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  • Bis Mut zur Gewohnheit wird

    Um dem Wunsch näherzukommen, Journalistin zu werden, sagt Kolumnistin Laura ihrer Schüchternheit den Kampf an.

    Als ich den Hörer auflege, muss ich vor Freude erst einmal durch die halbe Wohnung tanzen. Ich habe gerade erfolgreich ein Interview für einen Artikel geführt, den ich schreiben möchte. Für alle, denen der Zusammenhang zu meinem Glücksgefühl noch nicht ganz klar ist: Ich bin schüchtern.

    Diesen letzten Satz zu teilen, stellt für mich eine ziemliche Überwindung dar. Ihn von Angesicht zu Angesicht zu sagen, ist fast völlig undenkbar. Interaktion mit fremden Menschen fällt mir in den meisten Fällen nicht leicht. Ich fürchte mich vor der Zurückweisung, die ich erfahren könnte, auch in Situationen, die eigentlich überhaupt kein Konfliktpotential bergen. An besonders unsicheren Tagen vermeide ich jedes Gespräch, das nicht unbedingt sein muss. Aber das Problem ist nicht, dass ich darum manchmal drei Tage hintereinander in der Mensa Nudeln esse, weil ich mir die selbst nehmen kann oder erst dann einkaufen gehe, wenn in der Küche nur noch Mayo pur zu finden ist. Das Problem ist, dass ich mir in den Kopf gesetzt habe, Journalistin zu werden.

    Das klingt im ersten Moment höchstwahrscheinlich wie eine wahnwitzige Idee. Ist es vielleicht auch. Journalist*innen müssen schließlich ständig Interviews führen, telefonieren und spontan Fragen stellen. All das sind Dinge, bei denen mir ordentlich das Herz klopft – manchmal schon Tage vorher. Dann laufen meine Gedanken im Kreis. Alles dreht sich darum, was ich wem wie sage, welche Antwort ich bekommen werde, wie ich zu einem bestimmten Ort komme und ob das Gespräch wohl angenehm wird. Trotzdem tue ich mir all das mittlerweile mehr oder weniger regelmäßig freiwillig an.

    Kolumnistin Laura guckt genervt in die Kamera. Sie trägt ein weißes T-Shirt und einen grauen Rucksack, unter der dunkelblauen Schiebermütze gucken kurze braune Haare hervor. Im Hintergrund eine grüne Bahn-Haltestelle.

    Schüchtern zu sein kann richtig nerven.

    Journalismus vereint zwei Dinge in sich, die ich über alles liebe: kritisches Denken und Schreiben. Seit ich denken kann, schreibe ich Gedichte und Kurzgeschichten und im Philosophiestudium habe ich bereits versucht, mir eine gesunde kritische Distanz zu Meinungen und Texten anderer anzutrainieren. In beidem – Literatur und Philosophie – versuche ich, meine eigene Stimme zu finden und mich selbst besser zu verstehen. Journalistisches Schreiben hingegen bedeutet für mich, die Stimme anderer Menschen zu sein oder ihnen eine zu geben. Zu informieren, reflektieren, kommentieren. Das ist eine unglaubliche Chance, den eigenen Horizont zu erweitern.

    Trotz aller Schüchternheit und Introvertiertheit finde ich andere Menschen total interessant. Ich höre ihnen gern zu und bin überzeugt, von jedem Gegenüber in irgendeiner Form etwas zu lernen. Außerdem habe ich das Gefühl, mit dem journalistischen Schreiben etwas bewirken zu können. Mehr als einmal kamen nach einer Rezension oder einem Bericht Menschen zu mir, die nur wegen meines Textes ein Theaterstück angeguckt oder eine Ausstellung besucht haben. Dann habe ich das Gefühl, ihnen zu neuen Erlebnissen und Perspektiven verholfen zu haben und das macht mich glücklich.

    Sogar die Schüchternheit selbst hat positive Seiten. Beobachten und Zuhören zum Beispiel sind Dinge, in denen ich ziemlich gut bin. Vielleicht besser als eine Person, die immer sofort auf andere zugeht. Ich versuche außerdem stets, alle Seiten verstehen zu können und kann auch die gegenteilige Meinung zu meiner eigenen nachvollziehen. Das ist zwar manchmal ziemlich anstrengend, kann aber gerade für neutrale Berichterstattung wichtig sein. Außerdem liebe ich es, meine Texte zu überarbeiten, neue Formulierungen zu finden oder radikal zu streichen, was doch nicht gelungen ist. Dieser Perfektionismus macht meine Texte ein Stück weit besser, denke ich.

    Nach positiven Rückmeldungen und geschafften Telefonaten bin ich dann oft extrem erleichtert. Mindestens genauso oft bin ich aber frustriert. Vorzugsweise, wenn ich ein wirklich spannend klingendes Artikelthema nicht übernehme, weil ich dann wieder drei Telefonate und zwei Gespräche führen müsste. Solche Momente sind besonders schlimm. Nicht nur, weil ich weiß, dass ich mich unnötigerweise neuer Erfahrungen beraube. Auch, weil sich an dieses Wissen der alles überschwemmende Zweifel anschließt. Vielleicht überwinde ich das alles nie; vielleicht bin ich doch nicht gut genug; vielleicht sollte ich gar nicht schreiben. Im Anbetracht des gescheiterten Anlaufs sind alle erfolgreichen Versuche null und nichtig und es fühlt sich blödsinnig an, auch nur zu hoffen, dass ich beim nächsten Mal mutiger sein könnte.

    Andererseits: Ohne ein wenig Angst kann niemand mutig sein und ohne Mut bleibt man wahrscheinlich immer, wie man ist und tut nur, was man schon tausende Male getan hat. Viel wichtiger als alle Zweifel ist doch, dass mir das Schreiben Freude bereitet. Darum möchte ich in Zukunft öfter zum Hörer greifen oder Veranstaltungen besuchen. Ich möchte in Zukunft mutig sein. So oft, dass dieser Mut zur Gewohnheit wird. Ob mir das gelingen wird, weiß ich nicht – sonst wäre es ja auch nicht mutig, es zu versuchen.

     

    Bilder: Laura Schenk

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