Ist es jetzt peinlich, einen Freund zu haben? – Wir haben in der luhze-Redaktion nachgefragt
Die Kolumne „Is Having a Boyfriend Embarrassing Now?“ von Chanté Joseph löste besonders wegen ihres Titels eine große Debatte aus, zu der sich auch Stimmen aus der luhze-Redaktion äußerten.
Die Online-Debatte beginnt mit der Kolumne „Is Having a Boyfriend Embarrassing Now?“ von Journalistin Chanté Joseph für die Britische Vogue. Darin beobachtet sie, dass Frauen ihre Partner auf Social Media nur subtil zeigen – im Gegensatz zu früher, als Beziehungen stärker im Mittelpunkt standen. Als Gründe nennt Joseph aus ihrer Perspektive die Angst vor Neid sowie eine veränderte Wahrnehmung von Frauen im Allgemeinen: Statt für Beziehungen belohnt zu werden, werde heute zunehmend unabhängiges Single-Sein romantisiert. Diese Onlineinszenierung bilde dabei den Spagat zwischen den sozialen Vorteilen einer Beziehung und der Darstellung als unabhängige Frau ohne “boyfriend-obsession”.
Die Kolumne und besonders deren Titel lösten eine große Online-Debatte aus. Kritisiert wurde auch die eingeschränkte Perspektive, denn Joseph thematisiert ausschließlich heteronormative Beziehungen. ¹
Autorin Joana Lehr hat mit Heilpraktikerin für Psychotherapie Lea-Victoria Kramkowski über ihre Beobachtungen aus der Paartherapie gesprochen. Außerdem stellte sie drei luhze-Redakteurinnen (Namen von der Redaktion geändert, Anm. d. Red.) die Frage: „Ist es peinlich, einen Freund zu haben?“
“Vielleicht fühlen sich dann andere Leute wieder durch die Darstellung von Beziehungen unter Druck gesetzt, aber genau das wollen wir ja eigentlich ändern”
Die Vogue-Kolumne thematisiert hauptsächlich die Inszenierung der eigenen Beziehung auf Social Media. Kramkowski betont hierzu den Unterschied zwischen Beziehungen im eigenen Umfeld und perfekten Realitäten auf Social Media: “Personen ohne Partner wünschen sich vereinzelt dann, was sie sehen, weil sie denken ‚In unserer Gesellschaft werden Paare häufig bevorzugt und da falle ich irgendwie raus als Single‘.” Der Druck, sich an veraltete gesellschaftliche Erwartungen anzupassen, sei dabei größer als Eifersucht. Charlotte, die sich selbst als „zufriedenen Single“ bezeichnet, bestätigt das und fügt hinzu: „Genau das wollen wir ja eigentlich ändern, denn man kann auch alleine gut leben. Wenn jetzt jemand da wäre, mit dem es wirklich passt, wäre das natürlich schön, aber ich muss mir auf keinen Fall Druck machen.“
„Es muss ein Grundverständnis von Rollenbilder geben, das von beiden geteilt wird“
Die drei Redakteurinnen sehen besonders bei Gen Z (geboren zwischen 1995 und 2010) eine Entwicklung weg von klassischen heteronormativen Beziehungsmustern. In der Paartherapie sieht Kramkowski jedoch keine deutlichen Unterschiede zwischen Generationen.
Viele Frauen finden es immer schwieriger, Partner zu finden, die ihre Einstellungen teilen. Das bestätigt eine aktuelle Studie von Nennstiel und Hudde. Diese zeigt, dass junge Männer in mehreren europäischen Ländern deutlich konservativer sind als junge Frauen. Zudem entscheiden sich viele Frauen für ein Leben ohne Beziehung. Kramkowski ergänzt: “Es muss ein Grundverständnis von Rollenbildern geben, das von beiden geteilt wird und dann geht es in der Therapie darum, was das im Alltag bedeutet.”
Das bestätigt auch Redakteurin Marie „Ich habe Ansprüche an einen potenziellen Partner. Also ich könnte niemals jemanden daten, der sagt, ich bin kein Feminist.“ Sie findet es sei als Frau in den 20ern gut, Single zu sein, da dies der Neigung zu männlicher Validierung entgegenstehe, sie sei aber auch froh, nun jemanden gefunden zu haben.
Selma ist seit sechs Jahren in einer Beziehung und lebt mit ihrem Partner zusammen. Sie ergänzt: Es gab vor allem am Anfang meiner Beziehung oft Situationen, in denen ich eine klassische Rollenstruktur wahrgenommen habe. Das hat sicherlich auch etwas mit unserer Sozialisierung zu tun. Ich glaube da kann eine Beziehung auch ein guter Ort sein, um diese Probleme zu reflektieren.
Paartherapeutin Kramkowski ergänzt, dass auch die Seite der Cis-Männer berücksichtigt werden sollte: “Menschen werden mit einem Handbuch ausgestattet, allerdings sind es die Menschen in unserem Umfeld, die uns dann prägen. Auch Männer werden in diese Rolle gebracht und müssen erst versuchen, wieder herauszukommen.” Jedoch sei nicht ausgeschlossen, dass viele die Privilegien, die mit diesem Handbuch einhergehen, (aus)nutzen würden.
Aus Perspektive der Redakteurinnen sei es trotzdem der falsche Weg, Menschen für heteronormative Beziehungen zu verurteilen. Andere Frauen zu beschämen, passe ebenso wenig in ein feministisches Selbstverständnis, erklären die Befragten.
„Wenn das für andere das Glück ist, dann freue ich mich für sie“
Letztlich bleibt die Frage: Ist es peinlich einen Freund zu haben? Charlotte meint: „Ich würde nicht sagen, dass es peinlich ist, einen Freund zu haben. Aber irgendwie kann ich das Gefühl schon verstehen, ich habe mir jetzt vieles alleine aufgebaut, gerade in den letzten Jahren. Ich kann mein Leben so gut und frei gestalten, als erwachsene und eigenständige Frau. Für mich ist das gerade die glücklichste Zeit, aber vielleicht, weil es auch einfach mit noch niemandem gepasst hat. Ich habe Angst davor, dass ein Mann dieses Leben zerstören könnte oder alles aus dem Gleichgewicht bringt und ich mich in einer neuen Beziehung verliere. Wenn das für andere Leute das Glück ist, dann freue ich mich für sie. Aber mir wäre das nicht mal vor anderen peinlich, sondern vor mir selbst.“
Marie glaubt: „Es ist oft nicht so einfach, eine Person zu finden, mit der man gemeinsam wachsen kann. Es gibt viel Content, der das Single-Sein anpreist. Der sagt: ‚Sei du, geh raus, geh feiern, leb dich aus – konzentrier dich auf dich.‘ Und das ist wunderschön. Trotzdem find ich es nicht peinlich einen Freund zu haben. Wenn man jemanden liebt, dann ist das was Schönes.“
¹ Aufgrund der Dimension des Themas, fokussiert sich der vorliegende Artikel ebenfalls auf heteronormative Beziehungen, um eine Einordnung des Ursprungsartikels zu erleichtern. Andere Beziehungsformen sollen hierbei nicht abgewertet oder als weniger wichtig abgestuft werden.
Titelgrafik: Joana Lehr
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