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  • Hier bin ich Faust, hier darf ich’s sein!

    Im Buch- und Schriftmuseum können Besucher*innen in die virtuelle Welt von Goethes bekanntestem Werk eintauchen und selbst zu Faust werden. Dieser Artikel verrät, warum sich das durchaus lohnt.

    „Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor!“ Das ist ein Satz, mit dem sich die Worte „Goethe“ und „Faust“ bei mir und wohl vielen meiner Mitmenschen sofort verbinden. Manch eine*r mag das wohl auch nach der Lektüre von Goethes wohl bekanntestem Werk denken. Die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) verspricht nun einen neuen modernen Zugang dazu.

    „Goethe VR“ heißt der Teil der Dauerausstellung, der jetzt in Leipzig und Frankfurt am Main erlebt werden kann. In einem Kooperationsprojekt mit ZDF Digital und anderen Kultureinrichtungen hat die DNB eine Version von Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ als Virtual Reality (VR) Experience erarbeitet.

    Das ist etwas ganz Neues für mich, die das Drama zwar bereits gelesen und im Schauspielhaus auf der Bühne gesehen, aber noch nie ein Werk wirklich selbst erlebt hat. Darum bin ich etwas aufgeregt, als ich die breiten Treppen der DNB in Leipzig hochsteige. Wie funktioniert das Ganze? Wie fühlt es sich an, Mephisto gegenüberzustehen? Ist es ein Problem, dass ich von Technik kaum Ahnung habe und Linkshänderin bin?

    Alle Besucher*innen, die sich online über die Seite der DNB für „Goethe VR“ angemeldet haben, bekommen eine kurze Einweisung. Spielbar ist in neun verschiedenen Sprachen. Dazu zählen neben gängigen Optionen wie Deutsch und Englisch, auch die außereuropäischen Sprachen Arabisch und Indonesisch (Bahasa). Ob als Brillenträger*in oder mit der linken oder rechten Hand gespielt wird, ist dabei nicht wichtig.

    Zuerst ist das Gucken anstrengend und ich fühle mich ein bisschen benommen – dank zusätzlicher FFP2-Maske fällt das Atmen unter dem Headset etwas schwer. Das legt sich jedoch schnell, als ich in eine karge Wüstengegend eintauche. Mir nähert sich ein Pudel. Wie erwartet entpuppt sich dessen „wahrer Kern“ als Mephisto. Er bietet mir den berühmten Pakt mit dem Teufel an. Ich nehme die Feder und unterschreibe.

    Bald staune ich über den 360°-rundum-Blick in immer neuen Gegenden. Mephisto nimmt mich mit durch Raum und Zeit. Das Gefühl, gerade eine spannende Reise zu erleben, wird nur ab und an unterbrochen, wenn ich einen Schritt zu weit mache und durch die Spielfeldbegrenzung daran erinnert werde, dass ich mich nicht in der realen Welt befinde, oder ich vorsichtig nach dem Kabel taste, um nicht darüber zu stolpern.

    „Goethe VR“ ist neu und modern und macht es für die Spieler*innen noch einfacher, sich in den großen Zweifler Faust hineinzuversetzen. Vom Erstaunen über die immer neue Umgebung bis hin zur Wut auf Mephisto und Verunsicherung, als mir Schuld, Not, Sorge und Mangel gegenüberstehen. In den gut 20 Minuten erlebe ich eine ganze Bandbreite an Gefühlen, die im Theater auf meist drei bis fünf Stunden verteilt sind. Das ist ein wenig erschöpfend, aber auch sehr interessant. Zumal Goethes poetische Sprache im scheinbar direkten Gespräch gut funktioniert und die Kombination aus der Zärtlichkeit und Sprachgewalt seiner Worte dadurch am eigenen Leib intensiv fühlbar wird.

    Die kurze Spielzeit ist allerdings nicht nur von Vorteil. Nicht etwa, weil ich definitiv gern noch weitergespielt hätte, sondern weil der Inhalt beider Teile von Goethes Werk auf sieben Szenen gekürzt ist. Dies hat zur Folge, dass die Zusammenhänge für Besucher*innen, die Faust“ vorher absolut nicht kannten, nur schwer zu fassen sein dürften und ein paar Szenen, die ich gern gespielt hätte, nicht dabei waren. Aufgrund des Formates, bei dem die Spieler*innen selbst zu Faust werden, sind einige bekannte Monologszenen des großen Gelehrten wohl auch sehr schwer umsetzbar.

    Als ich das Headset absetze, bin ich überrascht. Zum einen davon, dass es so schnell vorbei war und ich an einer ganz anderen Stelle im Raum stehe, als ich dachte. Zum anderen, weil ich das Gefühl habe, etwas mir gut Bekanntes doch wieder ganz neu erfahren zu haben. Die Konflikte des Faust rund um Liebe, Tod, Verlangen nach Macht und Durst nach Wissen kommen mir einmal mehr erstaunlich aktuell vor. Der Ausstellung gelingt es durch die Immersivität des Formats, diese großen Fragen mit dem je eigenen Ich in Verbindung zu bringen.

    Es lässt sich festhalten: Als Einstieg oder nachträgliche Ergänzung, wohl aber nicht als vollständiger Ersatz, erweist sich „Goethe VR“ für Besucher*innen als besonders wertvoll. Die Faktoren Spaß und Neuheit sind in Wesentlichen das, was die Adaption zu einem gelungenen Projekt macht.

    Foto: André Wendler

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