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  • Hass im Netz – Bundesregierung will durchgreifen

    Die Wahrnehmung von Hasskommentaren im Internet steigt. Der Spagat zwischen dem Schutz der Betroffenen und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung stellt den Gesetzgeber vor Herausforderungen.

    „Du Dreckssau!“ „An den Galgen mit dir!“ So können Hasskommentare im Internet aussehen. Der Begriff „Hate Speech“ oder „Hassrede“ bezeichnet die Herabwürdigung, etwa die Beleidigung oder Bedrohung von Personen. Um dieser im Internet gezielter begegnen zu können, verabschiedete der Bundestag im Juni ein Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität. Aufgrund von Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes verweigerte der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jedoch Ende September die Unterschrift und verhinderte somit das Inkrafttreten des Gesetzes. Der Gesetzgeber hat angekündigt noch im Dezember mit einem Reparaturgesetz nachzubessern.

    In dem Gesetz enthalten ist unter anderem eine Verschärfung des bereits 2017 in Kraft getretenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG). Plattformbetreiber müssen danach offensichtlich strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden löschen. Nach dem aktualisierten Entwurf sollten soziale Netzwerke zusätzlich verpflichtet werden, strafbare Inhalte inklusive IP-Adressen an das Bundeskriminalamt zu melden, damit sie von Ermittlungsbehörden verfolgt werden können. Darunter fallen etwa Morddrohungen, Volksverhetzung und Gewaltdarstellungen, die Billigung von Straftaten sowie die Verbreitung von Kinderpornografie.

    Die Reichweite und Wirkung von Hate Speech untersucht aktuell Elisa Hoven, Professorin für Deutsches und Ausländisches Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Medienstrafrecht an der Universität in Leipzig im Rahmen eines auf drei Jahre angelegten Forschungsprojektes „Der strafrechtliche Umgang mit Hate Speech im Internet“. Hierzu wurden im Juli über 1.000 in Deutschland lebende Internetnutzer zu ihrer Wahrnehmung von Hassreden im Internet befragt. „Die Ergebnisse zeigen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung schon einmal mit Hasskommentaren in Berührung gekommen ist.“, sagt Hannah Heuser, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl und für die Durchführung des Forschungsprojektes verantwortlich. Rund 79 Prozent der Befragten, so Heuser, nehmen wahr, dass Kommentare in den letzten fünf Jahren deutlich oder zumindest etwas aggressiver geworden seien „Beachtlich ist insbesondere, dass unter denjenigen, die vorher angegeben hatten, mit digitaler Hasskriminalität in Berührung gekommen zu sein, 68 Prozent angaben, sie hätten schon einmal darauf verzichtet, einen Beitrag zu posten oder ihn bewusst vorsichtiger formuliert.“

    Die bisherigen Ergebnisse der Studie scheinen das Hauptargument der Befürworter des Gesetzes zu bestätigen, nämlich, dass durch Hasskommentare nicht nur Personen unmittelbar geschädigt, sondern auch freie öffentliche Debatten beeinträchtigt würden, die Bestandteil einer funktionierenden Demokratie sind. Warum aber unterschreibt Frank-Walter Steinmeier den Gesetzentwurf nicht?

    Medienrechtsprofessor Marc Liesching von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK) erklärt hierzu: „Zum einen ist der Gesetzesentwurf schon aus Sicht der deutschen Verfassung problematisch und verletzt das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Zum anderen, widersprechen derartige Erweiterungen des NetzDG europäischen Regelungen.“ Er verweist auf die Datenschutz-Grundverordnung und die E-Commerce-Richtlinie. Unklar sei insbesondere die Frage der Zusammenarbeit mit Behörden in den Herkunftsländern von Online-Diensteanbietern, wie Facebook, Youtube und Co., die in anderen Mitgliedstaaten ihren Hauptsitz haben. Fraglich sei, wie Deutschland hier „die in erster Linie politischen Ziele“ des Gesetzentwurfs verfolgen wolle. „Bisher“, so meint er, „setzen Anbieter wie YouTube nach eigenen Angaben das NetzDG auf freiwilliger Basis um. „Sollte das Gesetz in Kraft treten werden sie dies aber, aus meiner Sicht, in Zukunft nicht mehr uneingeschränkt machen.“ Die EU-Kommission in Brüssel äußerte bereits Mitte Februar Bedenken zu der geplanten Gesetzesumsetzung. Ob sie nach Inkrafttreten des Gesetzes von ihrem Recht, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten oder den Europäischen Gerichtshof anzurufen Gebrauch macht, ist noch unklar.

    Titelfoto: Unsplash / Mika Baumeister

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