Der Feminist, der keiner ist
Feminismus als Masche? Performative males geben sich feministisch, stecken aber tief in stereotypen Machtmustern. Was erwarten wir von neuer Männlichkeit?
Wir kennen sie alle: verwuschelter Mullet, Kabelkopfhörer, Silberringe, weit geschnittene Hosen, Ohrringe, Croptop, Matcha Latte in der rechten, die neuste Novelle von Sally Rooney in der linken Hand. Der Karabiner am Hosenbund darf natürlich nicht fehlen. Die Rede ist von sogenannten performative males. Junge Männer, die sich – äußerlich – von stereotyper Männlichkeit abgrenzen. Heißt: Sensibilität, Verletzlichkeit, Wärme ausstrahlen, als privilegienbewusst und feministisch gebildet gelten wollen. Zu all dem gehört eben auch ein ganz bestimmter Stil – die oben beschriebene Uniform. Besonders in Leipzig sehe ich sie bei wahrscheinlich jedem dritten Studenten. Männer, die sich (vermeintlich) alternativ kleiden und sich mit Feminismus beschäftigen – eigentlich eine gute Sache, oder? Ist das nicht das, was wir Feminist*innen uns von Männern erhoffen?
Der Wolf im Croptop
Nun ja. Nicht ganz. Die taz nennt die performative males auch „Fuckboy im Schafspelz“. Denn Privilegienbewusstsein und Empathie sind gespielt, die feministischen Sätze, auswendig gelernt. Für performative males ist das Feministsein mehr Image als verinnerlichte politische Haltung. Und das – so der Vorwurf – um progressive Frauen zu beeindrucken, vielleicht aufzureißen, sie dann aber genauso zu behandeln, wie der stereotypische emotional unzugängliche Mann es seit eh und je tut.
Performative males sind eine Falle. Menschen, die diese Männer daten, können sich bei ihnen viel schwerer darauf vorbereiten, schlecht behandelt zu werden. Wir fühlen uns sicher, wenn unser männliches Gegenüber mit der süßen Cap mit Strasssteinchen Verständnis für Periodenschmerzen zeigt und über all die Geschlechterungerechtigkeiten – Gender-Pay-Gap, Gender-Care-Gap und Gender-Orgasm-Gap – Bescheid weiß, Doch man ist völlig überrumpelt, wenn noch fünf Mal nach Sex gefragt wird, obwohl man klar nein gesagt hat, wenn er es „schon nur ohne Kondom will, ist ja okay, Maus, nh?“, aggressiv Eifersucht zeigt, aber selbst „schon noch mit anderen schlafen will“, der Satz fällt „Du steigerst dich da schon wieder rein“, oder – ein paar Schritte weiter – man im gemeinsamen (!) Haushalt als Frau täglich gefragt wird, wo denn die Gabel hingehört. Aber er kann das ja alles so gut erklären und leidet ja auch unter dem System und seiner männlichen Sozialisierung. Da kann er ja auch nichts für seine Ignoranz und Übergriffigkeit. Ja, der Arme.
„Nimm Reißaus beim nächsten Mullet“
Über performative males wird sich medial ordentlich lustig gemacht. Das geht so weit, dass die ersten Wettbewerbe veranstaltet werden, um den überzeugendsten Image-Feministen zu küren. Schon witzig.
Auch in meinem Freund*innenkreis wird sich über die Image-Feministen amüsiert und echauffiert. „Nimm bitte Reißaus bei dem nächsten mit halber Mütze, blonden Spitzen im Mullet, Perlenkette und de Beauvoir in der Hosentasche“, fleht mich meine beste Freundin an. Einer, der sich als etwas gibt, was er nicht wirklich ist, das sei ja fast schlimmer als einer, der ehrlich ist mit seinem verinnerlichten Sexismus. Denn er erhält Zugang zu Räumen, die darauf vertrauen, dass es kein übergriffiges oder frauenverachtendes Verhalten gibt – zum Beispiel bestimmte Clubs oder politische Gruppen.
Suche nach einer neuen Männlichkeit
Um auf die obenstehende Frage zurückzukommen: Der beschriebene performative male kann natürlich nicht das sein, was wir Feminist*innen von Männern wollen. Doch was dann? „Ich bin Feminist“ sagen ist ein erster Schritt. Er genügt aber nicht, um diese festgefahrenen Geschlechterrollen und -ungerechtigkeiten aufzubrechen. Dennoch. Es ist ein erster Schritt. Ist das nicht gut? Ist es nicht großartig, dass es unter vielen jungen Männern als positives Image gilt, sich für die Gleichberechtigung von Frauen einzusetzen, dem female gaze zu folgen? Und können wir uns sicher sein, dass sie ihre feministische Literatur nicht doch ab und zu durchblättern? Mir stellt sich die Frage: Gibt es eine feministische Männlichkeit?
„Kein übergriffiges Verhalten, kein Gefühleabsprechen, keine Gewalt, das ist safe“, antwortet mir ein Freund auf die Frage, welche Facetten stereotypischer Männlichkeit aufhören müssen. „Trotzdem bin ich einfach unsicher, was Männlichkeit dann sein soll. Und was sie für mich sein kann, was okay ist“, sagt er. Ich nicke. Ich weiß es auch nicht. Denn ich ertappe mich dabei, dass ich bei Gymbros die Augen verdrehe, bei lackierten Fingernägeln aber auch jede Sekunde damit rechne, dass mir Feminismus gemansplained wird oder die Frage kommt, auf welcher Seite ein Ohrring denn „nicht schwul kommen würde.“
In meinem Kopf, in Gesprächen mit Freundinnen und auch in der medialen Debatte um die performative males gibt es scheinbar nur zwei Schubladen: „kein Feminist“ und „fake Feminist“ – beides doof. Zu kurz gedacht. Und an vielen Stellen unfair.
Es ist okay schmunzeln zu müssen, wenn man bei einem männlichen Individuum die Liste der performative male-Stereotype vollständig abhaken kann. Und weil es das in Feminismuswatte gepackte unterdrückende Verhalten gibt, ist es sicher auch gut, vorsichtig zu sein. Aber wenn wir nun beginnen, alle Männer mit Mullet und Matcha als toxisch abzustempeln, ist das auch nicht zielführend. Denn Abstempeln bedingt oft Resignation und verhindert es, miteinander zu sprechen, einander zuzuhören. Der Entwicklung hin zu einer Gesellschaft, in der das Geschlecht mit Macht und Ohnmacht nichts mehr zu tun hat, helfen Schubladen und Zynismus nicht weiter.
Grafik: lg


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