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  • Selbstoptimierte Prokrastination

    Immer mehr Menschen wollen sich persönlich weiterentwickeln, verfallen dabei aber in Prokrastination und Konsum. Kolumnist Dennis schildert seine eigene Erfahrung mit dem Thema.

    Eskapismus ist seit jeher das Mittel des Menschen, um mit Weltschmerz zu copen – erst recht in Zeiten, in denen die Welt scheinbar völlig am Kabel dreht. Krieg, Inflation, politische Instabilität, das wirklich endgültige Ende von „Wetten dass“, alles Variablen in deiner unlösbaren Alltagskrisenformel, für die du dir an der metaphorischen Tafel unter dem Gelächter deiner Klasse eine passende Lösung aus den Rippen schneiden musst.

    Während sich ein Teil in den Rausch oder materiellen wie immateriellen Konsum flüchtet, versucht sich ein eher kleiner Teil mit Selbstoptimierung. Du fragst dich, was ich meine, während du diese Kolumne montags um halb 12 Uhr mittags auf deiner durchgelegenen Matratze ohne Bettgestell liest? Kurz gesagt, man möchte die eigene Selbstwahrnehmung oder Physis verbessern, neue Kompetenzen erlernen, um Vorteile in Alltag oder Karriere zu erhaschen, oder um sich schlicht und einfach besser zu fühlen. Das kann zum Beispiel sein, dass man konsequent anfängt ins Gym zu gehen, um die eigene Fitness zu verbessern, sich tiefer mit sozialer Interaktion auseinanderzusetzen, um den oder die Traumpartner*in kennenzulernen, oder Businessskills zu lernen, um die lange erträumte Selbständigkeit oder finanzielle Freiheit zu erreichen. Und ich glaube, wenn du nicht gerade Hardcore-Marxist*in bist, wirst du mir auch zustimmen, dass das erst mal gute Intentionen sind, gerade wenn du in bestimmten Lebensbereichen immer wieder gegen die gleichen imaginären Wände rennst. Gleiches dachte ich mir vor einigen Jahren auch und habe angefangen, mich mit derartigen Themen zu beschäftigen, heißt, ich habe Bücher dazu gelesen und mir nicht gerade wenig Videos reingezogen. Doch was passiert, wenn du dann die ganzen Infos hast, alle Bücher ausgelesen, und alle Youtube-Videos weggeguckt sind? Ja nix. Du hast zwar nun das Sigma-Grindset, bist aber immer noch der gleiche Dude, kaufst immer noch die gleiche Noname-Margarine, nur mit einem volleren Bücherregal und um einige Euros ärmer. Das Realitätsrendezvous kommt mit der Frustration der nicht erfüllten Erwartungen und dem Mantra, dass man einfach noch mehr Infos braucht.

    Doch was ist das Problem? Das sehr breite Spektrum der Selbstoptimierung ist ein fettes Multimillionengeschäft. Wenn du zu den Bemitleidenswerten ohne funktionierenden Adblocker gehörst, hat dir sicher schonmal eine Figur in einem hässlichen Hemd vor einem Whiteboard erklären wollen , wie DU es schaffst, ein Schneeballsystem…äh ein performatives Businessmodell zu launchen – dafür musst du nur einen Kurs oder Seminar buchen. Und da sind wir auch schon beim Problem. Es lohnt sich für gewiefte Gurus, dass du mit deinem Leben unzufrieden bist, und vor allem, dass das auch so bleibt! Denn wenn das beworbene Seminar was bringen würde, bräuchtest du kein zweites. Stattdessen baut man dir dort Luftschlösser, du hast danach einen Dopaminausschuss, bist voller Energie wie ein Saiyajin und dann? Nur noch ein Seminar, nur noch ein Buch, nur noch ein Youtube-Video. Ohne dass du es merkst, wirst du zum Konsumenten, der in einem System gehalten wird, in dem du zwar das Gefühl der Produktivität hast, aber nur gemolken wirst wie eine Milkakuh.

    Im Film „Fight Club“ von 1999 gibt es eine Szene, in welcher der Protagonist Tyler Durden erklärt „Selbstoptimierung ist Masturbation – Selbstzerstörung dagegen…“ Im filmischen Kontext bedeutete dies, jeglichem Konsum abzuschwören, in einem Abrisshaus zu leben und sich täglich im Hinterhof zu verdreschen. Im übertragenen Sinn versteht sich das als Mahnung, dass es selten ein Mangel an Informationen ist, der dich in deinem Leben zurückhält, sondern unnütze, indoktrinierte Glaubenssätze aus der Kindheit, durch das soziale Umfeld oder durch die Gesellschaft. Sich dieser zu entledigen ist jedoch viel schwerer, als sich kontinuierlich mit Wohlfühlmotivation zu betäuben, denn Veränderung ist Schmerz, der Mensch ist träge und er wird im Erwachsenenalter oftmals nur noch durch traumatische Schicksalsschläge zum Überdenken der eigenen Narrative motiviert. Am Ende findest du dich dann eben auf der Couch mit der Chipstrommel  wieder, statt ins Gym zu fahren, oder bist am Doomscrollen, statt deine Bachelorarbeit anzufangen.

    Mein Problem war unter anderem immer, vor einer großen Personengruppe zu sprechen, dazu habe ich mir auch einiges angeschaut.  Doch Selbstzerstörung heißt eben, die Dämonen aktiv zu bekämpfen, um den Glaubenssatz „Ich kann eben nicht vor vielen Menschen quatschen“ aktiv zu zerschlagen, auch wenn es sich anfühlt wie ein soziales Stahlbad, wenn man das erste Mal vor einem Hörsaal voller Erstis ein Projekt präsentiert.

    Aber weil eben viele Menschen, und ich nehme mich da auch nicht komplett raus, die harte Arbeit vermeiden wollen, begnügen sie sich mit Quickfixes: „Wie man noch diesen Monat 2000 Euro passiv verdienen kann“, „Wie man mit drei Tricks selbstbewusster wird“, oder „Wie dir diese Spritze beim Abnehmen hilft“. Doch so läuft das Game eben nicht, es gibt keine Tricks und während du bestenfalls nur nicht vorankommst, wirst du im worst case von irgendeinem Horst  aus der Youtubewerbung abgezogen. Also höre auf zu konsumieren und mach die harte Arbeit, auch wenn du dich nicht danach fühlst!

    Ach und Luise, ich weiß genau, dass du das hier liest, schreib deine Masterarbeit fertig!

     

     

    Foto: Pixabay

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