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  • Schmerzhafte Aktualität

    „Madrid, Bad Life” dreht sich um eine psychosoziale Studie aus dem Jahr 1901, die sich mit gesellschaftlich Ausgestoßenen beschäftigt. Auf humoristische Weise arbeitet sich der Film durch die Kapitel.

    Der Kurzfilm der Regisseur*innen Ignacio Ruiz Gómez, Isabela Bianchi, Pablo Adiego Almudevar und Maria Gómez feierte am 26. Oktober 2021 während des DOK Festivals Deutschlandpremiere. Als sich die Lichter im Saal verdunkeln und Stille im Cinestar in Leipzig einkehrt, sehen wir Hochhäuser und eine Baustelle in Madrid. Der Film beginnt chronologisch am Anfang der Studie. Die Off-Stimme liest in dokumentarüblichem, ruhigem Tonfall die Definition von Außenseiter*innen vor. Von den Hochhäusern Madrids wechselt die Perspektive in den Untergrund – die Slums der Stadt. Die Regisseur*innen haben bewusst das Zentrum Madrids gewählt, da hier der gesellschaftliche Kontrast besonders deutlich wird. „Es ist eine vertikale Gesellschaft“, erzählen sie in einer Fragerunde nach der Premiere. „Nirgends sonst wird dieser Unterschied so deutlich wie zwischen den Menschen, die in diesen Hochhäusern leben und denen, die darunter leben.“ Was mit „darunter“ gemeint ist, zeigt der Film anschaulich: dunkle Unterführungen, dreckige Straßenecken und leerstehende verfallene Baracken.

    Wie eine Tierdokumentation stellt der Film anschließend die verschiedenen Kategorien der Außenseiter*innen vor. Sie seien oft „Schmarotzer*innen und Parasiten“, erzählt die Off-Stimme mit einer Selbstverständlichkeit, als würde es sich dabei nicht um geschichtlich hochproblematische Begriffe handeln. Die gezeigten Bilder wollen aber nicht so recht zum Gesagten passen. Die Szenerie zeigt sonnige Wiesen, auf denen Menschen sitzen und Obst essen, ein Kontrast, der den ganzen Film über aufrechterhalten wird, um die menschenfeindlichen Worte der Studie zu kontern. Das ist jedoch nicht der einzige Antagonismus, mit dem der Film aufwartet. Strikt im 4:3-Format und VHS-Look gehalten, erinnert er an die 1980er Jahre. Aber die Menschen tragen überall, wo sie hingehen, einen Mund-Nasenschutz. Über dieses künstlerische Element schafft der Film einen subtilen Aktualitätsbezug. Zwar ist der Wortlaut der Studie von 1901 heute nicht mehr gesellschaftlich akzeptiert, aber die Debatte um Außenseiter*innen in Städten, zum Beispiel Obdachlose oder Drogensüchtige, wird heute noch im selben Ton geführt.

    „Was in dem Buch gesagt wird, klingt natürlich schrecklich für das moderne Ohr, aber es hat immer noch eine gewisse Ähnlichkeit zu dem, was in unserer Stadtpolitik diskutiert wird“, erzählen die Regisseur*innen. Die Studie sei tatsächlich von den Vorfahren von einem der Regisseure durchgeführt worden. „Wir haben nach Material für unsere Abschlussarbeit gesucht und dann kam er mit dem Buch an und wir haben uns nur gedacht ‚Oh mein Gott, sowas existiert?‘“ Für ihn war der Film auch eine gewisse Aufarbeitung und er musste lernen, sich von solchen Familiengeschichten loszusagen und das Werk mit mehr Humor zu lesen. In diesem Sinne findet auch keine weitere Einordnung des Gesagten statt. Aussagen wie die, dass Homosexualität eine genetische Störung oder eine Krankheit sei, treffen ohne diese zwar besonders hart, führen aber auch die schmerzhafte Realität vor Augen, die in einigen Köpfen immer noch existiert.

    Die Absurdität wird lediglich visuell dargestellt. Die Szenen wirken stark übertrieben, entsprechen aber exakt dem Wortlaut der Studie. So sehen wir zum Beispiel triebgesteuerte Homosexuelle, die nicht anders können, als mitten in einem Park Sex zu haben. Dabei spürt man aber, dass sich die Schauspieler*innen nicht ernst nehmen und die Off-Stimme humoristisch verarbeiten. Trotzdem hinterlässt der Film einen faden Beigeschmack, denn es bleibt die ungemütliche Gewissheit, dass solche Denkweisen immer noch in der Gesellschaft verankert sind.

    Foto: DOK Leipzig 2021 / Madrid, Bad Life; Ignacio Ruiz Gómez, Isabela Bianchi, Pablo Adiego Almudevar, Maria Gómez

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