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  • Großes Festival, kleine Bühne

    Warum Leipziger Acts beim HIVE kaum stattfinden – und was das mit Ostdeutschland, Kommerz und Clubkultur zu tun hat.

    Ferropolis ist einer jener Orte, die wie geschaffen wirken für Festivals dieser Größenordnung. Auf dem ehemaligen Tagebaugelände zwischen Leipzig und Berlin versammeln sich an einem Wochenende im Juni rund 25.000 Menschen, um zwischen stillgelegten Baggern und provisorischen Dancefloors zu tanzen. Das HIVE Festival 2025 ist nicht nur ein Event, sondern ein durchinszeniertes Spektakel der elektronischen Musik. Drei Tage lang, bei Temperaturen um die 30 Grad, bewegt sich das Publikum zwischen Techno, Trance und Hardcore – immer mit Plan, selten spontan. 

    Für viele Besucher*innen ist das Teil eines Rituals. Wer sich treiben lässt, riskiert, sich zu verlieren – im besten oder im schlechtesten Sinne. Und doch stellt sich beim Blick auf das Line-up eine zentrale Frage: Warum sind Künstler*innen aus Leipzig, einer der aktivsten Szenestädte der elektronischen Musik in Ostdeutschland, so selten vertreten? 

    Ein Standort mit Symbolik 

    Ferropolis hat sich in den vergangenen Jahren zu einem kulturellen Fixpunkt entwickelt. Die „Stadt aus Eisen“, mit ihren fünf stillgelegten Großgeräten aus der Tagebauzeit, steht für Transformation – von der fossilen Energie zur kreativen Aufladung. 

    „Ich glaube schon, dass das Festival sehr viel Traffic in die Region bringt“, sagt Yasmin Biefang, Social-Media-Managerin des Festivals. Vor Ort lässt sich das durchaus beobachten: Vor dem Edessa-Imbiss drängen sich Festivalbesucher*innen auf dem Gehweg, Taxis stehen in Zweierreihen vor dem Campingplatz, an der Tankstelle wechseln kalte Getränke schneller den Besitzer als Benzin. Und in der Bahnhofsgaststätte „Zur Eiche“ – sonst eher ein Ort für Stammgäste – bestellt ein auffallend junges Publikum Currywurst im Brötchen. Ein Besucher aus Erfurt sagt: „Gerade für Regionen wie hier ist so ein Festival einfach ein krasser Push.“ 

    Doch mit der Größe kommen auch Einschränkungen. Besucher*innen kritisieren unter anderem fehlende Schattenplätze, lange Toiletten-Schlangen und ein Zwei-Klassen-System, das sich unter anderem in kostenpflichtigen Duschen zeigt. Die „Talent Stage“, einst als Plattform für Newcomer gedacht, wird inzwischen überwiegend von bereits etablierten Künstlerinnen bespielt. Die Wahrnehmung: „Sehr kommerziell“, sagen mehrere Gäste. 

    Leipzig bleibt Randnotiz 

    Leipzig gilt als eine der dynamischsten Städte für elektronische Musik in Deutschland. Seit Jahren entstehen hier Kollektive wie Sachsentrance, Kein Kollektiv oder Kollektiv Kitsch – mit eigenständigen Bookings, Veranstaltungsreihen und wachsendem Publikum. Umso überraschender ist die geringe Präsenz Leipziger Artists auf dem HIVE Festival. 

    Das HIVE Festival steht exemplarisch für ein Dilemma, das viele große Veranstaltungen heute prägt: Der Wunsch nach Vielfalt und Offenheit trifft auf eine Veranstaltungslogik, die nach Reichweite, Sichtbarkeit und Wirtschaftlichkeit funktioniert. HIVE ist durchprofessionalisiert, strukturell komplex – und damit nicht automatisch zugänglich für alle.  Ein kuratiertes Showcase aus Leipzig? Ist laut Veranstalter Robin Pfeiffer nicht geplant: „Unser Anspruch ist ein diverses, hochwertiges Line-up mit internationaler Reichweite.“ 

    Stattdessen setzt das Festival auf andere Formate. Im August soll HIVE on Tour im Westhafen Leipzig Station machen – als temporäre Annäherung an die lokale Szene. Das eigentliche Festival in Ferropolis bleibt für viele Acts aus der Stadt dennoch schwer zugänglich. „Ich würde Leipziger DJs raten, einfach dran zu bleiben und bei Contests mitzumachen“, sagt Biefang. „Definitiv kann das ein Sprungbrett sein.“ 

    Sonne, Sound und Staub – das HIVE Festival 2025.

    Sprungbrett, kein Selbstläufer 

    Wer beim HIVE spielt, hat es auf die Bühne eines der sichtbarsten Festivals für elektronische Musik in Ostdeutschland geschafft – doch was danach folgt, bleibt ungewiss. Für viele ist es ein Anfang, keine Garantie. 

    DJ The Jakob Sister hat acht Jahre in Leipzig gelebt, Sachsentrance mitgegründet – und in den vergangenen zwei Jahren beim HIVE gespielt. Ein Auftritt bedeute Sichtbarkeit, aber keinen Selbstläufer. „Du musst immer Neues rausbringen – sonst wirst du ganz schnell vergessen“, sagt sie. Es brauche mehr als Talent: eine Handschrift, Präsenz, Ausdauer – und ein bisschen Glück. 

    Eine Besucherstimme beschreibt den Auftritt eines Nachwuchsacts so: „Wenn die Leute hier auflegen dürfen, ist das schon ein riesiger Schritt – auch für kleinere Artists.“ Doch Sichtbarkeit entsteht nicht allein durch das Booking. Auf Floors wie dem Disco Forest oder der Talent Factory, die Raum für musikalische Experimente lassen, bleibt das Publikum mitunter überschaubar. „Martin Meyer b2b Babxi war mein Highlight bisher – das war hier auf dem Disco Forest“, erzählt ein Gast. Nähe entsteht – Reichweite nicht zwingend. 

    Zwischen Bühne und Backstage 

    Auf den zentralen Bühnen, etwa dem Groove Beach oder dem Rage Cage, sind die Headliner gesetzt. Die Struktur des Festivals ist klar hierarchisch: Sichtbarkeit ist an Reichweite gekoppelt. Die Talent Factory, die eigentlich als Bühne für Newcomer dienen soll, wird von vielen Besucher*innen als halbherzig empfunden. Die Idee sei vorhanden, werde aber nicht konsequent umgesetzt. 

    Gleichzeitig entstehen Chancen. HIVE bietet eine professionelle Plattform, DJ-Contests und Möglichkeiten für erste Bookings. „Unser Booking-Team macht echt einen guten Job, Artists mit Potenzial früh zu buchen“, sagt Biefang. Doch ob daraus längerfristige Karrieren entstünden, bleibe offen. Viel hänge von der Szene selbst ab – und davon, wie nachhaltig sich Strukturen jenseits der Festivalsaison etablieren ließen. 

    Der Preis der Professionalisierung 

    Die ökonomischen Zwänge des Kulturbetriebs sind spürbar. Veranstalter*innen berichten von steigenden Kosten, hohen Auflagen – und einem wachsenden Druck, konstant hohe Besucherzahlen zu generieren. The Jakob Sister bringt es auf den Punkt: „Du brauchst 800 Gäste, um auf Null zu kommen – ohne deine eigenen Arbeitsstunden zu rechnen.“ 

    Es ist ein Trend, der viele Formate betrifft: Idealismus trifft auf Kalkulation. Der Wunsch nach Gemeinschaft wird durch Ticketpreise und Budgetlimits gebremst. „Mehr Vertrauen in kleinere Crews und Clubs“, fordert The Jakob Sister. Und weiter: „Es sollte wieder mehr um Community gehen – nicht um Kommerz und Headliner.“ 

    Gleichzeitig wächst die Eigeninitiative: Ende September veranstaltet The Jakob Sister gemeinsam mit Sachsentrance ein zweitägiges Event im Täubchenthal Leipzig – Trance Force – Double Birthday Bash. Drei Floors, Indoor und Outdoor, feiern acht Jahre Sachsentrance und verbinden lokale Netzwerke mit internationalem Sound. Sichtbarkeit, unabhängig organisiert. 

    Zwischen Anspruch und Realität 

    Veranstalter Robin Pfeiffer betont, HIVE solle wachsen – aber „nicht um des Wachstums willen“, sondern „gezielt, kuratiert“.„HIVE ist in Ostdeutschland verwurzelt – aber nie darauf begrenzt“, erklärt er. 

    Die Leipziger Szene ist jedenfalls präsent – auch ohne Festivalbühne. Wer dort auflegt, mixt, plant oder einfach zuhört, ist Teil eines Netzwerks, das in Clubs wie dem AxxonN ebenso zu Hause ist wie auf Soundcloud oder in Wohnzimmern. HIVE bietet eine Plattform – aber nicht die einzige. 

    Ein Festival im Wandel 

    HIVE ist ein Festival mit großer Reichweite, klarem Profil und internationalem Anspruch. Doch die Frage, wie stark es tatsächlich mit den lokalen Szenen verbunden ist, wird von Jahr zu Jahr drängender. Vor allem Leipzig – ein Zentrum der elektronischen Musik in Ostdeutschland – bleibt bislang auffällig unterrepräsentiert. 

    Die Diskussion über Sichtbarkeit, Teilhabe und Förderung regionaler Acts ist dabei nicht nur kulturpolitisch relevant. Sie betrifft die Zukunftsfähigkeit eines Festivalformats, das sich selbst als offen und vielfältig versteht. Klar ist: Die Szene ist da – sie sollte nur auch zu sehen sein. 

     

     

    Fotos: HIVE Festival

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