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  • Mit (Un)Sicherheit überlastet

    Die wissenschaftliche Karriereleiter benachteiligt FLINTA*. luhze-Autorin Sarah befragt dazu drei Wissenschaftlerinnen der Uni Leipzig, welche die Dynamiken hinter dieser gläsernen Decke erklären.

    „Wenn ich mit Menschen außerhalb der Physik darüber rede, woran ich forsche, gibt es drei verschiedene Reaktionen: Die einen erzählen, dass sie Physik in der Schule abgewählt haben, weil es scheiße war, die anderen finden es super spannend und wollen mehr wissen und dann gibt es noch die, die sagen: ,Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.‘“ Christiane Klein, die am Institut für Theoretische Physik der Uni Leipzig zu freien Quantenfeldtheorien im Inneren von Schwarzen Löchern promoviert, sei immer wieder mit dem Vorurteil konfrontiert, FLINTA* könnten keine Physikerinn­­­en sein. Ihre Erklärung dafür: Es gebe eben so wenige.

    Obwohl der Frauen*anteil von vier Prozent unter den Dozierenden an Kleins Institut ein Extremfall ist, lässt sich auch an fakultätsübergreifenden Zahlen ein Trend feststellen, der nicht nur in Deutschland Realität im Wissenschaftsbetrieb ist: Je höher die Karrierestufe, desto weniger Frauen*. Während 2020 an der Universität Leipzig etwa 60 Prozent der Studierenden als „weiblich“ (im Gegensatz zu „männlich“ oder „divers“) registriert waren, betrug der Anteil unter den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen nur noch 47, unter den Professor*innen 27 Prozent. Das hat strukturelle und kulturelle Gründe, die sich gegenseitig bedingen.

    Georg Teichert, Leiter der Stabsstelle Chancengleichheit sowie Zentraler Gleichstellungs- und Frauenbeauftragter der Uni, sieht einen Grund darin, dass wissenschaftliche Positionen auch über Netzwerke vergeben werden. „Und Männer berufen eher Männer in diese Stellen.“ Anders als ihnen sei Frauen* außerdem Sicherheit in der Karriereplanung wichtiger und das Thema Familiengründung präsenter, beides bislang keine Stärken des Wissenschaftsbetriebs.

    Dass Frauen* grundsätzlich mehr Sorgearbeit für andere übernehmen würden, greift auch Anna Artwinska auf. Sie ist ehrenamtliche Direktorin des Zentrums für Gender Studies und Juniorprofessorin für Slawische Literaturwissenschaft und Kulturstudien an der Uni Leipzig. Laut Artwinska sind die diskriminierenden Strukturen das Ergebnis gesellschaftlicher Denkmuster: „Wir unterschätzen die Wirkungsmacht der Sozialisation und Kultur.“ Frauen* seien etwa darauf ausgerichtet, nicht so viel zu wollen wie Männer. Das Patriarchat sei noch nicht überwunden.

    Was das in der praktischen Umsetzung bedeutet, hat Janine Schulze-Fellmann selbst erlebt. Sie ist wie Artwinska Teil des Vorstands des Zentrums für Gender Studies, außerdem wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studienbüro der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Regionalwissenschaften sowie am Institut für Theaterwissenschaft und hat drei Kinder geboren. „Ich habe bewusst alle Schwangerschaften in meinen Lebenslauf geschrieben, um zu sagen: Es gibt auch Lücken in meiner Biografie. Es gibt Jahre, in denen ich raus war, in denen es keine Publikationen, Seminare oder Vorträge gibt.“ Die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft ist laut Schulze-Fellmann sehr abhängig davon, ob im Arbeitsumfeld ein Bewusstsein für so etwas wie ein Privatleben vorhanden ist. „Im akademischen Bereich existiert ein komisches Heldentum: Wer nicht jeden Morgen ankommt und überlastet sagt ,Ich kann nicht mehr‘, arbeitet nicht richtig.“ Schulze-Fellmann hat allerdings auch eine unbefristete Stelle, ein Privileg im akademischen Mittelbau.

    Gender Gap Grafik Frauen und Männeranteil in der akademischen Laufbahn

    Frauen*-und Männer*anteil in der akademischen Laufbahn in Prozent. Grafik: ses / Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2018.

    Bei Christiane Klein sieht das anders aus: Wenn sie in der Wissenschaft bleiben wolle, so die Physikerin, werde sie alle paar Jahre befristete Postdoc-Positionen haben, mit etwas Glück auf bis zu fünf Jahre ausgelegt. Gerade in der theoretischen Physik, wo die Stellen knapp seien, sei außerdem ein Auslandsaufenthalt mehr oder weniger obligatorisch. „Ich kann mir nicht vorstellen, Kinder aufzuziehen, wenn ich weiß, dass ich währenddessen alle drei Jahre den Ort wechseln muss.“

    An den Stellenbefristungen, die das Wissenschaftszeitvertragsgesetz regelt, kann der universitäre Frauenbeauftragte Teichert erst einmal nichts ändern. Die Stabstelle für Chancengleichheit konzentriert sich stattdessen darauf, etwa im Rahmen des „Team“-Förderprogramms weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs mit Mentoring, Workshops und Netzwerkbildung zu unterstützen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit Angeboten wie Kinderbetreuung zu verbessern. Ein weiteres Anliegen ist Teichert die Besetzung von Berufungskommissionen. Lediglich etwa 32 Prozent der zwischen 2014 und 2020 neu besetzten Professuren an der Uni Leipzig gingen an Frauen*. Deswegen hält Teichert eine geschlechterparitätische Besetzung der Auswahlkommissionen für „eigentlich selbstverständlich“.

    Die Uni Leipzig müsse sich aber auch finanziell zur Gleichstellung als Daueraufgabe bekennen. Ein Großteil der Stabstelle für Chancengleichheit werde nämlich über Drittmittel gefördert, sagt der Frauenbeauftragte. Sie stammen zu über 80 Prozent aus dem Professorinnenprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. „Ich fordere, dass ein Teil auch aus Haushaltsmitteln finanziert werden muss.“

    Schulze-Fellmann wünscht sich dieses Bekenntnis auch auf einer philosophischen Ebene. Das Rektorat müsse allen Mitarbeitenden klarmachen, dass das Selbstbild der familienfreundlichen Uni auch zu leben sei. „Das muss auch im Alltag zur Geltung kommen, gerade in leitenden Funktionen. Zum Beispiel haben wichtige Sitzungen und Informationsveranstaltung in der Kernarbeitszeit stattzufinden.“

    Info: Mit dem Sternchen (*) in “Frauen” und “Männer” weisen wir darauf hin, dass diese in Zitaten und Statistiken vorkommende Kategorie ein Konstrukt ist.

     

    Foto: Sarah El Sheimy

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