Der Mensch hat ausgedient
Computer, Smartphone, Bluetooth-Kopfhörer – Technik ist aus unserem Leben nicht wegzudenken. Kolumnist*in Jo reflektiert das Zurechtkommen in einer Welt, in der Leben und Sterben von KI bestimmt wird.
Eigentlich würde ich mich als progressiv bezeichnen. Doch wenn es eine Sache gibt, bei der man meine Position als eher konservativ bezeichnen könnte, dann ist das Technik. Vor kurzem fragte ein Dozent, ob wir Künstliche Intelligenz für unser Studium verwenden würden. Zunächst erwartete ich die typische Belehrung, bloß keine generative KI zu benutzen, da diese fehleranfällig sei und zu Abzügen in der Bewertung oder gar zum Nichtbestehen des Moduls führe. Umso erstaunter war ich, dass er uns die Nutzung von KI explizit nahelegte.
Ein großer Teil der Anwesenden gab an, im Studium KI zu nutzen. Sei es für die Zusammenfassung von Texten oder als eine Art Suchmaschine, um schnell Definitionen oder Themen zu recherchieren. Darauf angesprochen, warum ich nicht dazu zähle, diagnostizierte ich mir selbst eine latente Technikskepsis.
Indizien dafür finden sich bereits in meiner Kindheit. Schon früh fing ich damit an, Dinge zu basteln, Essbesteck zu schnitzen oder mir – bewaffnet mit Taschenmesser, Schnur und einer ausgedienten Rettungsdecke – kleine Hüttchen im nahegelegenen Wald zu bauen. Man merkt schnell: Ich hatte in der Schulzeit wirklich keine Freunde. Dies musste ich dann selbstverständlich damit kompensieren, aberhunderte Stunden in diverse Videospiele zu investieren. Dennoch blieb mir ein Verständnis für moderne Technik, wie die Funktionsweise eines Computers, sehr abstrakt und unverständlich, woran auch der Informatikunterricht nichts ändern konnte.
Und ich glaube, genau das ist der Punkt. Meine Skepsis ist Ausdruck meines Argwohns gegenüber Dingen, deren Funktionsweisen ich nicht verstehe und deren Verbreitung ich nicht kontrollieren kann. Moderne Technik ist heutzutage allgegenwärtig. Man denke nur an den kleinen Taschencomputer, den jeder permanent bei sich trägt und dessen Ursprungszweck, das Telefonieren, die wenigsten noch aktiv nutzen. Uhren bekommen immer neuere Funktionen, sodass das Anzeigen der Uhrzeit meist nur noch eine Nebenrolle spielt. Für die Nutzung meiner Kopfhörer muss ich mittlerweile extra Apps und Treiber installieren , wenn ich die Fahrt mit der Bahn erträglich gestalten will. Diese Technikpermanenz überfordert mich.
Vielleicht ist es die damit einhergehende Ohnmacht, die Gewissheit, dass die Technik voranschreitet und ich als Individuum nichts tun kann, um diese Entwicklung aufzuhalten. Ihr Voranschreiten ist quasi ein Naturgesetz. Und die Geschwindigkeit nimmt dabei immer weiter zu. Was heute dem aktuellen Stand der Technik entspricht, ist in einem Monat veraltet. Und ich habe keine Möglichkeit, mich an diesem Prozess nicht zu beteiligen.
Oft begleitet mich der Wunsch, mich von der technischen Entwicklung abkapseln zu können. Wie oft denke ich darüber nach, mir einfach eine Blockhütte im Wald zu bauen, mich nach außen abzuschotten, die Welt um mich herum zu ignorieren. Gleichzeitig weiß ich, dass ich das nicht aushalten würde. Wo, wenn nicht im Internet, finde ich Informationen zum nächsten, irrelevanten Nischenthema, für das ich eine fünf Minuten andauernde Hyperfixierung entwickle? Wie, wenn nicht über mein Handy, kann ich mit Freunden und Bekannten in Kontakt bleiben? Wie, wenn nicht über Google Maps, finde ich den Weg aus dem Wald heraus und zum nächsten Supermarkt?
Der Verzicht auf digitale Technik wird immer unbequemer. Ohne Bankkonto, kein Lohn, weil dieser kaum noch bar ausgezahlt wird. Banküberweisungen können zwar noch analog erledigt werden, doch auch das wird schwieriger, weil Bank-Filialen geschlossen werden. Jeder, der bis dahin dem Online-Banking skeptisch gegenüberstand, muss sich jetzt zwangsläufig damit auseinandersetzen.
Der Zwang zur Digitalisierung verläuft schleichend. Doch er kommt und wird mit einer Friss-oder-Stirb-Mentalität vorangetrieben. Wer sich der immer schnelleren Entwicklung nicht anpassen kann, hat halt Pech gehabt. Wer Teil dieser Gesellschaft sein und bleiben will, muss den technischen Fortschritt akzeptieren.
Umso zynischer ist, dass der Mensch seinen Gegner sogar selbst trainiert. Bei Anmeldungen auf Websites muss ich durch das Anklicken bestimmter Bildkacheln beweisen, dass ich ein Mensch bin. Mit meinen Antworten trainiere ich die Bild- und Gegenstandserkennung künstlicher Intelligenz. Doch auch generative KI wie ChatGPT oder Bildgeneratoren brauchen Trainingsdaten. Diese erhalten sie aus dem Internet. Es arbeiten also Menschen an Maschinen die irgendwann ihre Arbeiten ersetzen können.
In einer idealen Welt wäre das kein Problem. Wenn Maschinen die Arbeit der Menschen übernehmen, haben Menschen mehr Zeit, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Es bliebe mehr Zeit für das Zwischenmenschliche, für die Familie, mehr Zeit für sich selbst, für Kunst und Selbstverwirklichung. Menschen müssten sich nicht darum sorgen, dass Maschinen ihren Job obsolet und sie selbst damit arbeitslos machen würden. Doch leider leben wir nicht in einer idealen Welt.

Mein Problem ist nicht die Technik, sondern unser Umgang damit. Und gerade sieht es danach aus, als würde eben jener zum Problem werden.
Anstatt den Menschen von seiner Arbeit zu entlasten, wird allen voran die Kunst zum Produkt künstlicher Intelligenz. Bildgeneratoren ersetzen schon jetzt Grafikdesigner, Sprachmodule wie ChatGPT sind schon jetzt dazu geeignet, journalistische Artikel, Romane, Songs und – zugegeben noch etwas holprige – Gedichte zu verfassen. Der Ausdruck und die Verarbeitung menschlicher Gefühle und Emotionen treten in den Hintergrund.
Unter dem Wegfall von Arbeitsplätzen leiden am meisten Kreative und Beschäftigte im Dienstleistungssektor sowie in der Industrie. CEOs und Unternehmer, also Menschen, die einfach nur von der Arbeit anderer profitieren, müssen sich keine Sorgen machen. Statt Menschen arbeiten halt nun Maschinen für sie und maximieren ihre Profite.
Ich glaube, die (meine) Akzeptanz für moderne Technik wäre höher, wenn die sozialen Folgen abgefedert würden. Wenn Maschinen dafür genutzt würden, den Menschen zu entlasten. Wenn unser Bild von Leistung und Wert in Frage gestellt würde und man dem Menschen diese Entlastung auch zugestände.
Warum muss man noch acht Stunden arbeiten, um sich ein Leben leisten zu können, wenn Maschinen diese Arbeit effizienter und billiger erledigen können. Warum hängen wir angesichts jenes Fortschritts immer noch an dem antiquierten Gedanken fest, dass Arbeit mit Lohnarbeit gleichzusetzen sei und der Mensch erst dann ein würdiges Leben führen dürfe, sobald er sich bis in den Burnout oder den Bandscheibenvorfall geschuftet hat?
Die Maschine muss dazu dienen, die Lebensqualität des Menschen zu vergrößern, nicht den Profit der Unternehmen. Sie muss für den Menschen arbeiten, nicht andersherum. Leider existiert technischer Fortschritt als bloßer Selbstzweck, nicht als Motor für den gesellschaftlichen Wandel. Unternehmen entwickeln neue Technik, um sich einen Vorteil gegenüber ihrer Konkurrenz zu verschaffen. Das Ziel ist, ständig einen neuen Zwang zu erschaffen, Produkte zu kaufen, um die Profite von Unternehmen zu steigern. Das ist notwendig, damit unser auf stetiges Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem nicht zusammenbricht. Gewinnmaximierung steht an erster Stelle.
Technik ist ein integraler Teil unseres Lebens geworden. So sehr, dass sie bereits die Kontrolle darüber besitzt. Künstliche Intelligenz entscheidet darüber wie wir leben und auch über unser Lebensende.
Das israelische Militär nutzt laut Tagesschauberichten eine künstliche Intelligenz, welche mittels Bewegungsdaten, die sie selbst erfasst, berechnet, wer sich als potenzielles Ziel anbietet und wo sich welche Zielperson wann genau aufhält. Es lässt sich kaum feststellen, warum die KI genau diese Person ausgewählt hat. Künstliche Intelligenz entscheidet also schon heute über Leben und Tod.Das klingt verdammt dystopisch. Es ist aber Realität.
Nun stellt sich frei nach Lenin folgende Frage: Was tun? Den technischen Fortschritt zurückdrehen? Uns langsam wieder in die Steinzeit entwickeln?
Wir neigen dazu, bestimmte Aspekte der Vergangenheit zu verklären. Den Charme, den analoge Geräte wie Schreibmaschinen, Plattenspieler oder die rustikale, selbstgewählte Einsamkeit einer Waldhütte mit sich tragen. Doch betrachten wir dabei nur die vermeintlich positiven Dinge dieser prä-digitalisierten Zeit. Auf den Komfort, den uns der technische Fortschritt heutzutage bietet, wollen wir dann doch nicht verzichten.
Es ist schon sehr ironisch, dass ich diese Kolumne gerade an einem Laptop schreibe und nicht traditionell mit Schreibmaschine, per Hand oder mit Hammer und Meißel auf einer Steinplatte. So oft, wie ich mich hier verschreibe, Gedanken und Absätze neu ordne, können wir froh sein, dass kein halber Wald dafür draufgehen musste. Oder dass ich dafür keinen eigenen Steinbruch brauchte.
Es ist zu leicht, die Fortschritte in der Medizin und die Arbeitserleichterungen, die uns technischer Fortschritt beschert, zu vergessen. Technik ist auch Buchdruck, Herzschrittmacher, Treppenlift, Beatmungsgerät, Impfstoff- und Medikamentenforschung. Technik und Digitalisierung machen das Leben und die Arbeit von Milliarden von Menschen einfacher. Ja, sie machen das Leben, das Überleben und die Teilhabe vieler Menschen überhaupt erst möglich. Technischer Fortschritt ist die Grundlage für den Lebensstandard, den wir heutzutage genießen dürfen. Auch wenn er mir Angst macht. Das Verteufeln von Technik ist trotz der Risiken, die sie mit sich bringt, nicht zielführend. Stattdessen müssen wir als Gesellschaft lernen, verantwortungsbewusst und reflektiert mit ihr zu leben und umzugehen. Dazu zählt auch, unsere Leistungs- und Wettbewerbsorientiertheit zu hinterfragen.
Jedes mit technischer Weiterentwicklung einhergehende Problem ist lösbar, wenn man die Gesellschaft und ihre Normen nicht als starren Monolithen, sondern als veränderbar versteht. Wir sind nicht dazu verdammt, dass Technik sämtliche Aspekte unseres Lebens kontrolliert. Es fehlt nur der politische Wille zur Veränderung. Letztlich bin ich kein Gegner des technischen Fortschritts. Ich bin ein Gegner von dem, was unsere aktuelle Gesellschaft daraus macht.


Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.