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  • Willig und frei

    Als junger Mensch ein FSJ im Ausland zu machen ist heutzutage gängig. Oft wird es gerade von Entsendeorganisationen romantisiert dargestellt. Kolumnistin Theresa plädiert für mehr Ehrlichkeit.

    Ich war taufrische 18 Jahre alt, als ich mir einen Reiserucksack kaufte, mit dem Hintergedanken er möge voller Flaggen-Aufnäher sein, wenn ich wiederkomme. Voller Hoffnung und Angst reiste ich im Sommer vor drei Jahren nach Zentralvietnam. Ich verbrachte dort ein Jahr meines Lebens in der Stadt Da Nang, um in einer Schule für Kinder mit Behinderung als Freiwillige zu arbeiten.
    Seit meiner Rückkehr reise ich nun zunehmend gedanklich, und was ich von dieser Reise erzählen kann, ist seitenfüllender als jede Aussage über den Flughafen in Bangkok oder die Begegnung mit amerikanischen Backpackern und Menschen im tropischen Regenwald.

    Dass ich jetzt, nach drei Jahren, noch immer mit mir als Freiwillige hadere, hat viele Gründe. Die Spitze dieses Eisbergs ist zunächst die Antwort auf die Frage „Möchtest du denn nicht zurück?“, denn sie lautet „Nein“. Ich erinnere mich an meinen letzten Tag des Freiwilligendienstes. Ich ging ein letztes Mal an den Strand, ein letztes Mal zum Abendessen mit den zwölf katholischen Ordensschwestern, mit denen ich zusammenleben durfte. Ich war nicht traurig, eher erschöpft. Von einer Zeit, die mich zu oft nicht erfüllt sondern erdrückt hatte.

    Was ein wenig wie sentimentale Dramatik anmutet, ist ein Schmerz, den ich mir damals nicht erlaubte. Nicht, nachdem ich endlich an dem Ort war, auf den ich mich ein Jahr lang vorbereitet hatte. Ich wusste, dass meine Eltern unter der Distanz litten, die ich vorher so dringend wollte, deshalb wollte ich nun verdammt nochmal damit zufrieden sein. Ich hatte mich vorher monatelang mit Kinderarmut und Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt, bereit dazu, ernst genommen zu werden. Ich ging als mutige und stolze junge Frau los und fand mich dann plötzlich inmitten von vietnamesischen Ordensschwestern wieder, die mich mädchenhaft, süß und pummelig fanden – darauf war ich tatsächlich nicht vorbereitet.

    Kolumnistin Theresa wünscht sich mehr Bandbreite an wertfreien Erfahrungsberichten von Freiwilligendiensten.

    In einem fremden Land anzukommen, barg viele Schwierigkeiten. Vieles davon hat mit der Sprache zu tun, die ich nicht verstand, oder mit den Arbeitsabläufen, die ich nicht kannte. Doch so gut meine Vorbereitung auf den Dienst war, war ich nicht darauf vorbereitet, einsam zu sein. Ich mag eine reife Abiturientin gewesen sein, aber ich war eben immer noch eine Abiturientin. Ich hatte den Entschluss gefasst, meine Freiheit aufs Extremste auszukosten. Ich wollte mit dem Motorbike durch die Tropen fahren und nebenbei noch ein bisschen die Welt retten. Nicht nur Gast sein, sondern Wurzeln schlagen. Die beste Zeit des Lebens haben.

    Und die hatte ich keineswegs. Ich hatte zwar eine Zeit des fruchtbaren Arbeitens und ich habe viel erlebt, doch ich war auch jeden Abend stundenlang alleine, ich habe mich eingesperrt gefühlt; vielleicht hatte ich sogar Heimweh, das ich mir nicht eingestehen konnte. Es gab eine Menge Erwartungen, derer ich mir damals nicht bewusst war, geschürt durch all die Werbung der Entsendeorganisation, oder durch Erzählungen von Freunden. In meiner Welt war ein erfolgreicher Freiwilligendienst gekennzeichnet dadurch, nach meiner Rückkehr vor Sehnsucht nach der Einsatzstelle schier einzugehen und anschließend mein Zimmer mit vietnamesischen Flaggen zuzukleistern. Nicht zu vergessen: das Tattoo, das ich mir stechen lassen werde, und das mich für immer an dieses unvergessliche Jahr erinnern sollte. Monate später hatte ich noch immer kein Tattoo, dafür aber eine Menge Zweifel, ob ich etwas falsch gemacht habe, weil mein Jahr vermeintlich ganz anders war als das aller anderen. Bis heute.

    Nach meiner Rückkehr wurde ich von weltwärts, dem Finanzierungsprogramm meines Dienstes, dazu aufgefordert, mein Freiwilligenjahr zu evaluieren. Es gab Multiple-Choice-Fragen und Fragen, die ich auf einer Skala von eins bis zehn beantworten musste. Privat wurde ich häufig gefragt: „Und, wie war‘s?“. Für mich bewegt sich die Auswertung dieses Stück Lebens jenseits von gut und schlecht. Es ist so viel komplizierter als das, und das muss möglich sein. Mein Freiwilligendienst ist kein schillerndes Aushängeschild meiner jungen Jahre, sondern nur ein Kapitel, und ich bin trotz allem froh darum.

     

    Titelbild: Theresa Moosmann

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