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  • Catcalling kennt keine Jahreszeiten und kein Ende

    Vor circa einem Jahr hat Kolumnistin Theresa eine wütende Instagram-Story über Catcalling verfasst. Das Thema nimmt kein Ende und ist heute noch genauso relevant wie vor einem Jahr.

    Vor circa einem Jahr habe ich eine wütende Instagram-Story erstellt. Es ging darum, dass der Sommer vor der Tür steht und die Zahl an unangebrachten Aufdringlichkeiten dann gefühlt exponentiell in die Höhe springt. Natürlich ist das nicht nur ein Spezifikum des Sommers, Catcalling kennt keine Jahreszeiten. Aber Catcalling kennt eben besonders gut kurze Hosen, Röcke, Kleider, nackte weibliche Haut – und springt auf diese im Sommer ungemein an.  Auf Basis dieser Instagram-Story folgt daher eine etwas ausführlicherer Kolumne:

    Unter „Catcalling“ fällt ein Allerlei an sexuell konnotierten Belästigungen im öffentlichen Raum: Rufe, Pfiffe, Kommentare, kurzerhand die verbale, sexualisierte Belästigung von Frauen. Auch Männer können natürlich belästigt werden. Das passiert allerdings seltener und schon gar nicht systemisch strukturell.

    Der Anlass meines damaligen Postings war, dass mich ein Mann im Park mehrfach belästigt hat. Er hat erst aufgehört, als ein Passant ihn zurechtgewiesen hat – meine eigenen Bitten hatte er vorher ignoriert. Mein „Nein“ zählte anscheinend nichts, das habe ich schon unzählige Male zu verstehen bekommen.

    Ich war so wütend an diesem Tag, dass ich meine Erfahrung auf Instagram geteilt habe. Ich wollte andere daran teilhaben lassen, dass ich mich im öffentlichen Raum oft unwohl, ungeschützt und ausgeliefert fühle. Wenn ich mich im öffentlichen Raum befinde und bemerke, wie sich in Dauerschleife über meinen Körper Urteile gebildet werden, – das macht mich fertig. Und das Wissen darum kann ich nicht beiseitelegen. Ich merke jeden Blick, der mir hinterhergeworfen wird, höre jeden Pfiff, jeder Kommentar lässt mich angeekelt zusammenzucken. Wie schön wäre es, wenn mein Körper und meine Kleidung nicht einfach nur Anreiz zur Bewertung wären, sondern einfach nur das, was sie sind: ein Körper und Kleidung.

    Kolumnistin Theresa möchte sich unabhängig ihres Geschlechts, ihres Körpers und ihrer Kleidung ungestört und frei bewegen können.

    Leider können viele Männer erst nachvollziehen, welchen Erniedrigungen man als weiblich gelesene Person im öffentlichen Raum ausgesetzt ist, wenn sie mit persönlichen Erfahrungen konfrontiert werden. Anscheinend lösen erst diese Geschichten tatsächliches Mitgefühl und Empathie aus – was traurig ist, weil dadurch persönliche Erfahrungen, die mitunter für einen selbst sehr belastend sein können, dafür herhalten müssen, dass andere endlich mal zuhören, es glauben, verstehen. Und dennoch ist es scheinbar die beste Methode, um nicht auf Abwehr oder Verharmlosung zu stoßen, sondern auf Verständnis. Daher teile ich nun eine Handvoll einprägsamer Erfahrungen mit euch:

    Ich war mal nachmittags in einem Park joggen, als mir plötzlich ein junger Mann folgte. Er war mit einer Männergruppe im Park Bier trinken. Er nahm Anlauf und holte mich ein. Er joggte neben mit her und fragte mich nach meiner Nummer, er meinte, ich würde verdammt attraktiv aussehen. Er folgte mir mindestens fünf Minuten. Ich kann nicht ungestört joggen gehen.

    Beim Einkaufen neulich trug ich meine allerliebste Hose in Leoparden-Muster. Ein Typ lief an mir vorbei, scannte mich von unten bis oben ab, blieb stehen und sagte dann: „Hey, krasse Hose, die gefällt mir!“ Ich freute mich über das Kompliment, doch dann: „Und das was drunter ist, gefällt mir auch.“ Ich kann nicht ungestört einkaufen gehen.

    Mit unglaublich schlechter Laune ging ich vor kurzem Spazieren. Mir ging es nicht gut und ich brauchte frische Luft. Ich lief an einer Straße mit vielen Cafés und Bars entlang, viele Menschen waren unterwegs. Ich bekam Pfiffe, Blicke, Rufe hinterhergeworfen. Mir ging es sowieso schon nicht gut, die Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich kann nicht ungestört spazieren gehen.

    Vor ein paar Wochen war ich bei meiner Schwester zu Besuch. Wir hatten Lust, ein paar Bierchen zu trinken und im Park den Abend ausklingen zu lassen. Wir gingen in einen Späti, uns folgten zwei junge Männer. „Na ihr Süßen, was geht bei euch noch heute Abend?“ Nichts. „Wisst ihr, wo man noch was trinken gehen kann?“ Nein. „Willst du vielleicht mal mit mir ausgehen?“ Willst du mich vielleicht mal in Ruhe lassen? „Gibst du mir deine Handynummer?“ Nein. „Du dumme Zicke!“ Ich kann nicht ungestört ein Bier kaufen gehen.

    Im Urlaub vor einigen Wochen habe ich oberkörperfrei gebadet – so wie es jeder Mann auf dieser Welt auch macht. Aber weibliche Brustwarzen sind etwas anderes als männliche Brustwarzen. Meine Brust ist stigmatisiert, wird sexualisiert. Männer dagegen haben das Privileg, sich wann und wo sie wollen oberkörperfrei zu zeigen – es ist höchstens mal unangemessen, aber nie ein Skandal. Ich habe oberkörperfrei gebadet und wurde dabei von einem älteren Mann beobachtet und fotografiert. Ich kann nicht ungestört baden gehen.

    Ich habe mehrere Jahre an einem Sportkurs teilgenommen, der nur von Frauen besucht und von einem Mann geleitet wurde. Es war mein Lieblingssportkurs, für mich ein „safespace“, ich habe mich dort wöchentlich richtig ausgepowert und dabei wohl gefühlt. Irgendwann habe ich über Instagram eine private Nachricht von dem besagten Trainer erhalten: „Hör doch mal auf immer so gut auszusehen in meinem Kurs :))).“ Ich bin seitdem nie wieder hingegangen. Der Kurs war eine kleine Konstante, eine Routine für mich, die sehr wichtig war, auch gesundheitlich. Ich musste diese aufgeben, weil ich mich so unwohl und übergangen gefühlt habe. Ich kann nicht ungestört Sportkurse machen.

    Beim Feiern in Clubs, Bars, auf Raves habe ich schon zahlreiche verbale und physische Übergriffe erlebt. Mir wurde in meinen BH an die Brust gegrapscht, ich wurde ekelhaft angetanzt, ich wurde einfach ungefragt geküsst, mir wurde mehrfach an meinen Hintern getatscht. Ich kann nicht ungestört Feiern gehen.

    Ich könnte noch viel mehr solcher Situationen aufzählen, sie passieren täglich. Ich vergesse sie nicht und sie tragen einen ganz bestimmten Inhalt in sich: Mein Körper gehört nicht mir. Der öffentliche Raum, indem fremde Menschen Urteile über mich und meinen Körper fällen, gehört Männern. Jedes Catcalling zeigt mir das, jedes Catcalling soll mir das zeigen.

    Und deswegen ende ich hier mit einigen Zeilen und Aufforderungen aus meinem damaligen Instagram-Post:
    Männer, ihr habt nicht das Recht, über andere Körper zu urteilen, sie zu bewerten, ihre Grenzen zu übertreten. Ihr nehmt so einen gottverdammt großen Raum ein und denkt, eure Meinung über andere Körper würde uns interessieren. Hört auf damit.
    Das greift mich persönlich an, das ist übergriffig, ich fühle mich abgewertet und diffamiert. Ich fühle mich nicht als Mensch, ich fühle mich als Objekt, zu dem jeder Mann, wenn er Lust hat, sagen kann, was er will. Meine persönlichen, geistigen und räumlichen Grenzen werden nicht respektiert, sie werden übergangen, als würden sie euch nichts angehen, einfach, weil ihr könnt. Wir leben in einer „rape-culture“, in der nicht Männern beigebracht wird, nicht zu belästigen oder zu vergewaltigen, sondern, in der Frauen beigebracht wird, nicht zu kurze Röcke zu tragen, immer auf ihr Glas zu achten und abends nicht allein unterwegs zu sein. Das ist Täter-Opfer-Umkehr. Belästigung und Vergewaltigung sind beides Machtinstrumente, die in unserer Gesellschaft strukturell ausschließlich in den Händen der Männer liegen.
    Aber weibliche Körper gehören nicht euch, keine Körper gehören euch. Hört endlich auf mit Catcalling und lasst Frauen und weiblich gelesene Personen Mensch sein. Zeigt Empathie, Solidarität und lasst uns unsere Räume. Schützt nicht eure übergriffigen Kumpels, duldet es nicht bei euren Brüdern, Söhnen, Vätern. Sprecht das an. Und lasst es einfach. Ich will das nämlich nicht.

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