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  • Von Spielen radikalisiert

    Kolumnist Jonas spielte in seiner Schulzeit oft mit Freunden Multiplayer-Videospiele. Heute wählen sie AfD und er studiert Islamwissenschaft. Wie konnte es dazu kommen?

    Als Schüler habe ich sehr viel Computer gespielt. Jeden Freitag- und Samstagabend gab es einen großen Skype- oder Discord-Call, in dem meine Klassenkameraden und ich bis Mitternacht verschiedenste Videospiele mit- und gegeneinander spielten. Einige meiner Freundschaften in der Schule basierten fast ausschließlich darauf, dass wir diese Nächte miteinander verbrachten und unsere Insider mit in den Klassenraum nahmen. Ich hatte enorm viel Spaß, wir haben viel gelacht und uns sehr gut verstanden. Das nahm etwa um die Zeit der Abiturprüfungen herum ab – einerseits natürlich, weil wir lernen mussten. Vor allem aber, weil meine Klassenkameraden sehr schnell sehr tief ins rechte Spektrum abdrifteten.

    Dies geschah vor allem durch Youtube, genauer: durch Gamer-Youtube. Der berüchtigte Algorithmus trieb meine Spielgefährten immer weiter ins Land der Verschwörungstheorien. Es fing ganz unschuldig an: Tutorials, Let’s Plays, Zusammenschnitte der absurdesten Momente einer Runde „Rainbow Six Siege“. Irgendwann begannen wir, Pewdiepie-Videos zu schauen, dem immer mal wieder das N-Wort rausrutschte – ganz aus Versehen, natürlich. Von da aus ging für sie die Reise weiter. Von Videos über Zweiter-Weltkrieg-Spiele, zu Geschichtsvideos. Von dort aus zu Verschwörungstheorien und offenem Rassismus. Irgendwann begannen sie, Mitspieler*innen als „Untermenschen“ zu bezeichnen – rein ironisch, natürlich. Eines Morgens schaute ich in den Chat und sah Links zu Videos über den „großen Austausch“, die gepostet wurden, als ich schon längst im Bett war. Dementsprechend schnell begannen auch anti-muslimische Beleidigungen aufzutauchen, ebenso schnell weigerte ich mich, weiter meine Abende mit ihnen zu verbringen. Das Erschreckende ist vor allem die Geschwindigkeit, mit der meine Freunde von etwas naiven, politisch und historisch interessierten 17-Jährigen zu rassistischen, anti-feministischen 18-Jährigen wurden.

    Kolumnist Jonas war mit 18 sehr gut in kompetitivem Snake.

    Zu einer differenzierten Betrachtung des Themas Videospiele gehört nicht nur eine Auseinandersetzung mit Gewalt und Gewaltverherrlichung, die oft zurecht als aktionistisch kritisiert wird. Ein großes Problem, vor allem im Multiplayer-Bereich, ist der schwelende Rassismus und die fehlende Auseinandersetzung mit Geschichte. Natürlich finden 15-jährige Jungs Panzer cool. Natürlich finden sie es schwer, diese coolen Panzer und die Armee, die sie einsetzte, zu trennen. Und natürlich liegt dann der Mythos nah, die Wehrmacht sei keine Armee der Täter gewesen, sondern nur eine Gruppe ganz normaler, unschuldiger Soldaten, wie es sie auf Seiten der Alliierten ebenso gab. Wurde ihnen widersprochen, als sie andere als „Untermenschen“ bezeichneten? Wurden sie dafür kritisiert, als sie im Voice-Chat Hitler imitierten? Diskutierten wir auf geschichtswissenschaftlich fundierter Basis die Darstellung der Wehrmacht in Videospielen? Nein. Wie denn? Wir waren 17!

    Es ist auch ein Problem fehlender Zivilcourage: Viel zu selten widersprach ich, viel zu selten traute ich mich, die brisanteren Themen zu diskutieren und viel zu oft lachte ich mit, machte teilweise selbst Witze, für die ich mich heute schäme. Die Videospielszene mag in Teilen sehr progressiv und reflektiert sein. Viele, vor allem junge Gamer*innen sind jedoch aufgrund ihres Alters enorm beeinflussbar und unreflektiert, was Geschichte, Geschlechterbilder und den Gebrauch von Schimpfworten angeht. Das ist nicht die Schuld des Mediums Videospiel, hängt aber stark mit der Community zusammen, die dieses Medium, vor allem im Multiplayer, um sich versammelt. Videospiele und die dazugehörige Youtube-Szene sind eine klare Einstiegsdroge zu Rassismus, Queerfeindlichkeit und Misogynie.

    Dank seines Twitter-Accounts weiß ich von mindestens einem meiner Klassenkameraden, dass er mit der Zeit noch tiefer in die rechtsextreme Szene eingetaucht ist. Er verwendet das N-Wort mit großer Regelmäßigkeit und verbreitet anti-muslimischen Rassismus. In seiner Bio steht „Für Volk und Vaterland“, dahinter eine deutsche und eine österreichische Flagge. Noch vor vier Jahren habe ich Stunden mit ihm verbracht, in denen wir uns prächtig amüsiert und gemeinsam über Nazis gelästert haben. Heute bezeichnet er die AfD als „nicht mutig genug“ und ich studiere Islamwissenschaft – nicht zuletzt, weil ich wissen will, warum das, was er sagt, falsch ist. Wir haben beide Computer gespielt, sind in dieselbe Klasse gegangen. Es kann also nicht ausschließlich an Videospielen liegen. Dennoch konnte ich aus nächster Nähe beobachten, wie die dazugehörige Szene meine Freunde radikalisierte. Und das ist ein Problem, mit dem sich die Szene auseinandersetzen muss.

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