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    Buchblogger*innen prägen die Lesekultur. Trotz Druck und finanziellem Aufwand bieten sie neue Perspektiven und Teilhabe am Buchdiskurs.

    Der Buchkritiker von gestern ist ziemlich tot. Zumindest für die Generation Z. Statt stundenlangen Monologen im Stuhlkreis zu lauschen, welche mit besserwissenden Intellektuellen bis zur Unverständlichkeit getrieben werden, folgt man nun Buchblogger*innen.  

    Denn Bücher zu lesen ist heute für viele untrennbar mit sozialen Medien verbunden. Unter dem Hashtag #BooktTok auf der Plattform TikTok teilen Buchliebhaber*innen eine Fülle von Mini-Rezensionen, Fan-Arts, monatlichen Leseempfehlungen und anderen Trends. Die Relevanz der kurzen Videos zeigt sich deutlich: Wie und über welche Bücher in den sozialen Medien gesprochen wird, hat einen unmittelbaren Einfluss auf das Kaufverhalten der Generation Z. Das beobachtet aktuell beispielsweise die Buchhandelskette Hugendubel, wie die geschäftsführende Gesellschafterin Nina Hugendubel im Gespräch mit der Badischen Zeitung selbst sagt: „Tiktok ist sehr relevant, wenn es darum geht, die jüngeren Leserinnen und Leser abzuholen oder an das Buch heranzuführen.“ Und in dieser florierenden digitalen Buchwelt spielen eben jene Buchblogger*innen die entscheidende Rolle. Denn nicht jede*r hat das Glück, in dem eigenen Freundeskreis Buchbegeisterte zu haben. Deshalb lassen sich die Fans durch ihre Lieblingsblogger*innen ans Lesen erinnern, feiern deren kreative Art, das Thema Buch aufzunehmen und suchen in den Kommentaren unter den Videos den Austausch mit anderen Buchliebhaber*innen. 

    Eine dieser Blogger*innen ist die 21-jährige Tabea (@tabeajoanna auf TikTok), die mit über 198 Tausend Follower*innen auf der Plattform eine der absoluten Größen der deutschsprachigen Branche ist. Auch sie hat damals über den amerikanischen #BookTok zum Lesen gefunden – mittlerweile verdient sie damit „indirekt“ Geld, indem sie ihre Leseeindrücke auf TikTok teilt. Da stellt sie vor allem Bücher vor, welche Verlage an die Buchbloggende schicken. Doch auch Tabea muss hin und wieder dafür kämpfen, dass sie über diese Wertgegenstände hinaus für ihren Job von den jeweiligen Verlagen bezahlt wird. Dass eine unzureichende Bezahlung in diesem Feld so gängig ist, frustriert sie.  

    In der Rezension ist Tabea Authentizität wichtig. Im Gespräch macht sie allerdings deutlich, dass sie zwar ehrlich bleibt, aber mit den jeweiligen Verlagen vorher abspricht, ob sie wirklich eine negative Review herausbringen soll. Hier unterscheidet sie sich stark von der traditionellen Feuilleton-Kritikerin. Auch wenn man bei Tabea wirklich nicht mehr von einer Amateurin sprechen kann, wird Laienkritik in den sozialen Netzwerken immer wieder hinterfragt. Nicht nur die Qualität der Reviews, sondern auch die Auswahl der getroffenen Bücher erlebt häufig Missfallen vonseiten der herkömmlichen Medien. So kritisierten die Fans, dass beim #BookTok-Award in der Liste für den Preis des Community-Buchs kaum tatsächlich gehypte Werke auftauchten, und verbanden dies schnell mit Juror Denis Scheck. Der Literaturkritiker kennt sich in der traditionellen Buchszene zwar aus, aber die Online-Community macht klar: #BookTok ist ein Raum, der als eine Form Safe Space für junge, primär nicht-männliche Sichten auf Bücher geschaffen wurde. Darum richten sich die Werke primär an Frauen und die allermeisten Bloggenden sind FLINTA* – gerade diese Perspektive scheint ihnen einen Mehrwert zu geben, der im klassischen Feuilleton fehlt. 

    „Ja, wir sind Menschen, aber was online ist, sind Personas“ 

    Auf der Leipziger Buchmesse wird Tabea umringt von Follower*innen und anderen Buchblogger*innen. Überwältigt ist Tabea davon nicht, sie empfindet das Community-Treffen als eine Art Familienzusammenkunft, freut sich, angesprochen zu werden. Andere finden es befremdlich, wenn Fans zu ihnen eine parasoziale Beziehung aufbauen. „Ja, wir sind Menschen, aber was online ist, sind Personas“, sagt Cardi (@cardiscorner auf Instagram).  Diesen Austausch sehen sie und ihre Podcastkollegin Janina (Podcast @herzblutaufpapier auf TikTok, Podcast: Herz über Kopfzeilen) jedoch als das Wichtigste beim Bloggen über Bücher. Denn die Online-Buch-Community lebe vom Miteinander. „Sehen und gesehen werden“, heißt es hier. Doch eigentlich seien besonders die Buchfans sehr freundlich, meint Lifestyle-Creatorin Nikey (@nikeydauringon auf Instagram). Die Wahlleipzigerin macht seit zwei Jahren vermehrt Buchcontent, woraufhin immer mehr Lesende auf sie aufmerksam werden – Fans, die das Thema Buch verbindet. So sind viele Bloggende und Autor*innen besonders im deutschsprachigen Raum miteinander vernetzt. Die Buchmesse dient da als physischer Austauschraum über die eigene Community hinaus, das Digitale kann analog werden.  

     „Man hat das Gefühl, manchmal wird auf Masse gelesen.“ 

    Doch in der Buchbubble ist nicht alles nur toll. So kritisiert Nikey unter anderem, dass viele gehypte Romane gewaltverherrlichend seien und auch, dass für sie queere Repräsentation in vielen Werken, die im Internet bejubelt werden, zu kurz kommt. Alle Bloggenden berichten auch vom Druck, möglichst viel lesen zu müssen. Leseziele von über 100 Büchern im Jahr sind in der Szene nichts Außergewöhnliches. „Man hat das Gefühl, manchmal wird auf Masse gelesen“, meint Janina und sieht ein finanzielles Manko bei den digitalen Buchtrends. Kritisch sieht auch Joana (Joana June auf YouTube) diese kapitalistische Auseinandersetzung mit Büchern. Das habe für sie weniger mit Literaturliebe und mehr mit Zahlen zu tun. Als Creator*in müsse man lernen damit umzugehen. Nikey versucht, diesem Druck etwas entgegenzusetzen, und zeigt, wie viele Seiten sie wöchentlich liest. Klingt erst mal paradox, aber immer wieder sind in ihren Leseupdates auch Tage dabei, an denen sie kein Buch in die Hand genommen hat. So versucht sie, anderen die unrealistischen Erwartungen zu nehmen. Dennoch bleiben bei vielen die Bücherregale randvoll gefüllt, vor denen TikToks und Reels gedreht werden. Dass das Buch hier als Statussymbol genutzt wird, scheint mehr als deutlich. Der Mainstream kauft, sieht Cardi. Und das imponiert den Zuschauenden natürlich auch. Privilegierte Perspektiven können also auch in dieser Szene besser ankommen als andere – auch wenn letzten Endes der Algorithmus entscheidet, was trendet. Und wie der sich entscheidet, kann niemand genau vorhersehen. Blogger*in sein, heißt also auch, immer teilweise im Ungewissen zu leben. Besonders, wenn man sich komplett selbstständig macht. Aber gerade Vollzeit-Bloggende haben eben auch mehr Zeit, sich dem Lesen und dem Content-Produzieren zu widmen. Damit sollte man sich als Anfänger*in nicht messen. 

     „Letzten Endes wird man es bereuen, wenn man es nicht tut.“ 

    Cardi gibt neuen Buchblogger*innen Hoffnung: Eigentlich koste es kaum (Mehr-)Geld, auf Social Media Videos über Bücher zu drehen, solange man ein mobiles Endgerät besitzt und sich Bücher leihen kann. Alle anderen muntern auch zum Mitmachen auf. Sich selbst treu zu bleiben und auf andere Blogger*innen zuzugehen, ist die Devise. Joana empfiehlt, deutlich zu zeigen, dass man ein Neuzugang ist (beispielsweise über den Hashtag #BookstagramNewbie). „Letzten Endes wird man es bereuen, wenn man es nicht tut“, meint auch Tabea. Dann kann auch ein vielleicht erstmal einsames Hobby teilbar gemacht werden. 

     

    Foto: Fabienne Steindorf-Elsner

     

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