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  • „Wir sind nicht die Bösen“

    Sozialarbeiterin Jeanette Enders berät zu Schwangerschaftskonflikten, Verhütungsmethoden und auch Schwangerschaftsabbrüchen. luhze-Autorin Anne Dyba hat mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.

    Schwangerschaftsabbrüche – ein Thema, über das viel gestritten wird. Auch in Deutschland sind Abtreibungen nicht uneingeschränkt möglich. Sozialarbeiter*innen wie Jeannette Enders führen bei Schwangerschaftskonflikten und vor Abtreibungen Beratungsgespräche durch.

    luhze: Frau Enders, warum ist ein Beratungsgespräch bei Schwangerschaftsabbrüchen wichtig?  

    Jeannette Enders: Ich könnte jetzt eine ganz kurze Antwort geben: Weil es vom Gesetz leider so vorgeschrieben wird. Es kann hilfreich sein für Frauen, die vielleicht schwanken und nicht wissen, was sie tun sollen. Wir zeigen dann die verschiedenen Möglichkeiten auf und unterstützen bei einer Entscheidungsfindung. Obwohl die meisten Frauen, die zu uns kommen, sehr entschieden sind. Für diese gibt es jedoch auch Informationsbedarf zu Themen wie Verhütung, und den Bedarf nach einem Raum, über die Entscheidung zu sprechen. 

    Sozialarbeiterin Jeannette Enders arbeitet im Gesundheitsamt Leipzig. Foto: Jeannette Enders

    Was meinen Sie damit, dass ein Beratungsgespräch „leider“ verpflichtend ist? 

    Ein Schwangerschaftsabbruch ist immer noch in Deutschland im Strafgesetzbuch. Im Paragraph 218 heißt es, dass eine Schwangerschaft abzubrechen eine Straftat ist. Durch eine Pflichtberatung ist es jedoch möglich, den Schwangerschaftsabbruch straffrei bei einem Arzt oder einem Gynäkologen vornehmen zu lassen. Dadurch ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. oder 13. Woche möglich. Es ist ein Paradoxon und es ist schwierig, dass das Ganze in Deutschland immer noch unter Strafe steht, aber es wird aufgeweicht durch diese Pflichtberatung. 

    Das bedeutet, nur wenn man eine Pflichtberatung macht, ist ein Schwangerschaftsabbruch straffrei? 

    Es gibt noch zwei andere Indikationen (rechtfertigende Gründe), das eine ist die medizinische Indikation. Das heißt, wenn die Frauenärztin feststellt, dass die Schwangerschaft für die Frau psychisch oder körperlich bedrohlich ist. Dann kann auch die Ärztin den Abbruch in Absprache mit der Frau direkt vornehmen. Die dritte Möglichkeit eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs ist die kriminologische Indikation. Das heißt, wenn eine Frau unfreiwillig schwanger durch einen sexuellen Übergriff wie eine Vergewaltigung geworden ist. Sie muss nicht erst zur Polizei gehen und eine Anzeige erstatten, was fälschlicherweise immer gesagt wird, sondern kann unter Absprache mit der Frauenärztin direkt den Abbruch durchführen lassen. 

    Wie viel kostet ein Schwangerschaftsabbruch? 

    Es gibt zwei Methoden, einen Schwangerschaftsabbruch zu machen. Die Methode, die häufig in Frühschwangerschaften gewählt wird, also bis zu achteinhalb Wochen, ist ein Medikament auf hormoneller Basis. Die Kosten liegen zwischen 360 bis 400 Euro. Die andere Variante wird meist erst ab der siebten Woche angesetzt und ist eine Operation. Die kostet etwa 700 bis 800 Euro. 

    Werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen? 

    Nein, leider nicht. Es gibt jedoch eine Einkommensgrenze. Diese liegt grundsätzlich bei 1300 Euro im Monat, aber bei 1700 Euro, wenn Miete gezahlt wird, und noch höher, wenn die Frau Kinder hat. Wenn diese Einkommensgrenze durch das Nettoeinkommen der betroffenen Frau nicht überschritten wird, muss sie den Schwangerschaftsabbruch nicht selbst bezahlen. Eine Frau kann vor ihrem Abbruch ihre Krankenkasse fragen, ob in ihrem Fall die Kostenübernahme möglich ist. Die Kosten werden dann vom Staat übernommen. Bei einer medizinischen und kriminologischen Indikation werden die Kosten aber von der Krankenkasse übernommen. 

    Wer kommt zu Ihnen? 

    Wir haben die ganze Gesellschaft vor uns sitzen. Jung, älter, reich oder arm. Viele haben das Gefühl, dass sie sich rechtfertigen müssen und sind dann erleichtert, dass sie nicht unter Druck gesetzt wurden oder sich rechtfertigen mussten. Wir sind nicht die Bösen. Wir wollen niemanden überreden oder schlecht behandeln. Ja, hinter uns steht das Gesetz, das vorschreibt, dass du zur Beratung kommen musst. Und das finden wir ja selber schwierig. Aber wir wollen jeder Frau die Unterstützung und die Informationen geben, die sie braucht, um eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen, mit der es ihr gut geht.  

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