge. Goethes Faust ist eine gigantische dichterische Leistung. Ich musste vorhin innerlich grinsen, als die Rektorin eine Bemerkung darüber gemacht hat, wie Pflichtliteratur auf Schüler wirkt – dass es abschreckt, wenn man lesen muss. Ich gebe auch Faust-Seminare für Schüler und kenne das selbst. Ich bin der Sohn einer Deutschlehrerin, und deswegen habe ich Pflichtliteratur gehasst. Es ist natürlich ein historisches Werk, über 200 Jahre alt und ein schwerer Stoff. Aber ich vertrete die Meinung: Wenn man als Schüler nicht herangeführt wird, dann nimmermehr.
Wie oft und in welcher Form treten Sie auf?
Das Donnerstags-Programm war zuerst ein Duett, da hat ein anderer Schauspieler, ein Mann in einer Rockrolle – also als Frau verkleidet – das Gretchen gespielt. So wurden wir immer gebucht und da hat Herr Reinhardt dann mal gesagt: „Mensch, Herr Müller, wir bräuchten noch ein Solo, weil zwei Personen für Familienfeiern manchmal zu teuer sind.“ Dann habe ich also ein Solo geschrieben. Es war nie so, dass ich nur von dem Job allein leben konnte. Seit 2016 spiele ich in Auerbachs Keller auch den Fasskellermeister – das ist ein einstündiges Programm. Als mein Vorgänger langsam auf das Seniorenalter zuging, hat man mich gefragt, ob ich den Fasskellermeister machen kann. Dazu habe ich auch ein Programm erarbeitet. Seit 2022, nach Corona, ist es so, dass ich außer in den Sommermonaten und vielleicht im Januar, zwischen 20 und 25 Auftritte habe. Als Mephisto und Fasskellermeister.
Was braucht es, um ein überzeugender Mephisto zu sein?
Man braucht Erfahrung und Selbstbewusstsein, weil man nicht auf der Bühne steht und die Wand im Rücken hat, sondern unter den Gästen ist. Und man muss viel wissen, damit es nicht nur platt und Fassade ist – natürlich sollte man den Faust kennen und verstanden haben. So etwas merken die Gäste schon. Es geht um die Figur an sich, den Teufel: Sobald ich geschminkt und umgezogen bin, spricht mich keiner mehr mit meinem Namen an, dann bin ich Mephisto. Und man muss die Menschen lieben, für die man es macht.
Woran erkennen Sie, dass Sie überzeugen?
Mein Applaus ist nicht das anschließende Klatschen. Das gibt es natürlich. Aber wenn die Leute zwischendurch quieken, wenn es Spaß macht und die Leute sich freuen – das hat Bedeutung. Gerade bevor ich das Mephisto-Lied singe, sage ich immer: „Wer will, kann mitschunkeln, lasst euch einfach gehen.“ Und da kann man staunen, auch wenn es nur eine Herrenrunde ist oder eine Bauarbeiterbrigade, dass die mit einem Mal schunkeln, weil es der Teufel gesagt hat. Dann leben die Leute auf und freuen sich und filmen und stoßen an. Letztens habe ich bei einer Gesellschaft die Zueignung gesprochen. Da sind einem Lehrer, einem älteren Herrn, die Tränen gekommen.
Wie setzt sich Ihr Publikum zusammen?
Es bleibt im Querschnitt sehr unterschiedlich. Also Nerds, die feiern mich. Das muss ich einfach sagen. Manche wollen auch einfach unterhalten werden und sich amüsieren. Da bin ich – lieb gemeint – der Märchenonkel. Es gibt aber welche, die wahrscheinlich zu viel an der Karriereleiter knuspern. Da kann ich machen, was ich will, die reiße ich nicht vom Hocker. Erst, wenn ich fertig bin, gibt es Applaus. Als ob die sich schämen – emotional ausgetrocknet. Manche sind so in ihrem Karrieredenken und haben Angst davor, einen Ausbruch zu haben, ihre Emotionen zu dem zu zeigen, was gerade geboten wird, weil sie nicht wissen, ob ihre Kollegen das möglicherweise als negativ bewerten. Das ist schade. Das Gegenteil davon sind wieder die Älteren, für die es ein Fest ist, dass der Mephisto kommt. Weil es sie an ihre Kindheit erinnert.
Wer wären Sie, wenn Sie nicht Mephisto geworden wären?
In der Kindheit wollte ich erst Raubritter werden und dann Förster – ich bin nämlich in der Nähe der Burg Falkenstein aufgewachsen und war schon mit fünf Jahren oft im Wald unterwegs. Ich habe noch zu DDR-Zeiten Werkzeugmacher mit Abitur gelernt und auch handwerklich gearbeitet. Nach der Wende verlegte ich quadratkilometerweise Teppich und Fliesen. Freunde schätzen das heute sehr. Studiert habe ich Museologie. Ich war auch bei der Morgenpost als Klatschkolumnist und habe einmal einen Artikel für die Männer-Vogue geschrieben. Und bei der LVZ habe ich die „Theke“, die Gastro-Beilage, mit entwickelt und vier Jahre lang geschrieben. Ich habe mich auch selbst in der Gastronomie versucht und wäre auch gern Kneiper, also Gastgeber – um eine schöne Atmosphäre zu schaffen.
Titelbild: Andreas Schmidt


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