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  • Harmonische Schreibtischarbeit

    Im Gemeinschaftsbüro Raumstation wird mit Großraumbüroklischees aufgeräumt. luhze-Redakteur Laurenz Walter besuchte das Projekt für unser Oktober-Thema „Schöne neue Arbeitswelt".

    Als ich das Gelände des Tapetenwerks in Leipzig Lindenau betrete und das Gemeinschaftsbüro Raumstation im zweiten Obergeschoss aufsuchen möchte, macht die Chefin, Martina Ecklebe, gerade Mittagspause in der Cafeteria nebenan. Ich solle doch schonmal ins Büro gehen und dort auf sie warten. Das erste, was mir dort ins Auge fällt, ist der Schriftzug Raumstation, der, zusammen mit einer einäugigen Katze und zwei vier­fingrigen Marsmännchen, die Wand gegenüber dem Eingang ziert. Ich lasse mich an einer der sechs Arbeitsplatzinseln, bestehend aus jeweils zwei oder drei blauweißen Schreibtischen, nieder. Ein sehr freundlicher Herr begrüßt mich und macht mir erstmal einen Kaffee. Nach ihrer Mittagspause bekomme ich von Ecklebe eine kurze Tour durch das Büro: Nebenan befinden sich ein weiterer Raum mit einem großen Arbeitsplatz und zwei durch Türen abgetrennte Einzelbüros. Außerdem gibt es eine Gemeinschaftsküche mit Kaffee, Milch und Erfrischungsgetränken, und eine sehr geräumige Holzterrasse. Es stehen viele Zimmerpflanzen in der Gegend herum. Die gesamte Einrichtung der Arbeitsplätze ist angenehm uneinheitlich. Die Wände sind dekoriert mit Polaroidfotos der hier arbeitenden Menschen, etlichen Postkarten und einem in Andy-Warhol-Manier gehaltenen Poster von Erich Honecker mit Katzenkrawatte.

    Seit ungefähr 20 Jahren gibt es die sogenannten Coworking Spa­ces. Das Konzept ist denkbar einfach: Es handelt sich um eine geteilte Bürofläche, wo sich all jene einen Arbeitsplatz mieten, deren Konzentrationsfähigkeit da­heim zu wün­schen übrig lässt. Das können Angestellte oder Selbst­ständige aus allen möglichen Berufsfeldern sein. Auch manch ein Student soll sich schon in die Raumstation verirrt haben, um einer Hausarbeit den letzten Schliff zu verpassen. Zum grundsätzlichen Angebot eines jeden Gemeinschaftsbüros gehören Flexdesks und Fixdesks. Erstere sind eher für ständig wechselnde Benutzer ausgelegt, der Tisch muss also abends aufgeräumt und alle persönlichen Gegenstände mitgenommen wer­den. Zweitere sind etwas teurer und perfekt für Dauergäste geeignet.

     

    Die beiden Gründerinnen stehen vor einer Ziegelsteinmauer. Sie tragen blondes Haar und lächeln.

    Gründerinnen Martina Ecklebe und Jeanine Böger

    Ihren Ursprung haben Coworking Spaces in Kalifornien, aber schon sehr schnell ist der Trend auch nach Europa übergeschwappt. Im Jahr 2007 gab es 75 Coworking Spaces weltweit – mittlerweile sind es über 26.000 (Stand 2020). Das klingt nach einem boomenden Geschäftsmodell und viele der großen Ge­meinschaftsbüros werfen be­stimmt auch einiges an Gewinn ab. Die Raumstation allerdings verfolgt einen weniger profitorientierten Ansatz. Beispielsweise werden die Räume nie für Netzwerk-Veranstaltungen vermietet, was bei anderen Coworking Spaces gängige Praxis ist, um zusätzliche Einnahmen zu verzeichnen.

    „Heute ist ein verregneter Freitag. Deswegen ist es viel leerer als sonst“, sagt Ecklebe, die zusammen mit ihrer Kollegin Jeanine Böger vor zehn Jahren die Raumstation gegründet hat. Grund dafür war vor allem die Schließung des ehemaligen Gemeinschaftsbüros Le Space, eines der ersten seiner Art in Leipzig. Dort hat Ecklebe früher regelmäßig Büroarbeit für ihren Beruf in Göttingen erledigt. Als Le Space ban­krott zu gehen drohte, fehlte ihr genau dieser Anlaufpunkt. Um den Fortbestand der Institution zu ermöglichen, bedurfte es eines Umzugs in den zweiten Stock und umfangreicher Renovierungsarbeiten. Die jetzigen Räum­lichkeiten der Raumstation waren damals entkernt, sämtliche Strom- und Internetanschlüs­se mussten neu verlegt werden.

    Tatsächlich sind heute außer mir nur drei weitere Menschen anwesend. Normalerweise arbeiten ungefähr elf Personen pro Tag in der Raumstation, viele von ihnen sind regelmäßig da. Die Atmosphäre vor Ort vergleicht Ecklebe mit der einer Klassenfahrt: „Es ist ein familiäres Arbeitsumfeld, in dem Witze gerissen werden und die Menschen sich gegenseitig unterstützen. Hat also mal wieder versehentlich jemand seine Tastatur auf Englisch umgestellt, wissen andere prompt die passende Tastenkombination.“ Immerhin, ich muss sowas zuhause immer wieder aufs Neue googeln. Neulinge werden von den alten Hasen mit offenen Armen empfangen und herumgeführt. Die Anmeldung erfolgt ganz unbürokratisch. Für einen kostenlosen Probetag kann man einfach erscheinen, wann man will. Generell hat die geschäftige Atmosphäre um einen herum einen seltsam konzentrationsfördernden Effekt. Wer beim Arbeiten dennoch seine Privatsphäre benötigt, kann eines der beiden verschließbaren Einzelbüros mie­ten. Des Weiteren gibt es zwei Kammern für Telefonkonferenzen. Diese sind zwar nicht perfekt schallgedämpft, aber wenigstens geht man den anderen nicht ganz so sehr auf die Nerven.

    Gerade in einer Zeit, in der sich die Menschen plötzlich mit der Notwendigkeit des Homeoffice konfrontiert sehen, bemerken viele, so auch ich selbst, dass das eigene Schlafzimmer vielleicht nicht der optimale Platz ist, um jeden Tag aufs Neue konzentriert seinen Verpflichtungen nachzugehen. Mal klingelt es an der Tür, mal läuft der Mitbewohner durch das Zimmer, um auf dem Balkon eine zu schmöken, mal verliert man sich für Stunden in alten Fotoalben. Bestimmt werden sich in Zukunft noch mehr Menschen nach einer Alternative umschauen und vielleicht das Konzept Coworking für sich entdecken. Die Pandemie war aber natürlich auch für die Raumstation eine Herausforderung. Während des harten Lockdowns war der Arbeitsplatz geschlossen, und auch danach gab es, wie für alle öffentlichen Innenräume, strikte Auflagen. Mittlerweile ist wieder ein Stück Normalität eingekehrt.
    Die Vorstellung, später in einem Großraumbüro irgendeiner Firma zu arbeiten, sich dieser Anonymität und einer nicht enden wollenden Gleichförmigkeit der Tage aussetzen zu müssen, löst in mir, und bestimmt auch in vielen anderen jungen Menschen, Gefühle blanken Horrors aus. Das Konzept Coworking Space kann da gut gegenhalten. Vor allem das vielfältige Zusammentreffen von un­terschiedlichen Leuten mit unter­schiedlichen Aufgaben bringt eine ungewohnte frische Brise in den langweiligen Büroalltag.

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