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  • Wer entscheidet, ob ich abtreiben darf?

    Kolumnistin Theresa erhofft sich von einer neuen Ampel-Koalition die Streichung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafgesetzbuch und wünscht sich eine Neuregelung in Richtung Selbstbestimmung.

    Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland eine Straftat. Lies diesen Satz nochmal. 

    Mit erhobenem Zeigefinger schauen wir momentan – zurecht – nach Polen oder nach Texas. Dabei vergessen wir schnell, dass auch hier in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert werden. Im Strafgesetzbuch findet sich der Straftatbestand zum Schwangerschaftsabbruch in den Paragrafen 218 – 219 StGB. Besonders große Proteste gab es in den letzten Jahren bereits mit Blick auf §219a, der besagt, dass für Schwangerschaftsabbrüche keine Werbung gemacht werden darf. Was zunächst für manche plausibel erscheinen mag, hat jedoch recht absurde Auswirkungen: Aufgrund von §219a dürfen Arztpraxen nicht über die praktizierte Methodik des Abbruchs informieren. Ärzt*innen wird damit nicht nur ein Werbeverbot, sondern faktisch auch ein Informationsverbot ausgesprochen. In Deutschland kam es bereits zu solchen Fällen, dass Abtreibungsgegner*innen Paragraf 219a gezielt nutzten, um Frauenärzt*innen anzuzeigen. Die Frauenärztin Kristina Hänel, der genau dies widerfuhr, hat bereits Verfassungsbeschwerde gegen ihre Verurteilung und gegen §219a eingelegt. Denn ein erschwerter Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche wendet sich direkt gegen die ungewollt Schwangeren. Es erscheint mehr als widersprüchlich, den Zugang zu Informationen zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen gesetzlich zu erschweren: Wer sollte dazu besser informieren können als die ausgebildeten Ärzt*innen, die diese Eingriffe durchführen? Und warum wird genau diesen ein faktisches Informationsverbot ausgesprochen? Das ist unverständlich und kann Ärzt*innen und ungewollt Schwangere in die Ecke der Kriminalität drängen. 

    Es gibt aber nicht nur Menschen, die sich allein gegen §219a aussprechen, einige gehen – meiner Meinung nach zurecht – noch weiter. Denn laut §218 ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland strafbar: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“. Das kann einem generellen Austragungszwang nahekommen, der allerdings in speziellen Fällen ausgesetzt werden kann. Unter bestimmten Bedingungen bleibt der Abbruch straffrei. Welche Ausnahmen das sind, ist gesetzlich genau geregelt. Damit bestimmt der über die Austragung von Schwangerschaften und die Körper der Betroffenen.  

    Mit der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen verstößt Deutschland gegen essentielle Menschenrechtsverpflichtungen. Laut UN-Menschenrechtsausschuss ist der sichere und legale Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen durch den Internationalen Pakt für Bürgerliche und Zivile Rechte geschützt. Das Centre for Feminist Foreign Policy schrieb dazu: „Die Verweigerung des Zugangs zu legalen und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ist eine Form der geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Während §218 StGB den Schwangerschaftsabbruch in Deutschland kriminalisiert, fordern internationale Menschrechtsorganisationen eindeutig eine Entkriminalisierung.“ 

    Kolumnistin Theresa steht an einem See mit Boot im Hintergrund und schaut in die Kamera.

    Kolumnistin Theresa hofft, dass Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch verschwinden.

    Die Auswirkungen von Schwangerschaftsabbrüchen als Straftatbestand wiegen schwer: Er beschränkt die körperliche Autonomie von Schwangeren, er bevormundet und kriminalisiert Betroffene sowie Ärzt*innen, er symbolisiert geschlechtsspezifische Unterdrückung und behindert die reproduktive Selbstbestimmung, er setzt die Rechte des Ungeborenen über die Rechte der Schwangeren und er behindert eine ausreichende gesundheitliche Aufklärung und Versorgung der ungewollt Schwangeren.  

     Ich finde, dieses Thema sollte noch stärker Eingang finden bei den derzeitigen Koalitionsverhandlungen. Besonders die FDP scheint sich gegen eine generelle Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen zu sträuben. All diejenigen, die sich besonders für den Schutz des ungeborenen Lebens starkmachen, sind jedoch sehr schnell in ihrer Widersprüchlichkeit zu entlarven. Endet ihr Engagement meist dann, sobald dieses „Leben“ dann geboren ist. Denn wo bleibt deren Einsatz, um dieses Leben weiterhin zu schützen: Beim Einstehen für die Rechte von Kindern, Familien, die Stärkung von Alleinerziehenden oder beim Kämpfen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist man dann auf einmal auffällig leise. Komisch… 

     Liebe (wohl bevorstehende) Ampel-Koalition, bitte streicht endlich §§218ff. aus dem Strafgesetzbuch. 

    Denn der Subtext dieser Regelung sagt mir: Nicht ich bestimme, ob ich abtreiben darf. Über Körper mit Uterus bestimmt der Staat.  

    Teaserfoto: pexels

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