Im Dickicht des Erzählens
In der ersten Ausgabe der neuen Literaturshow SpeakEasy ist die frisch gekürte Preisträgerin deutschen Buchpreises, Dorothee Elmiger, zu Gast.
Speakeasy – das waren im New York der 1920er Jahre, zur Zeit der Prohibition, versteckte Bars, in denen weiterhin im Geheimen Alkohol ausgeschenkt wurde. Unauffindbar für die Staatsgewalt, entwickelten sich diese Orte zu intimen Räumen des Zusammenseins für die Eingeweihten. Rebecca Maria Salentin hat sich in ihrer neuen Literaturshow SpeakEasy diese flüchtigen und intimen Räume zum Vorbild genommen und lädt in der ersten Ausgabe am 25. Oktober die schweizerische Schriftstellerin Dorothee Elmiger ein. Gleich zu Beginn erklärt Salentin, dass sie sich aus zwei Gründen besonders über ihre Gästin freut: Nicht nur hat Elmiger vor wenigen Tagen den Deutschen Buchpreis für ihren neuen Roman Die Holländerinnen gewonnen – viel wichtiger noch: Sie wohnt selbst in New York und ist damit wohl die passendste Kandidatin, um Salentins neues Showformat einzuweihen.
Der großen Nachfrage wegen wurde die Veranstaltung von den Cammerspielen in das UT Connewitz verlegt, das an diesem Abend nahezu voll besetzt ist. Die neunzig Minuten sind dabei abwechslungsreich gefüllt: Neben einem ausführlichen Gespräch mit Dorothee Elmiger und einer Lesung aus dem Beginn ihres Romans sorgt Performerin Hannah Becker für zwei gelungene musikalische Beiträge. Essenziell für die SpeakEasy-Atmosphäre sind außerdem die Getränke, die Salentin auf der Bühne für sich und Elmiger mixt. Für den besten vorgeschlagenen Getränkenamen aus dem Publikum gibt es sogar ein Exemplar des Romans zu gewinnen. SpeakEasy soll eine zugängliche Literaturshow sein, die die eingeladenen Autor*innen in ihrem Schreiben und Denken vorstellt und dabei durch ihr ungezwungenes Verhältnis zum Publikum einen offenen, lebendigen Charakter bewahrt. So wechseln sich Anekdoten aus dem Alltag oder der Biographie Elmigers mit Fragen zur ureigenen Poetik der Schriftstellerin gelungen ab.
Dass dieses Verhältnis so gut aufgeht, liegt dabei nicht zuletzt an Elmiger selbst: Auf unvergleichliche Weise spricht sie zunächst humorvoll, klug und einnehmend über ihr Aufwachsen im ländlichen Appenzell, einer Provinz, der sie immer schon entfliehen wollte. Später geht es um ihre musikalische Sozialisation zwischen Nirvana und der Kelly Family, ihre kindliche Faszination für diverse technische Gerätschaften, ihre ersten Schreibversuche während eines Auslandsjahrs in New Hampshire und den Entstehungsprozess ihres nun preisgekrönten Romans. In all diesen Episoden spürt man, trotz der Leichtigkeit und des Witzes, mit dem Elmiger spricht, bereits die Stimme der Holländerinnen: Eine Erzählstimme, die die Zuhörenden elektrisiert und hinter jeder beschriebenen Anekdote die Mechanismen und Denkbewegungen ihres Romans aufscheinen lässt.
Elmigers Roman handelt von einer Schriftstellerin, die in einer Poetikvorlesung von dem Verlust ihrer Sprache berichtet. Auf eine Reise nach Mittelamerika geschickt, versucht sie mit einem Theatermacher und einer Schauspielgruppe den Fall von zwei im Urwald verschwundenen Holländerinnen zu ergründen. Getrieben von dem Bestreben, jedes Vorkommnis, jede Empfindung und jedes berichtete Erlebnis in die Erzählung hineinzunehmen, finden sich die Beteiligten in einem Dickicht aus Geschichten wieder. Diese handeln alle auf rätselhafte Weise von Zurichtung, Gewalt und Beherrschung; versucht die Schriftstellerin diese Geschichten zwar anfangs noch gewissenhaft zu protokollieren, scheitert sie daran zusehends und entwickelt im Verlauf der Zeit sogar das Gefühl, die eigene Sprache mehr und mehr zu verlieren. Beim Schreiben habe sich Elmiger, wie sie im Gespräch mit Salentin erzählt, zusehends in einer eigenartigen Doppelexistenz befunden: So sei der Text zwar einerseits eine Auseinandersetzung mit dieser Obsession für das Monströse und Schreckliche gewesen, zum anderen habe sich für sie die Frage aufgedrängt, inwiefern das Schreiben selbst nicht fast zwangsläufig eine „Kompliz*innenschaft mit Gewalt“ darstellt. Denn inwiefern stellen die eigenen Gefühle nicht streckenweise auch eine eigene, beunruhigend weit-reichende Faszination für das Gewaltvolle, das Abgründige dar? „Irgendwann“, so Elmiger, „wollte ich nur noch aus diesem Text raus“. Und auch wenn ihr der Text mit der Zeit nach der Veröffentlichung immer fremder werde: „Die Fragen, die mich angetrieben haben, sind immer noch da.“ Rebecca Maria Salentin gibt die richtigen Stichworte, verpasst es aber teilweise, an den entscheidenden Stellen nachzufragen. Dadurch schlägt das Gespräch einige Male genau dort andere Richtungen ein, wo es eigentlich gerade erst interessant zu werden beginnt. So beschreibt Elmiger beispielsweise zu Beginn eindrücklich, in welch mysteriöser Stimmung eine Volksabstimmung auf dem Marktplatz ihres Appenzeller Heimatdorfs abläuft – eine Szene, die wie aus dem Roman selbst zu stammen scheint. Die Verbindung zwischen verstreuten Äußerungen Elmigers und ihrem ganz konkreten literarischen Schreiben hätte an Stellen wie diesen noch stärker zum Tragen kommen können. Nichtsdestotrotz: Die Mischung aus literarischem Gespräch, Musik und Publikumseinbindung geht voll auf. Als Elmiger zum Schluss noch den Beginn ihres Romans vorliest, wird einmal mehr klar, warum die Schriftstellerin der bestmögliche Auftakt für das SpeakEasy war. Großer Applaus.
Wann: 25. Oktober 2025
Wo: UT Connewitz
Titelbild: Gert Mothes
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