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  • Gähnende Leere

    Jahr für Jahr ziehen viele Menschen nach Leipzig, Wohnraum wird immer teurer. Trotzdem stehen etwa 12.000 Wohnungen und Gebäude leer.

    „Und wir schreien’s laut: Ihr kriegt uns hier nicht raus, das ist unser Haus!“, sang die Band „Ton Steine Scherben“ 1972. Mit ihrem „Rauch-Haus-Song“ kritisierten die Musiker schon damals leerstehende Wohnungen. Eine im Juni dieses Jahres durchgeführte Untersuchung des Dezernats Stadtentwicklung und Bau zeigt, dass derzeit circa 12.000 Wohnungen in Leipzig leerstehen und nicht vermietet werden. Im September 2020 berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk, dass seit 2011 etwa 10.000 neue Anwohner*innen pro Jahr nach Leipzig ziehen – so viel Zuwachs wie in keiner anderen deutschen Großstadt, gemessen an der Bevölkerungszahl. Viele neu ge­­­bau­te Wohnungen sind jedoch im Luxussegment angesiedelt und damit für Bürger­*innen der mittleren und unteren Einkommensschichten nicht erschwing­lich.
    „Leerstehende Wohnungen sind nicht grundsätzlich falsch, da es Leuten auch ermöglicht werden muss, umzuziehen“, erklärt Tobias Bernet vom Netzwerk Leipzig – Stadt für alle. Das Netzwerk setzt sich dafür ein, bezahlbaren Wohn­raum zu schaffen und die Verdrängung der ansässigen Bevölkerung durch Luxussanierungen zu verhindern. „Problematisch wird es aber, wenn Häuser, die ei­­gent­lich gut vermietet werden können, nach einem Auszug nicht weiterver­mietet werden.“ Meist werde dann versucht, durch umfangreiche Sanierungen oder die Um­widmung in Eigentumswohnungen eine höhere Rendite zu erzielen.
    Stadtverwaltungen seien bezüglich leerstehender Wohnungen oft die Hände gebunden. „Zum einen ist eine Stadtverwaltung kein einheitlicher Akteur“, sagt Bernet. Es könne also vorkommen, dass ein Amt stärkere Maßnahmen befürworte, ein anderes hingegen diese eher blockiere. Zum anderen sei Eigentum grundsätzlich erst einmal geschützt. Damit steht es Hausbesitzer*innen frei, ihre Immobilie auch als reine Kapitalanlage und ohne Vermietung zu nutzen. Um dagegen vorzugehen, benötige man ein „Zweck­­entfremdungsgesetz“ auf Landesebene, wie es bereits in Berlin existiert, erklärt Christopher Zenker, Vorsitzender der Leipziger SPD-Stadtratsfraktion. „Damit können Vermietern, die ihr Haus über längere Zeit leerstehen lassen, Strafzahlungen auferlegt werden.“ Für ein solches Gesetz mache sich die SPD in Sachsen stark.
    Die Wohnraumdebatte wurde jüngst wieder entfacht, als am 21. August das Bündnis #leipzigbesetzen, ein Zusammen­schluss autonomer Aktivist*innen, ein leerstehendes Haus in der Ludwigstraße besetzte. Ein Gespräch zwischen #leipzig­besetz­en und dem Eigentümer des Hauses kam nicht zustande. Gegenüber der Bild-Zeitung sagte dieser, das Haus gehöre ihm und es sei seine Freiheit zu entscheiden, was damit passiert: „Ich investiere, um als Freiberufler für mein Alter vorzusorgen, in zwei Häuser.“
    Um der Wohnungsknappheit ent­gegenzuwirken, plant die Stadt aktuell verschiedene Bauprojekte. Hinter dem Hauptbahnhof sollen 2.000 Woh­nungen entstehen. Ein wei­­teres Projekt am Bayerischen Bahnhof, etwa 1.600 neue Wohnungen, sei bereits fast fertiggestellt, sagt Zenker. „Da es sich hier­bei um private Investoren han­delt, verpflichten wir diese, min­destens 30 Prozent der Woh­­­­­nungen zu sozial erschwing­­lichen Preisen anzubieten.“ Auch den Milieuschutz, der bisher sechs Gebiete in Leip­zig vor Luxus­sanierungen bewahrt, wolle man ausweiten. Bei all diesen Vorhaben gibt Zenker aber zu bedenken: „Der Prozess wird ei­nige Jahre dauern.“

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