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  • Paragraphenpalaver

    Kolumnistin Sanja ist in zwei Jahren Studium über die eine oder andere Kuriosität in der juristischen Sprache gestolpert. Vom Taschengeldparagraphen bis hin zu Normen über Bienen.

    „Man darf vor Gericht nicht lügen, aber man darf Tatsachen behaupten, von denen man nicht überzeugt ist“, erklärt uns der Professor in der Zivilprozessrechtsvorlesung. Das sind also die Juraweisheiten.
    Mein Studium hat den Ruf, sehr trocken zu sein. Und wenn wir über die Kostenverteilung der Polizeiverwaltung reden oder ich in „Recht der öffentlichen Ersatzleistungen“ sitze und dem Professor beim Vorlesen des Skriptes zuschaue, dann habe ich auch den Hauch einer Ahnung, wie es zu diesem Ruf gekommen ist. Aber beim Brüten über Paragraphen oder beim Lesen von Lehrbüchern stolpert man doch über die eine oder andere juristische Kuriosität, die eine*n zum Schmunzeln bringt. Hier also eine Einführung in die skurrile Welt der Juristerei.

    Eine meiner Favorit*innen ist die „Schwelle zum ,Jetzt geht’s los‘“. Es sei dazu gesagt, dass unter Jurist*innen viele den Begriff nur widerwillig und naserümpfend annehmen. Doch er wird dennoch angewendet und sorgt regelmäßig für meine Belustigung. „Die Schwelle zum ,Jetzt geht’s los‘“ wird verwendet, um festzustellen, ob ein*e Täter*in schon zum Versuch einer Straftat angesetzt hat. Ob also ein versuchter Mord vorliegt oder nicht, hängt unter anderem davon ab, ob die „Schwelle zum ,Jetzt geht’s los‘“ überschritten wurde. Diese Schwelle kann man sich so vorstellen, dass der*die Täter*in hinter einem Busch sitzt, dann hervorkommt und sich subjektiv denkt: „So, jetzt geht aber mein Mord los.“ Und über so etwas brüten dann Richter*innen am Bundesgerichtshof.

    Kolumnistin Sanja Steinwand

    Kolumnistin Sanja findet Paragraphen witzig.

    Jurist*innen beschäftigen sich viel mit Paragraphen. Und so kommt es auch, dass der eine oder andere Paragraph liebevolle Spitznamen bekommt. Ein solches Schicksal hat auch den Paragraphen 110 BGB ereilt. Im Jurist*innenmund auch allgemein als „Taschengeldparagraph“ bekannt. Dieser schreibt leider kein Recht zum Taschengeld vor, sondern er ermöglicht es Minderjährigen, die noch nicht geschäftsfähig sind, Geschäfte abzuwickeln, solange dies mit ihrem eigenen Geld geschieht. Wenn sich also ein Siebenjähriger ein Eis kauft, dann ist das Geschäft trotzdem wirksam, obwohl er als Minderjähriger nicht geschäftsfähig ist. Eben weil er dieses Eis mit seinem eigenen Geld gekauft hat. Berühmtberüchtigt ist auch die Ikea-Klausel. Diese besagt, dass wenn eine Anleitung fehlerhaft ist oder ganz fehlt, dies als Sachmangel gelten kann. Wessen Anleitungen also besonders oft fehlerhaft waren, liegt auf der Hand.

    Auch die Normen sind manchmal von sich heraus ulkig. Beispielsweise der Paragraph 964 BGB. Dieser regelt die Vermischung von Bienenschwärmen  ̶  und wem der Bienenschwarm nach einer solchen Vermischung gehört. Es finden sich noch zwei, drei weitere Normen zu Bienen und Bienenschwärmen. Ende des 19. Jahrhunderts muss das wohl ein ernst zu nehmendes Problem gewesen sein. Wenn ich durch das BGB blättere auf dem Weg zu Paragraph 985 BGB, einer Norm, die insbesondere im Sachenrecht von besonderer Bedeutung ist, bleibe ich manchmal am Paragraphen 984 BGB hängen: Dem Schatzparagraphen. Dieser regelt, dass wenn ein Schatz gefunden wird, die Hälfte dem*der Finder*in und die Hälfte dem*der Eigentümer*in des Grundstücks gehört. Ein Glück, dass wir ein Gesetz haben, das solche Situationen regelt.

    Und wenn wir schon beim Sachenrecht sind, ganz inspiriert von der Farm der Tiere, gibt es Besitzer*innen, aber es gibt auch „nicht-so-berechtigte-Besitzer“. Man ist dann „nicht-so-berechtiger-Besitzer“, wenn man sein vertragliches Benutzungsrecht überschreitet. Nehmen wir an, man mietet ein SUV und in dem Vertrag steht ausdrücklich drin, man solle nur auf befestigten öffentlichen Straßen fahren. Man möchte sich aber wie in einer dieser Autowerbungen fühlen, in denen die Menschen durch die Wüste und den Wald fahren und das Auto immer noch blitzblank ist und fährt doch klammheimlich mit dem Auto auf die Wiese. Dann also ist man „nicht-so-berechtigter-Besitzer“.

    Neben dem vielen Geld in den Großkanzleien, den guten Berufsaussichten und dem „Oh das ist aber anstrengend“ als Reaktion sind also juristische Kuriositäten ein guter Grund, das Studium anzufangen. Und dann wäre da natürlich auch das Ding mit der Gerechtigkeit. Wenn ihr jetzt nicht anfangen wollt, Jura zu studieren, dann wes ik och nischt.

    Fotos: Sanja Steinwand

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