Kulinarik mit Kompass
Die Mensa serviert nicht nur Essen, sondern auch Weltbilder – manchmal scharf gewürzt mit Stereotypen.
Ernährung ist politisch. Sprache erst recht. Kombiniert man beides, landet man – Überraschung – in der Mensa. Genauer gesagt: bei der Benennung der Gerichte auf den Speiseplänen des Studentenwerks. Hier wird nämlich nicht einfach gekocht, hier wird Welt gebaut. Wort für Wort. Gericht für Gericht. Und manchmal fragt man sich: Auf welcher Karte eigentlich?
Denn das, was täglich auf den Tabletts landet, ist weit mehr als nur Nahrung. Es ist ein sprachliches Experimentierfeld, ein kulturelles Ratespiel – manchmal auch ein Akt der unbeabsichtigten Satire. Das zeigt sich schon im scheinbar harmlosen Süßkartoffel-Curry mit Cashewkernen und … Spätzle? Da treffen südasiatische Aromen auf schwäbisches Grundvertrauen. Ist das noch Fusion oder schon Verwirrung? Aber gut, wer solche Kombis nicht goutiert, greift eben zum „Pastateller“. Der hat immerhin keine Ambitionen, irgendwoher zu stammen.
Deutlich kreativer – oder zumindest gewagter – präsentiert sich der Spätzle-Salat „mexikanische Art“. Gesichtet in der Medi-Mensa: Tomaten, Spätzle, Kidneybohnen. Ein Gericht, das mehr Fragen aufwirft als es sättigt. Was genau macht das jetzt mexikanisch? Die vier Bohnen obendrauf? Oder reicht es schon, wenn ein Gericht nicht eindeutig deutsch wirkt, um ihm ein Etikett zu verpassen, das nach Fernweh klingt?
Ein ähnliches Schicksal ereilt regelmäßig die Tomatensoße México. Sie ziert Nudelgerichte, ohne viel Aufhebens zu machen – dafür aber mit einem Namenszusatz, der aus jeder Gabel Pasta eine geopolitische Geste machen will. Auch das Adjektiv indisch hat es zu einiger Prominenz gebracht: Indisches Aloo Gobi, Indischer Dal – klingt gut, passt ins Weltbild. Nur: Wer entscheidet eigentlich, wann ein Gericht „indisch“ ist? Und warum ist der Kaiserschmarrn mit Apfelmus nicht „österreichisch“, sondern einfach nur Kaiserschmarrn?
Es ist ein Spiel mit Bezeichnungen, das vor allem eines offenbart: eine sehr eurozentrische Perspektive aufs Kochen. Die Zuschreibung „indisch“ dient nicht der kulinarischen Präzision, sondern der Exotisierung. „Mexikanisch“ meint oft nicht viel mehr, als dass kein Sauerkraut dabei ist. Und „asiatisch“? Das ist die Schublade für alles, was Bambussprossen oder Ananas enthält – wie die legendäre Asiatische Tomatensoße. Ob Nordasien, Südostasien oder Zentralasien – egal. Hauptsache, es klingt nach Wok und Weltreise.
Womit wir bei der Winkekatze wären – liebevoll auch Maneki-neko genannt –, die in der Mensa am Park den Wok-Tag ankündigt. Ein Glückssymbol japanischer Herkunft für ein chinesisches Kochgerät in einer deutschen Hochschulmensa. Kulturelle Koexistenz oder semantisches Kuddelmuddel? Vermutlich beides. Aber wenn schon Globalisierung, dann wenigstens mit einer Winkekatze, die keiner versteht – und die trotzdem jeden begrüßt.Die Königin unter den kulinarischen Rätseln bleibt für mich jedoch die Hongkong-Knusperschnitte. Was ist das? Wer ist sie? Und was hat sie mit Hongkong zu tun? Ich würde wirklich gerne mal jemanden aus Hongkong fragen, ob er weiß, was eine Knusperschnitte ist – und ob sie dort im Alltag eine Rolle spielt. Ich vermute: eher nicht.
Das einzige Gericht, das eine halbwegs logische Herkunftszuschreibung bekommt, ist das Schweizer Sahnehacksteak mit Käse überbacken. Schweizerisch – weil Käse. Basta. Der Alpenstaat als Melting Pot für Überbackenes. Da weiß man wenigstens, woran man ist.
Was all das zeigt? Die Mensa-Speisekarte ist ein Spiegel unserer sprachlichen Fantasie – und unserer kulturellen Kurzsichtigkeit. Es wird mit Ländern jongliert, mit Kontinenten gewürfelt, mit Klischees gekocht. Natürlich nicht aus böser Absicht, sondern aus einem manchmal etwas arg spielerischen Verhältnis zu Welt und Würze. Aber gerade deshalb lohnt sich ein genauer Blick.
Denn wenn Essen wirklich verbindet – und das tut es –, dann sollten wir auch sprachlich sorgsam damit umgehen. Nicht jeder Gerichtname muss ein Geografieunterricht sein. Aber wenn er schon einer ist, dann bitte einer, der mehr erklärt als verwischt.
Titelbild: freepik


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