• Menü
  • Wissenschaft
  • Deutschland hat ein Problem mit Frauen

    Am 25. November findet jährlich der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen statt, um auf Gewalterfahrungen von Frauen aufmerksam zu machen. Warum ist das noch nötig?

    Gewalt gegen Frauen und weiblich gelesene Personen ist ein Thema, dem in der medialen Berichterstattung häufig nicht allzu viel Aufmerksamkeit gewidmet wird. In diesem Jahr haben jedoch insbesondere zwei Fälle für Aufsehen gesorgt. Zum einen der Fall um Gisèle Pélicot, deren Ehemann sie über Jahre betäubt und über 80 Männern zur Vergewaltigung angeboten hatte. Zum anderen der Femizid an der Marathon-Sportlerin Rebecca Cheptegei. Ihr Lebensgefährte übergoss sie mit Benzin und zündete sie an. Wenige Tage später verstarb Cheptegei aufgrund der schweren Verbrennungen.

    Liest man in den Nachrichten über Femizide, also der Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts, so fällt häufig der Begriff „Familiendrama“. Betroffene kritisieren diesen als verharmlosend, da er impliziere, dass es sich bei solchen Taten um Einzelfälle handle. Häufig sind diese Taten jedoch in einem Besitzanspruchsdenken und antifeministischen Einstellungen der Täter begründet.

    Antifeministische und sexistische Tendenzen in Deutschland

    Die Leipziger Autoritarismusstudie, auch bekannt unter ihrem früheren Namen “Mitte-Studien zur rechtsextremen Einstellung in Deutschland”, untersuchte in diesem Jahr neben der Verbreitung rechtsextremer und autoritärer Tendenzen in der deutschen Bevölkerung, auch “antimoderne Ressentiments” wie Antifeminismus oder Sexismus. Den Befragten wurden Aussagen präsentiert, denen sie voll, überwiegend, teils, überwiegend nicht oder gar nicht zustimmen konnten.

    Als Antifeminismus wird hier die Ablehnung weiblicher Emanzipationsbestrebungen bezeichnet.

    Unter den präsentierten Aussagen befand sich zum Beispiel diese: “Frauen, die mit ihren Forderungen zu weit gehen, müssen sich nicht wundern, wenn sie wieder in ihre Schranken gewiesen werden.”, der insgesamt jeder vierte Befragte zustimmte.

    Jeder Fünfte stimmte der Aussage zu, Frauen würden ihre Schilderungen über sexualisierte Gewalt häufig übertreiben, um Vorteile aus der Situation zu schlagen. 2022 war es noch fast jeder Vierte. Hier findet eine klare Abwertung der Frau als Lügnerin statt. Insbesondere in Fällen, bei denen Frauen öffentlich Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegenüber oft männlichen Prominenten erheben, lassen sich solche Unterstellungen sowie Hasskommentare gegenüber den Betroffenen beobachten .

    Zudem wird aus der Studie ersichtlich, dass etwas mehr als jeder fünfte Befragte, weibliche Emanzipationsbestrebungen wie den Feminismus als eine Störung für die gesellschaftlichen Harmonie und Ordnung empfinde.

    Die Leipziger Autoritarismusstudie beschäftigte sich aber nicht nur mit der Ablehnung von weiblichen Emanzipationsbestrebungen, sie erfasst auch seit 2006 in unregelmäßigen Abständen die Verbreitung traditioneller Geschlechterrollen in der Gesellschaft. Gerade das Bild der Frau als Mutter und Hausfrau scheint sich in den letzten Jahren wieder stärker zu verbreiten. Stimmten im Jahr 2020 noch knapp 85 Prozent der Befragten der Aussage “Eine Frau, die sich mehr auf ihren Beruf als als um ihre Kinder kümmert, sollte kein schlechtes Gewissen haben.” zu, so war es in diesem Jahr nur noch jeder Zweite.

    Des Weiteren wurde in der Studie beobachtet, dass in diesem Jahr Aussagen wie “Die Frauen sollen sich wieder mehr auf die Rolle als Ehefrau und Mutter besinnen.” und “Für eine Frau sollte es wichtiger sein, ihrem Mann bei der Karriere zu helfen, als selbst Karriere zu machen.” eine geringere Zustimmung als bei der erstmaligen Erfassung 2006 erfahren. Die Zustimmung steigt aber seit 2020 erneut deutlich an.

    Auffällig ist zudem, dass die Aussage „Frauen, die sich gegen eine Familie und Kinder entscheiden, empfinde ich als egoistisch.” seit 2020 zunächst eine relativ gleichbleibende Gesamtzustimmung von etwa jedem Fünften aufweist  und auch zwischen Ost- und Westdeutschland kaum oder nur geringe Unterschiede bestanden. In diesem Jahr aber ist die Kluft besonders hoch. Während im Osten jeder Dritte die Entscheidung der Frau gegen eine Familiengründung und das Muttersein als egoistisch betrachtet, sind es im Westen nur knapp 19 Prozent. Dies ist gerade deshalb besonders, da in der Vergangenheit sexistische Aussagen in Ostdeutschland stets weniger Zustimmung fanden als in Westdeutschland. Eine Beobachtung, welche die Autoren der Studie auf „die Rolle der Frau und die Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit in der DDR“ zurückführten.

    Ganz unkritisch gesehen wird diese Studie, welche seit 2002 alle zwei Jahre durchgeführt wird, jedoch nicht. Häufigse Kritikpunkte sind die teils nicht eindeutigen Formulierungen mancher Aussagen, welche einen großen Interpretationsspielraum zulassen sowie suggestive Fragestellungen. Die tatsächlichen Motive oder Einstellungen, welche hinter einer Zustimmung oder einer Ablehnung der Aussagen stecken, sind nicht immer ersichtlich und so hängt es beispielsweise von der Interpretation der Forschenden ab, ob die Zustimmungen zu den präsentierten Aussagen  wirklich als antifeministisches Ressentiment anzusehen sind.

    Gewalt gegen Frauen nimmt in jedem Bereich zu

    Doch nicht nur die Leipziger Autoritarismusstudie beschäftigt sich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen. Letzte Woche veröffentlichte das Bundeskriminalamt (BKA) erstmals das Bundeslagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023“. Die begangenen Delikte unterteilt das BKA in zwei Phänomenbereiche.

    Der erste ist die politisch motivierte Kriminalität. Diese „vorurteilsgeleiteten Straftaten gegen Frauen“ sind Straftaten, die sich aus einer politischen Überzeugung des Täters, also aus der Ablehnung von Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der Geschlechter heraus, gegen Frauen aufgrund ihres Geschlechts richten. Davon gab es im letzten Jahr 322. Ein Anstieg von rund 56 Prozent im Vergleich zu 2022. Darunter fallen zum Beispiel Hassverbrechen wie frauenfeindliche Gewalttaten. Für 2023 erfasste die Polizei davon 29 Fälle. 2022 waren es noch 15.

    Den zweite Phänomenbreich stellen Straftaten dar, die überwiegend zum Nachteil von Frauen begangen werden oder in ihrer Ausprägung primär Frauen betreffen, also Straftaten, deren Opfer überwiegend Frauen sind. So stieg im vergangenen Jahr die Zahl weiblicher Opfer von häuslicher Gewalt um fast sechs Prozent auf rund 181.000. Auch die Fälle von Vergewaltigungen, sexueller Nötigung und sexueller Belästigungen, bei denen über 98 Prozent der Opfer weiblich sind, stiegen um etwa sechs Prozent auf ungefähr 52.300 an. Fälle von Menschenhandel und Zwangsprostitution sind zwar vergleichsweise niedrig, doch auch hier ist ein Anstieg von rund sieben Prozent auf knapp 600 weibliche Opfer zu beobachten.

    Den wohl größten Anstieg gab es im Bereich der digitalen Gewalt. Etwa 17.200 Frauen wurden im Jahr 2023 Opfer von Cyberstalking, Cybergrooming (dem gezielten Aufbau sexueller Kontakte mit Minderjährigen über das Internet) und weiteren Missbrauchsdelikten. Ein Anstieg um 25 Prozent.

    Zudem gab es im vergangenen Jahr 938 versuchte und vollendete Tötungsdelikte an Frauen. Von den 360 vollendeten Tötungen fanden etwa zwei Drittel (68 Prozent) im Kontext von häuslicher Gewalt statt.

    Das sind, statistisch gesehen, fast drei versuchte und eine vollendete Tötung pro Tag.

    Das BKA kommt zu dem Schluss, dass die Gewalt gegen Frauen in allen Fallgruppen gestiegen ist. Jedoch sind auch die Zahlen des BKA nicht vollständig zuverlässig. Die Grundlage der Daten bildet die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Diese erfasst nur angezeigte Delikte, weshalb von einer höhere Dunkelziffer auszugehen ist. Delikte, wie Fälle häuslicher oder sexualisierter Gewalt, die aus einem Schamgefühl der Betroffenen häufig nicht angezeigt werden, werden in der PKS nicht berücksichtigt. Die Bezeichnung im Lagebild verwendeten Bezeichnungen “Frau” oder „weibliche Opfer“ beziehen sich auf Personen mit weiblichem Geschlechtseintrag. Gewalt an trans* Frauen ohne geänderten Geschlechtseintrag wird nicht abgebildet. Ein weiterer Grund, um von einer höheren Dunkelziffer auszugehen.

    Das Femizid-Problem

    Das deutsche Recht kennt Femizid nicht als eigenen Straftatbestand. In seinem Bundeslagebild weist das BKA darauf hin, dass für Femizide aktuell keine einheitliche Definition existiere. Zudem werde das Tatmotiv in der PKS nicht erfasst. Die Tötung von Frauen wird als Mord oder Totschlag behandelt.

    Jedoch ist nicht jede getötete Frau Opfer eines Femizids. Ausschlaggebend ist das Motiv.

    In feministischen Kreisen wird häufig von Femiziden gesprochen, wenn Frauen und weiblich gelesene Personen von ihren (Ex-)Partnern oder Familienangehörigen getötet werden. In Deutschland und weltweit werden zwar deutlich mehr Männer ermordet als Frauen. Jedoch sind bei Morden durch Intimpartner oder Familienangehörige über zwei Drittel der Opfer weiblich.

    Die Gruppe “Femizide stoppen” zählt auf Instagram, laut eigenen Angaben, „Femizide in Deutschland, um auf das strukturelle Problem aufmerksam zu machen“. Für das Jahr 2024 zählen sie aktuell 89 Femizide. Diese Zahlen sind aber mit Vorsicht zu betrachten. Femizide stoppen beziehen sich auf Medien- und Polizeiberichte von Frauen, die Opfer einer Tötung wurden, was eine große Dunkelziffer möglich macht. Des Weiteren ist unklar, ob Frauen wirklich aufgrund ihres Geschlechts getötet wurden, oder ob ein anderes Tatmotiv vorlag, welches  erst in einem Gerichtsverfahren geklärt werden muss . Daher geben diese Zählungen maximal einen groben Überblick über die Thematik und sind keinesfalls als sichere, wissenschaftlich ermittelte Zahlen zu betrachten.

    Was wird gegen Gewalt an Frauen und weiblich gelesenen Personen getan?

    Im Zuge der Veröffentlichung des Bundeslagebilds „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023“ kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein in Planung befindliches Gewaltschutzgesetz an. Dieses solle verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Gewalttäter und Fußfesseln zur konsequenten Durchsetzung von Kontaktverboten umfassen. Ob sich die steigende Gewalt gegen Frauen und weiblich gelesene Personen jedoch in Anbetracht zunehmender Frauenfeindlichkeit in der Bevölkerung ausschließlich durch strafrechtliche Verschärfungen bekämpfen lässt, bleibt fraglich.

    Gerade für Betroffene von häuslicher Gewalt sind Frauenhäuser wichtige Anlaufstellen, um der Gewalt zu entkommen. Diese sollen eigentlich Platz für die Betroffenen und ihre Kinder bieten, sind jedoch meist überbelegt und unterfinanziert. Die Finanzierung von Frauenhäusern ist nicht einheitlich geregelt. Der Bund zahlt zwar Zuschüsse, doch der Rest hängt vom jeweiligen Bundesland, nicht selten sogar von der Stadt, ab. Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland, in dem die Frauenhausfinanzierung durch ein Landesgesetz geregelt ist.

    Im Schnitt müssen Betroffene zwischen acht und 22 Euro pro Tag und Person für ihren Platz im Frauenhaus bezahlen. Das ist gerade dann ein Problem, wenn die Betroffenen finanziell vom gewalttätigen Partner abhängig sind oder kontrolliert werden. In Sachsen werden in etwa 55 Prozent der Fälle die Kosten vom Jobcenter oder Sozialamt übernommen. Doch auch nur, wenn man einen Platz im Frauenhaus findet.Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland 6.800 Plätze in Frauenhäusern. Laut der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt müssten es jedoch rund 21.000 sein. Es fehlen also über 14.000 Plätze.

    Unter der Ampelregierung sah das geplante Gewalthilfegesetz außerdem vor, dass der Bund sich zu einer verlässlichen Mitfinanzierung der Frauenhäuser verpflichtet. Zudem sollte darin ein Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz verankert werden. 2,6 Milliarden Euro sollten dafür vom Bund für einen Zeitraum von zehn Jahren, von 2027 bis einschließlich 2036, bereitgestellt werden. Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Grüne) stieß dabei jedoch auf Widerstand von Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP). Nach dem vorzeitigen Aus der Ampel gilt es als unwahrscheinlich, dass dieses Gesetz noch vor den vorgezogenen Neuwahlen verabschiedet wird, auch wenn Lindner-Nachfolger Jörg Kukies den Plänen zugestimmt hat.

    Eine politische Lösung für die Gewalt gegen Frauen scheint weit entfernt. Um dieses Thema dennoch nicht aus dem öffentlichen Diskurs zu verbannen, machen aktivistische Gruppen unter anderem heute am 25.11., dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, darauf aufmerksam. Gewalt an Frauen ist kein individuelles Problem einzelner Betroffener. Es ist ein strukturelles Problem, welches tief in der Gesellschaft verankert ist und deshalb nicht im Privaten, sondern in der breiten Öffentlichkeit besprochen und gelöst werden muss.

    Titelbild: Marit Meincke

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

    Verwandte Artikel

    Immer wieder ohnmächtig

    Verbale und physische Gewalt gegen weibliche Personen geschieht täglich, stündlich, minütlich. Autorin Lene setzt sich mit dem Gefühl der Angst vor der ständigen Bewertung und Abwertung auseinander.

    Kolumne | 15. September 2024

    „Und wenn sie uns nicht hören, dann werden wir weiter laut sein!“

    Die studentische Vollversammlung beschließt Forderungen der Studis gegen Rechts, um die Universität Leipzig vor dem „Rechtsruck“ infolge der Landtagswahl zu schützen.

    Hochschulpolitik | 8. November 2024