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  • Wo Glaube auf Wissenschaft trifft: zu Besuch in der Unikirche

    Sonntags findet der Universitätsgottesdienst im Paulinum statt – doch was steckt dahinter? Universitätsprediger Andreas Schüle spricht über Organisation, Finanzierung und Bedeutung der Gottesdienste.

    Ein kühler Sonntagvormittag im Dezember. Auf dem Augustusplatz ist der Weihnachtsmarkt bereits gut besucht. Erwachsene genießen den ersten Glühwein des Tages, während kleine Kinder wilde Fahrten auf dem Karussell erleben.

    Hinter alldem, leicht versteckt, liegt ein schmaler roter Teppich samt Geländer, der direkt in das Unigebäude führt. Im Paulinum, der Aula der Universität, sind die Plätze an diesem Sonntag etwa zu einem Drittel gefüllt. Im Publikum vereint sind Menschen aller Altersgruppen.

    Die Messe beginnt mit dem Anzünden der zweiten Kerze auf dem Adventskranz. Die musikalische Begleitung von Universitätsmusikdirektor David Timm ist ein Arrangement kirchlicher Weihnachtslieder. Für einen Gottesdienst eher unkonventionell und experimentell – reicht es von klassischen Glaubensgesängen bis zu jazzigen Weihnachtsliedern.

    Universitätsgottesdienst – von der Universität für die Universität?

    „Im Unterschied zu anderen christlichen Gottesdiensten gibt es beim Unigottesdienst einige Unterschiede und Freiheiten“, erklärt Andreas Schüle. Seit Oktober 2025 ist er erster Universitätsprediger der Unikirche. In dieser Funktion ist er verantwortlich für die Gottesdienste, die er ehrenamtlich mitorganisiert. Außerdem lehrt er als Professor für Theologie mit dem Schwerpunkt Exegese des Alten Testaments an der Universität Leipzig.

    Anders als in anderen Gemeinden, sind es nicht hauptberufliche Pfarrer*innen, sondern ordinierte Mitglieder der Theologischen Fakultät, die „aus der Perspektive der wissenschaftlichen Theologie predigen“, so Schüle. Das gebe den Unigottesdiensten auch einen intellektuellen Anspruch.

    Universitätsprediger Andreas Schüle; Foto: Emanuel Scobel.

    Auch Studierende sind an den Veranstaltungen beteiligt, beispielsweise als Leser*innen oder beim Küsterdienst. Studierende der Theologischen Fakultät sollen dadurch bereits praktisch an Gottesdienste herangeführt werden. Freiwilliges Engagement ist auch möglich und gerne erwünscht — die Studienrichtung spiele dabei keine Rolle. So könne man sich beispielsweise an der Planung, der Formulierung von Gebeten oder am Layout der Plakate beteiligen.

    Als neuer Uniprediger hat Schüle es sich zur Aufgabe gemacht, den Gottesdienst noch enger mit der Universität zu verbinden. Neben bestehenden fakultätsübergreifenden Foren, dem alljährlichen Weihnachtssingen und dem Universitätsrequiem, solle nun auch die Sichtbarkeit auf Social Media verbessert werden.

    Zwischen Alltag und Glauben

    Nach einigen Musikstücken, Lesungen von Psalmen und Evangelien folgt die Predigt. Diese wird an diesem zweiten Advent von Unipredigerin Simone Ziermann vorgetragen. Sie bezieht sich auf einen Ausschnitt des Lukas-Evangeliums, den sie auf beinahe hermeneutische Weise analysiert hat:

    „Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass der Sommer schon nahe ist.“ (Lukas 21, 29-30)

    Bibelinterpretation heißt an diesem Sonntag aber nicht trockene Exegese, ganz im Gegenteil: Als Ziermann den Bibeltext schließlich auf eine Parabelfahrt mit der Deutschen Bahn schickt und dabei auch auf den Klimawandel zu sprechen kommt, dürften sich alle angesprochen fühlen.

    Für Universitätsprediger Schüle ist der Glaube eine Art größerer Rahmen, etwas, das sich auf einen Sinn bezieht, der über das eigene Selbst hinausgeht. Der Gottesdienst ist für ihn ein Ort, an dem Wissenschaft mit dem persönlichen Glauben verbunden werden kann. Der Alltagsbezug der Predigten bietet so eine gute Möglichkeit, den eigenen Alltag durch die Perspektive des Glaubens wahrzunehmen. Bei der Vorbereitung der Predigt spielt der Bibeltext eine wichtige Rolle, „aber auf der anderen Seite liegt natürlich auch die Zeitung von heute“, sagt Schüle.

    So versuchen die Prediger*innen auch zu aktuellen politischen Themen Antworten zu finden, wie eine Predigt aus dem Februar zeigt. Dort äußert sich der nun stellvertretende erste Universitätsprediger Frank M. Lütze durchaus selbstkritisch über die Rolle der Kirche inmitten internationaler Krisen wie dem Krieg in der Ukraine oder einer radikalen Evangelikalen Kirche in den USA: „Wenn der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance von einer abgestuften Nächstenliebe spricht, dann ist das eine gefährliche Irrlehre, die mit der Liebe Christi zu den Bedürftigen, zu den Zöllnern und Sündern nichts mehr zu tun hat.“

    Hoffnung ist dabei ein zentrales Thema und erscheint oft als Antwort auf die Krisen der Zeit. Ganz in christlich-humanistischer Tradition heißt es von Lütze: „Lasst uns das Wort der Versöhnung mit Gott und dem Nächsten hineinsähen in die Gräben unserer Gesellschaft.“

    Die Unikirche – Glaubenshaus, Aula, Denkmal

    Die Tradition der Sonntagsgottesdienste geht laut dem Internetauftritt der Universität Leipzig bis ins Jahr 1710 zurück. Nach der Reformation war die Dominikanerkirche der Universität überschrieben worden. Anders als es der Name und die Form der heutigen Kirche St. Pauli vermuten lassen, ist das Paulinum mit seinen hohen Decken und der Orgel aber keine Kirche im klassischen Sinne: Der im Jahr 2017 eingeweihte Saal soll die Vorgängerkirche als historische Erinnerung nachbilden. Jene war im Jahr 1968 den Plänen zur Umgestaltung der Universität zu einem Bildungscampus mit sozialistischer Prägung zum Opfer gefallen (luhze berichtete in der Winterausgabe 26)Die bewegte Geschichte verleiht dem Gebäude mehrere Dimensionen – heute werden dort neben dem Gottesdienst auch Konferenzen, Feiern und Konzerte veranstaltet.

    Die Durchführung eines Gottesdienstes erfordert eine enge Koordination zwischen allen Beteiligten: dazu zählen neben den Professor*innen auch das Team der Küster*innen, die Musiker*innen und das Sicherheitspersonal. Die Konzeption eines Gottesdienstes erinnere manchmal an einen „Tisch, auf dem ganz viele Zettel mit allen möglichen Sachen liegen“, sagt der Universitätsprediger.

    Die Unikirche – damals und heute; Foto: jbö

    Einer dieser Zettel ist seit Neuestem auch die Finanzierung: Der Sächsische Staatshaushalt für 2025 und 2026 sieht für die Universität Leipzig in den nächsten drei Jahren Kürzungen in Höhe von 16 Millionen Euro vor (luhze berichtete). Auch das Team der Unigottesdienste ist davon betroffen, so Schüle. Das Budget der Universität für die Gottesdienste würde stetig geringer ausfallen. Zudem sei das Team auf die wöchentliche Kollekte angewiesen, die von Besucher*innen und Gemeindemitgliedern finanziert wird. „Insgesamt läuft es gut“, sagt Schüle, doch habe man in Bezug auf Kürzungen an der Universität einen Grenzpunkt erreicht: „Ab jetzt würde es echt wehtun“.

    Nach etwa einer Stunde ist der Gottesdienst vorbei und die Menschen strömen zum Ausgang. Hinter den offenen Türen sind einige Stehtische aufgestellt, Kaffee lädt zum Verweilen ein. Der Unigottesdienst ist ein Ort des Austausches, so Schüle. Hier seien Begegnungen möglich, die in anderen Kontexten wohl zu Konflikten führen würden: „Die Universitätskirche kann ein intimer, geschützter Ort sein.“

    Zwar sind die Gottesdienste evangelisch, doch stehen die Türen der Unikirche für jede und jeden, ob gläubig oder nicht, offen. Schüle sagt: „Es sind alle willkommen, es sind alle eingeladen“. So auch zu den kommenden Gottesdiensten an Heiligabend und Neujahr, sowie am 11. Januar 2026 zum musikalischen Kantatengottesdienst.

    Titelbild: jbö

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