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  • An dunklen Tagen

    Wenn die Sonne sich verabschiedet und der Himmel Trübsal bläst, gesellt man sich gerne mal dazu. Kolumnistin Hannah berichtet davon, wie der Glaube an die Fügung der Dinge erlöschen kann.

    Die letzten Tage waren düster. Über Leipzig versammelten sich dunkle Wolken, die nicht gewillt waren, auch nur einen Zentimeter für das Leuchten des blauen Himmels Platz zu machen. Schroff stellten sich die Wolken allem in den Weg, was Leichtigkeit und Optimismus versprach. Zumindest empfand ich das so. Denn dieser einfältige Grauton starrte hartnäckig auf mich herunter, so lange bis ich mich selbst beobachten konnte. Wie ich mit zu dünner Jacke über Kopfsteinpflaster trottete, wie ich Tüten aus Lebensmittelgeschäften trug, wie ich am Morgen entschied, liegen zu bleiben, anstatt so schnell wie möglich ins Bad zu rennen, um noch rechtzeitig im immer leerer werdenden Seminarraum zu sitzen. Das Grau wurde zusammen mit dem Regen in meinen Kopf gespült und von hier begann es sich langsam auf meine Synapsen zu legen. Alles schien mit mir zu sprechen, doch die Worte verdampften unterwegs und kamen nicht an. Der Schreibtischstuhl blickte mich vorwurfsvoll an, die Klamotten kauerten auf dem Boden und die Uhr an der Wand runzelte die Stirn. Nach Weihnachten beginnt die Lernphase, das hatte ich mir selbst prophezeit und warnende Kreuze in meinen Kalender eingetragen. Nach Weihnachten, so stellte ich mir vor, wäre ich ausgeruht und wieder voller Energie für ein letztes Mal lesen, Karteikarten anfertigen, merken und schließlich Klausuren und Hausarbeiten schreiben. Doch anstatt der erhofften Tatkraft ergriffen mich Zweifel. Die winterliche Farblosigkeit des Himmels stellte mir Fragen, mit denen ich nicht gerechnet hatte.

    Kolumnistin Hannah

    Kolumnistin Hannah blickt nach dunklen Tagen wieder positiver in die Zukunft.

    Seit einem Jahr will ich nur noch fertig werden mit meinem Bachelor. Nicht so sehr wegen des Inhalts des Studiums, sondern eher wegen der Verpackung. Weil ich genug habe vom Lesen und Diskutieren. Weil ich Lust auf etwas Neues habe, irgendetwas, bei dem Fußnoten und Powerpoint-Präsentationen keine Rolle spielen. Der neue Lebensabschnitt, der auf mich wartet, lockt mit Freiheit und einem aufregenden Gefühl des sich Ausprobierens. Bisher hatte ich mich von Post-Bachelor-Krisen Anderer wenig einschüchtern lassen und ganz darauf vertraut, dass sich schon alles irgendwie fügt. Ideen für danach gibt es viele: ins Ausland gehen, Praktika, einen Bundesfreiwilligendienst machen, eine handwerkliche Ausbildung beginnen, mich für ein Volontariat bewerben. An diesem schwammigen Ideen-Wirrwarr habe ich mich bis vor ein paar Tagen nicht weiter gestört. Doch mit den Wolken am Himmel verfinsterte sich mein Blick auf die Zukunft und ich sah die ersehnte Freiheit plötzlich nicht mehr als ein Pool von spannenden Möglichkeiten, sondern als ein dunkles, unergründbares Nichts. Das Vertrauen in die Fügung der Dinge schwand und stattdessen machte sich Skepsis breit.

    Wie soll ich Praktika machen, wenn ich dafür in den meisten Fällen nicht bezahlt werde? Doch wie kann ich mich für ein Volontariat bewerben, ohne etliche Praktika vorzuweisen? Und will ich das überhaupt? Praktika, Volontariat, Vollzeit arbeiten. Eine handwerkliche Ausbildung klingt nach Erfolgserlebnissen und Romantik. Aber selbst wenn das so ist, fehlt mir das Talent. Und ja, ich würde gerne etwas mit Menschen machen. Aber wahrscheinlich bin ich dazu nicht taff und strukturiert genug. Und wo sollte ich mich mit einem Bachelor in Ethnologie denn bewerben? Zum ersten Mal wird mir klar, was die erschrockenen Gesichter meinen, wenn sie danach fragen, was man denn mit so einem Ethnologie Studium machen kann. Ich hatte immer versucht, zu beruhigen und so entspannt wie möglich zu antworten: Man kann im Museum arbeiten, bei NGOs, bei Organisationen, die sich mit kulturellem Austausch beschäftigen… Doch plötzlich bin ich es, die diese Frage stellt. Was kann man mit einem Bachelor in Ethnologie machen?

    Nach diesen matten Tagen, an denen ich das Internet nach Antworten auf meine Fragen durchforstete, zu lange im Bett blieb und mich isoliert fühlte, hatte ich schließlich eine Idee, die mich tröstete. Nach meinem Bachelor laufe ich den Jakobsweg. Oder irgendeinen anderen Fernwanderweg. Das beantwortet zwar nicht die großen Zukunftsfragen, aber vielleicht die kleinen. Ich sehne mich nach Natur, ich will erforschen, was ich will und ich möchte mich frei und unabhängig fühlen. Heute war der Himmel schließlich wieder blau. Alles fügt sich, auch die Gedanken. Und alles hat wohl irgendwie Einfluss aufeinander. Das Wichtigste ist wahrscheinlich nicht im Bett liegen zu bleiben, sondern in den Fluss der Ereignisse einzutauchen.

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