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  • „Die Texte sind schon immer politisch“

    Wenn Sprache Grenzen öffnet: In der Sommerausgabe spricht Buchmesse-Preisträger Thomas Weiler über seine Arbeit als Übersetzer.

    Auch bei der diesjährigen Leipziger Buchmesse wurden Personen gekürt, die besondere Leistungen im literarischen Feld erbracht haben. In der Kategorie Übersetzung ist Thomas Weiler mit seinem Werk „Feuerdörfer“ Preisträger, dass er aus dem Belarussischen ins Deutsche übersetzt hat. In diesem werden Zeitzeugenberichte von Überlebenden der NS-Verbrechen in Belarus erzählt und kontextualisiert. Seit dem Abschluss seines Studiums 2007, welches er zum Teil auch in Leipzig absolvierte, ist Weiler als Übersetzer aus dem Belarus- ischen, Polnischen und Russischen tätig. Mit luhze-Redakteurin Maritta Singer sprach der 46-Jährige über die Grenzen und Freiheiten seines Berufs und die politische Bedeutung des Übersetzens.

    luhze: Dürfen Sie sich aussuchen, welche Werke Sie übersetzen?
    Weiler: Das hängt davon ab, wie lange man schon dabei ist. Am Anfang muss man nehmen, was einem angeboten wird. Wenn man dann ein paar Jahre dabei ist und mit ein paar Lektoraten zusammengearbeitet hat, wissen die oft ganz gut, wo die jeweiligen Stärken liegen. Dann erhält man auch gezielt Anfragen zu Texten, von denen das Lektorat denkt, dass sie gut zum Übersetzer passen. Am Anfang habe ich aber auch Bücher vorgeschlagen, die mir gefallen haben und zu dem Verlag passen. Inzwischen ist es eher so, dass ich bei Texten, für die ich keine Zeit habe, auch andere Kollegen und Kolleginnen vorschlage.

    Wählen Sie Bücher aus, die Sie auch selbst gerne lesen?
    Ja, ich habe beispielsweise viele Kinder- und Jugendbücher übersetzt. Ich lese meinen drei Kindern auch sehr viel vor, deshalb lag es nahe, sich mit Kinderliteratur zu beschäftigen. Sachbücher zu Themen, die mir völlig fremd sind und auch reine Fantasy-Literatur würde ich wahrscheinlich nicht übersetzen. Das lese ich einfach zu wenig und kann damit nicht so viel anfangen. Das würde man dann auch in der Übersetzung merken.

    Fällt es Ihnen leichter, Sachbücher zu übersetzen, wenn Sie sich davor schon mit der Thematik auseinandergesetzt haben?
    Ein Sachbuch zu übersetzen, ist immer mit Rechercheaufwand verbunden. Die Terminologien und Vokabeln muss man sich erst einmal aneignen. Man muss Texte zu dem Thema lesen, um zu lernen, wie dieses Fachgebiet im Deutschen aussieht. Ich habe zum Beispiel ein Kindersachbuch über Bienen übersetzt, da kommt vieles vor, was man inhaltlich nicht kennt. Aber Interesse an dem Thema ist hilfreich, dann kann man Dinge lernen, von denen man auch nach dem Übersetzen noch etwas hat.

    Ist es üblich, dass man alle Übersetzungen für eine*n Autor*in übernimmt?
    Wenn es gut funktioniert und auch das Lektorat mit dieser Zusammensetzung zufrieden ist, ist es eigentlich die Regel, dass man das fortführt. Das wird irgendwann schwierig, wenn es zu viele dieser Gruppierungen gibt, da der Zeitplan dann zu eng wird. Aber auch hier versuche ich, zu anderen Übersetzern zu vermitteln.

    Fällt es leichter, wenn man schon an den jeweiligen Schreibstil gewöhnt ist?
    Ich glaube, wenn es gute Autoren sind, dann verleihen sie jedem Buch einen eigenen Ton. Vor allem, wenn sie viel mit Stil und Sprache arbeiten, ist der Ton nicht gleich. Dann haben die Charaktere jeweils andere Erzähltöne. Es hilft aber, die Autoren zu kennen und zu wissen, wie sie sprechen und was sie interessiert. So erkennt man Motive wieder oder die Art, wie der Text aufgebaut ist. Wenn man aber zu viele Texte von einem Autor übersetzt, ist irgendwann der Reiz weg.

    Wann ist eine Übersetzung fertig?
    Das Ende setzt die Abgabefrist, da der ganze Prozess sehr getaktet ist und viele weitere Menschen involviert sind. Aber eigentlich kann man immer Stellen finden, an denen man weiterarbeiten könnte. Es gibt auch den Fall, wie etwa bei der Übersetzerin Swetlana Geier, die Verbrechen und Strafe von Fjodor Dostojewski in einem Abstand von zwanzig Jahren zweimal aus dem Russischen übersetzt hat. Das sind Extremfälle, aber es ist eigentlich immer schwierig, den Punkt zu finden, an dem man ganz im Reinen mit seiner Übersetzung ist. Das ist wahrscheinlich ähnlich wie bei Autoren.

    Wie viel von der Originalsprache kann man den Leser*innen zutrauen?
    Das ist eigentlich immer eine Gratwanderung: Wie weit hole ich den Text an ein deutsches Lesepublikum heran? Und wie weit lasse ich ihn noch in der Fremde? Dürfen die Leser vielleicht auch hin und wieder merken, dass sie gerade eine Übersetzung lesen? Für viele ist es wahrscheinlich immer noch so, dass eine Übersetzung dann gut ist, wenn sie sich möglichst deutsch liest. Das finde ich fragwürdig. Ich persönlich bin eher auf der Seite, dass man zur Kenntnis nehmen darf, dass es ein übersetzter Text mit fremden Elementen ist. Dieses Abwägen gibt es auf der Wort- und Strukturebene. Zum Beispiel stellt sich die Frage, wie stark die Syntax verfremdet werden darf.

    Stellt die Sprache für Sie im Prozess mehr eine Freiheit oder eine Einschränkung dar?
    Nein, ich fühle mich nicht eingeschränkt. Das Deutsche bietet unendliche Möglichkeiten und das Original gibt mir eine Vorlage, wohin der Text gehen soll. Es liegt dann an mir, den Ort für diesen Text im Deutschen zu finden. Das Original ist dabei Start- und Zielpunkt.

    Der Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung zeichnete mit dem Werk „Europas Hunde“ von Alhierd Bacharevič einen weiteren belarusischen Text aus. Gibt es eine neue Wertschätzung für belarusische Literatur?
    Das würde ich so nicht sagen. Es gab jetzt eine Häufung mit den Preisen, durch den Buchpreis für Europäische Verständigung und den Preis der Leipziger Buchmesse. So etwas ist so noch nie vorgekommen. Es ist immer noch sehr schwer, belarusische Literatur wahrnehmbar zu machen.

    Haben Sie ein Verantwortungsgefühl beim Übersetzen von historischen und politischen Werken?
    Bei „Feuerdörfer“ war es schon sehr speziell. Das ist eine andere Verpflichtung. Und auch hier war mir bewusst, dass es ein Text ist, der es schwer hat, zur Kenntnis genommen zu werden. Er ist für ein deutsches Publikum sehr wichtig. Gleichzeitig braucht es aber auch eine besondere Überwindung, sich mit dem Thema so auseinanderzusetzen. Deshalb wollte ich besonders auf diesen Text aufmerksam machen.

    Das Buch „Europas Hunde“ wurde im Jahr 1975 in Originalsprache veröffentlicht. Wie kam es dazu, dass dieser 50 Jahre alte Text übersetzt wird?
    Ich habe den Text vorgeschlagen. Mir war bewusst, welchen Stellenwert er in Belarus hat und wie sehr er viele beeindruckt hat. Dann habe ich die Möglichkeit bekommen, das lang übersehene Original zu übersetzen.

    Inwieweit verändert die momentane politische Lage Ihren Beruf?
    Es gibt eine größere Skepsis gegenüber Texten aus dem Russischen. Es sind Übersetzungs­för­derungen auf russischer Seite weggefallen, beziehungsweise nimmt niemand diese Förderungen mehr in Anspruch. Viele der belarusischen Autoren sind ins Exil gegangen, wodurch sie nicht unbedingt den Kopf frei haben, an ihren nächsten Roman zu denken. Zusätzlich hat sich die Verlagslandschaft stark verändert. Und es beschäftigt einen natürlich, was mit den Menschen passiert, die man kennt und mit denen man schon lange zusammenarbeitet. Seit den Geschehnissen 2020 in Belarus oder 2022 mit der Vollinvasion in der Ukraine übersetze ich auch tagesaktuelle Texte, um lesbar zu machen, was dort passiert.

    Übersetzen Sie wegen dieser Situation vermehrt politische Bücher?
    Die Texte, die dort entstehen, sind schon immer politisch, weil die Lage dort schon seit Jahrzehnten speziell ist, auch wenn wir das in Deutschland so nicht mitbekommen. Wenn es möglich ist, über die Literatur auch politisch zu sensibilisieren, ist das gut. Ich sehe mich als Literaturübersetzer, aber in der Literatur ist ganz viel drin, unter anderem Politisches.

    Ist die Übersetzung von Literatur generell ein politischer Akt?
    Man kann das schon sagen. Wenn der Übersetzer auch mitentscheidet, welche Texte übersetzt werden, ist das schon politisch. Denn so werden bestimmte Texte in den deutschen Kontext einbezogen, während andere draußen bleiben. Dadurch wird geprägt, welches Bild wir von einem Land haben. Es gibt auch Texte, die ich aus politischen Gründen nicht übersetzen würde. Man muss viele Entscheidungen fällen, und das sind oft auch politische.

     

    Foto: Christiane Gundlach

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