Alle 600 Kilometer einmal shoppen gehen
Bei der Wahl des passenden Laufschuhs gibt es einiges zu beachten. Laufladen-Chef Jörg Matthé und Universitätsprofessorin Maren Witt geben Tipps. Zentral bleibt die Laufanalyse.
„Das ist Eigenwerbung, aber natürlich würde ich in ein Fachgeschäft gehen“, beantwortet Jörg Matthé die Frage danach, wie man sich als Laufanfänger*in den richtigen Schuh aussucht. Er begleitet die Leipziger Szene seit mehr als zwanzig Jahren: als Leiter der Abteilung für Laufsport des SC DHfK und als Inhaber des Leipziger Laufladens. Dass Leipzig wieder einen „Laufboom“ erlebe, möchte er nicht bestätigen: Die Stadt sei schon immer eine „Hochburg des Laufens“ gewesen – das wäre kein Trend. „Durch die Infrastruktur der Stadt, die grüne Lunge von Leipzig, gibt es viele Möglichkeiten, um zu laufen. Es gehörte schon immer zum Stadtbild“, meint er.
Wer die Parks auskosten möchte und dazu einen neuen Laufschuh sucht, kann sich montags bis samstags vom Team des Leipziger Laufladens beraten lassen. Termine sind online buchbar. Diese verlaufen dann üblicherweise so: Matthé und seine Kolleg*innen vermessen Füße, fragen Erfahrungslevel und Trainingsvolumen der Kund*innen ab, auf welchem Untergrund eine Person läuft, und ob sie sich schon einmal Verletzungen zugezogen hat.
„Menschen, die in einem Spezialgeschäft arbeiten, befassen sich über 300 Tage im Jahr nur mit Laufschuhen“, sagt Matthé. „Man muss sich den Läufer anschauen – Länge und Breite der Füße und die Beinlängsachse. Ganz grob gibt es drei verschiedene Laufsohlengeometrien und nicht jede ist für jeden Körper oder jedes Laufziel geeignet.“ Neben der klassischen Vermessung der Füße gehe es im Rahmen des Beratungsangebots auch raus in die Passage vor dem Geschäft, wo der*die Läufer*in ein paar Meter im individuellen Trainingstempo läuft. „Wir gucken uns dann an, in welche Richtung das geht“, so Matthé. Das Laufladen-Team bestehe aus ausgebildeten Läufer*innen und Trainer*innen und mache bei Bedarf auch Vorschläge für einzelne Übungen, um den Laufstil zu verbessern.
Mehrere Faktoren entscheiden
Bei der Wahl des richtigen Laufschuhs gehe es vor allem um die Vorbeugung von Verletzungen. Dazu könne es hilfreich sein, im Training mehrere Paar Schuhe einzusetzen. „Wer zwei- bis dreimal die Woche läuft und klassisch zwischen Tempowechselläufen und Long Runs unterscheidet, kann davon profitieren, den Schuh von Zeit zu Zeit zu wechseln“, sagt Matthé. Grund dafür sei, dass man sich durch den Wechsel nicht ausschließlich auf eine Passform einstellen würde, weil sich verschiedene Schuhe im Aufbau voneinander unterscheiden. „So müssen sich die Muskeln immer wieder etwas umstellen.“
Es würden auch Distanz und Tempo eine Rolle spielen – und auch, wann jemand in die Ermüdung läuft. „In der Ermüdung ist das Risiko für Verletzungen am größten“, erklärt Matthé, „und mit dem Schuh, mit dieser Technologie, die ich an den Fuß bringe, möchte ich das vermeiden.“ Ein relevantes Kriterium in der Abwägung sei die zurückgelegte Wochendistanz. Wer für das Herz-Kreislauf-System eine Handvoll Kilometer in der Woche laufe, müsse keinen Schuh tragen, der „extrem stabilisiert“.
„Aktiv denken“
Neue Schuhe kaufen sollte man laut Matthé am besten prophylaktisch. „Das Sinnvollste ist, man kauft sich einen neuen Schuh, wenn der aktuelle Haupttrainingsschuh fünfzig Prozent der Lebensdauer runter hat“, sagt er. Das würden aber die wenigsten Leute tun – die meisten Kund*innen kämen in den Laden, wenn sie sich verletzt hätten oder ihr Schuh fast auseinanderfalle. Grundsätzlich ist dieser Zeitpunkt laut Matthé erreicht, wenn man 500 bis 600 Kilometer in einem Paar Schuhe zurückgelegt hat – „der moderne Mensch trackt so etwas natürlich“.
Wenn man sich aber an dieser Faustregel orientiert, könne man noch ganz genau schauen, was der „sinnvolle, konträre“ Schuh zum alten Schuh sei – und noch immer zwischen beiden Systemen hin- und herwechseln. Das verringere das Verletzungsrisiko. Mehr Geld gebe man so auch nicht aus: Es sei sogar möglich, dass der ältere Schuh länger halte, weil sich das Material ein wenig regenerieren könne.
Eine gute Analyse sei also sehr wichtig, „aber es gibt niemals den perfekten Laufschuh“, sagt Matthé. Seine Bewertung des geeigneten Laufequipments deckt sich mit der Herangehensweise der Abteilung für Sportbiomechanik an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Laut Maren Witt, Professorin am Lehrstuhl, ist es zu passiv, sich einen Schuh auszusuchen und zu erwarten, dass dieser jedes Problem lösen würde. „Wir setzen grundsätzlich darauf, dass wir eine aktive Bewegungssteuerung haben, dass das Bewegungssystem selber in der richtigen Art und Weise arbeitet und die Muskeln, die dafür notwendig sind, gekräftigt werden“, sagt sie. Um jeweils auf die individuelle Situation eingehen zu können, brauche es eine Laufanalyse. Dabei finde man dann heraus, wie der Knöchel steht, wo die Ferse aufsetzt und, wie eine Person zum Beispiel Knie oder Wade belastet.
KI unterstützt Analyse
Witt erzählt, sie sei selbst in der Wittenberger Leichtathletik-Szene groß geworden. Dort seien vor allem Mittel- und Langstreckenlauf als Disziplinen präsent gewesen. Heute bezeichnet sie sich selbst als Gelegenheitsjoggerin und sagt, dass sie sich im Moment von einer Knieverletzung erholt. Schon lange forsche sie in Leipzig im Bereich der Sportbiomechanik: Witt war am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft aktiv. Dort sei sie an verschiedenen Studien zur Lauftechnik bei Spitzenathlet*innen und im Triathlon beteiligt gewesen.
Seit dem Jahr 2009 arbeitet Witt an der Universität Leipzig. Schon damals habe es Bestrebungen gegeben, ein Bewegungsanalyse-Labor aufzubauen, erzählt die Professorin. In 2021 fand dann die Einweihung des Forschungslabors statt, das die Abteilung für Sportbiomechanik vorrangig nutzt. Der Raum liegt im Keller der Sportwissenschaftlichen Fakultät. Kraftmessplatten, die in der Ganganalyse eingesetzt werden, sind in den Boden eingelassen. Neben Schreibplätzen und anderen Hightech-Geräten steht im hinteren Bereich des Raumes ein Laufband, um das herum mehrere Kameras angebracht sind. Sie sollen die Bewegung des menschlichen Körpers aus verschiedenen Blickwinkeln auffangen, damit sich ein ganzheitliches Bild zusammenfügt.

Laufanalyse im Forschungslabor der Abteilung für Sportbiomechanik an der Universität Leipzig. Foto: Eva Böker und Christine Janke.
In den letzten Jahren habe sich die Ausstattung noch weiterentwickelt: Zuletzt habe man eine neue Technologie implementiert, die das Fehlerpotenzial verringern und Proband*innen Zeit sparen soll. Im älteren Bewegungsanalyse-System wurden Markerpunkte an zentralen Stellen des Körpers angeklebt, um in der Auswertung vom Videomaterial Körperwinkel erfassen zu können. Die neuere Version funktioniert ohne Marker und damit auch ohne den Klebe-aufwand – stattdessen mithilfe von KI. Über acht Kameras werde die Bewegung aufgenommen und mithilfe von neuronalen Netzen verbunden.
Angebot für Hochschulangehörige geplant
Kennt man die Bewegungsmuster eine*r Proband*in, könne man das Ergebnis mit der Person besprechen und angepasste Trainingsempfehlungen geben, die im besten Fall konsequent befolgt würden. Eine Laufananalyse könne man ohne oder mit Schuh durchführen, so Witt. Sie würden in der Abteilung für Sportbiomechanik aber grundsätzlich zuerst das menschliche Bewegungssystem selbst in den Blick nehmen.
Um die Fußmuskulatur zu kräftigen, ist es laut Witt von Vorteil, auch Barfußlaufen in den Alltag zu integrieren: „Das muss nicht Joggen sein. Es reicht schon, zu Hause nur in Strümpfen oder am Strand barfuß zu gehen.“ Man könne auch für einen Teil der Trainingsstrecke die Schuhe ausziehen oder sich ein Paar Barfußschuhe kaufen. Sie empfiehlt genauso wie Laufladen-Inhaber Matthé auch, sich schrittweise an einen neuen Schuh zu gewöhnen. So könne man Verletzungspotenziale reduzieren, denn es sei immer Stress für den Bewegungsapparat, vom gewohnten Ablauf abzuweichen.
Im Wintersemester plant die Sportbiomechanik der Universität Leipzig eine Kooperation mit dem Zentrum für Hochschulsport: „Wir möchten gern allen Angehörigen der Universität Leipzig anbieten, sich für einen Obolus eine Laufanalyse zu buchen“, sagt Witt. Verbunden werden soll das auch mit der Ausbildung der Masterstudierenden, von denen unter Umständen eine Person hospitieren würde, wenn der*die Proband*in sich dazu einverstanden erklärt. Darum sei das Angebot preisgünstiger als eine Analyse auf dem freien Markt. Der Start ist für Mitte Oktober geplant.
Titelbild: Eric Binnebößel
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