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  • Von Klassik und Peter Fox: Zu Besuch beim Schostakowitsch-Festival 2025 im Leipziger Gewandhaus

    Im Mai widmete das Gewandhaus Leipzig dem Komponisten und Pianisten Dimitri Schostakowitsch ein eigenes Klassik-Musikfestival. Anlass war der 50. Todestag des Komponisten.

    Schon die Plakate des Festivals waren von der Mensa am Park gut sichtbar. Um die Säulen des Gewandhausgebäudes wickelten sich die Buchstaben D-S-C-H– die Initialen des Komponisten: Dimitri Schostakowitsch. Aber wer war Schostakowitsch eigentlich und was thematisierte er in seinen Kompositionen?   

    Schostakowitsch lebte und komponierte im 20. Jahrhundert in der Sowjetunion. Seine Musik entstand unter deutscher Besatzung, mitten im Zweiten Weltkrieg und in dem autoritären Regime unter der Herrschaft Stalins. Zeitlebens war Schostakowitschs Musik in der westlichen BRD weniger bekannt als in der DDR. Da Autoritarismus und Faschismus auch heute wieder im Vormarsch sind, widmete das Gewandhaus dem Komponisten das 18-tägige Musikfestival. Schostakowitschs umfassendes Werk ist in diesen Zeiten also von besonderer Aktualität. So zog es im Mai Menschen aus aller Welt nach Leipzig.  

    Konkret besuchten etwa 300.000 Menschen aus 49 Ländern das vom 15. Mai bis 1. Juni 2025 andauernde Schostakowitsch-Festival. Sie reisten unter anderem aus ganz Deutschland, den USA, Großbritannien, Österreich und den Niederlanden an, um sich intensiv der Musik Schostakowitschs zu widmen. Das internationale Festival stand unter der Leitung des Gewandhauskapellmeisters Andris Nelson und der Dirigentin Anna Rakitina. Ein Höhepunkt war Schostakowitschs 7. Sinfonie, die sogenannte „Leningrader Sinfonie“. Sie wurde gleich drei Mal vom angereisten Boston Symphony Orchestra und dem Leipziger Gewandhausorchester aufgeführt. Die doppelte Konzertbesetzung machte einen sehr imposanten Eindruck. Es gab gigantische zehn Kontrabässe: fünf vom Leipziger und fünf vom Bostoner Orchester.

    Große Orchesterbesetzung bei der Leningrader Sinfonie am Abend des 24. Mai. Foto: Gert Mothes

    Erster Zugang zur klassischen Musik durch Stückeinführungen 

    Einen ersten einfachen Zugang zur Musik boten die circa 45-minütigen Stückeinführungen, die das Gewandhaus beim Festival zu allen großen Konzerten anbot. 

    Dabei wurden die Noten, Motive, Tonarten, involvierten Instrumente und Höhepunkte der Stücke erklärt und mithilfe von Hörbeispielen veranschaulicht. Dies kann sehr hilfreich sein, um die Musik besser zu verstehen, auf sich wirken zu lassen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. In der Einführung zur sogenannten „Leningrader Sinfonie“ war beispielsweise zu erfahren, dass Schostakowitsch seine Initialen D –(S)ES-C-H in die Noten der Partitur verwob und als wiederkehrendes Motiv einarbeitete. Somit verewigte er sich in dem Stück selbst. Die 7. Sinfonie entstand während der deutschen Belagerung Leningrads von 1941 bis 1944. In dem über 80-minütigen Stück entfaltet sich der Hunger, das Leid und der Tod, die die Bevölkerung Leningrads in dieser Zeit erlebte, mit bedrohlicher Langsamkeit. Die Spannung, Dramatik, Verzweiflung und Traurigkeit dieser Zeit sind zu hören und lösen Gänsehaut aus. 

    Wenn die Musik nicht automatisch eigene Assoziationen und Gedankenketten auslöst, kann eine Einführung Anregungen geben, um dem Konzert aufmerksam zuzuhören und Besonderheiten, Motive und (Un)Regelmäßigkeiten zu erkennen. 

    Aber: Stückeinführungen sind auch nicht alles. Oder: wie Peter Fox “Alles neu?” vergessen wurde 

    Ein Besucher, der extra aus Australien für das Festival angereist war, hielt allerdings nicht viel von Stückeinführungen. Um sich vollkommen auf die Musik einlassen zu können, um sein Musikerlebnis nicht durch theoretische Erläuterungen zu verfälschen, hielt er sich von diesen fern. Für Schostakowitsch begeistere er sich, weil seine Musik „gigantisch“ sei, einfach zu verstehen und bei ihm „große Emotionen“ auslöse. Die Musik sei für ihn „einfach nur schön“. 

    Und was in den Gewandhaus-Erläuterungen zur 7. Sinfonie gänzlich fehlte, war der Hinweis, dass sich Peter Fox in dem Song „Alles Neu?“ an einem Motiv des vierten Satzes der „Leningrader Sinfonie“ bedient hat. Das bekannte Motiv der Streichinstrumente aus dem Song war bei der Konzertaufführung aber deutlich zu erkennen! 

    Den Hinweis zu dem Song bekam luhze von einem Studenten, der Bratsche an der Hochschule für Musik und Theater studiert und das Festival mit Zehn-Euro-Karten mehrfach besuchte. Besonders mochte er die Kammersinfonie Op. 110a und die aufgeführten Quartette Schostakowitschs. Und natürlich kannte er die 7. Sinfonie und deren Verwendung in der Popkultur durch Peter Fox. Schostakowitsch ist also kein Urgestein aus dem letzten Jahrhundert, sondern auch im 21. Jahrhundert bei jungen Hörer*innen beliebt. 

    Studi-Tickets holen junge Menschen ins Gewandhaus 

    Für Studierende hielt das Gewandhaus einen Rabattcode bereit, mit dem alle Karten für 10 Euro zu erwerben waren. Ohne Rabatt konnte ein Ticket bei einer der großen Sinfonien schon gut 100 Euro oder mehr kosten. Mit der Aktion, die auch über die Uni-E-Mail-Verteiler verbreitet wurde, sollte der Konzertbesuch auch Studierenden und jungen Menschen ermöglicht werden.  Tatsächlich waren die Besucher*innen augenscheinlich überwiegend Leute im mittleren und Rentenalter. Nur vereinzelt konnten zwischen all den fiepsenden Hörgeräten und Rollatoren junge Menschen und bekannte Gesichter aus der Studierendenschaft erspäht werden. 

    Die Hürde, sich ein sehr teureres Ticket für eine Konzertdauer von bis zu drei Stunden zu kaufen, ist hoch. Insbesondere, wenn kein Bezug zu klassischer Musik durch eigenes Musizieren, familiäre oder schulische Prägung besteht. Auf Langesicht muss einem Konzerthaus so der Nachwuchs fehlen. Ohne Studi-Tickets, anderen Rabattaktionen und Erläuterungen zu den langen Stücken wären die Konzerte der großen Öffentlichkeit unzugänglich. Klassische Musik würde restlos undemokratisch und elitär sein, was sicherlich nicht im Sinner Schostakowitschs gewesen wäre. Mit seiner “Leningrader Sinfonie” sollte er der Bevölkerung Kraft, Mut und Durchhaltevermögen gegen die kriegerische Belagerung geben.

    Aber was fasziniert jetzt genau an der Musik Schostakowitschs?  

    Die Violinistin Barbara Skride meinte beim Musiker*innen-Gespräch am 27. Mai, dass die Musik eine „große Emotionalität“ mit sich bringe und sie schon als Kind in traurigen Momenten sehr berührt und gestützt hätte. Sie empfahl jungen Menschen für mehr Zugang zur klassischen Musik n bestehenden Angebote zu nutzen und die klassische Musik mehr in den Alltag zu integrieren. Schostakowitsch könnte an z.B. mit einem Ghetto-Blaster während der Mittagszeit vor der Moritzbastei abspielen. Die Emotionalität der Musik sei sofort spürbar. Skride spielte unter anderem am 28. Mai ein Violinen-Solo bei der Aufführung der 13. Sinfonie, die vom deutschen Massenmord 1941 in “Babi Jar”, heute Ukraine, handelt 

    Auch die Pianistin Elena Bashkirova, die den Liederabend am Abend des 27. Mai begleitete, sprach von einem „großartigen Werk“ Schostakowitschs, mit dem sie schon als Kind aufgewachsen und in Berührung gekommen sei. Sie wuchs in einer Musiker*innen Familie auf und begegnete Schostakowitsch als Kind sogar persönlich.

    Liederabend am 27. Mai mit Elena Bashkirova am Klavier. Foto: Jens Gerber

    Warum nicht mal wieder ins klassische Konzert?  

    Heißt das etwa, man müsse mit der klassischen Musik aufgewachsen sein, um sie zu mögen und einen Zugang zu ihr zu finden? Oder anders gefragt: was kann einem Menschen, der sonst noch keinen Kontakt zur klassischen Musik hatte, die Musik Schostakowitschs geben? Und warum sollten wir uns ein so teures Konzertticket kaufen, uns für mehr als zwei Stunden auf die gepolsterten Gewandhaussitze neben all die alten Leute setzen und nichts anderes tun, als der Musik zu lauschen? Warum ist klassische Musik aktuell? 

    Das Interesse kann persönlich sein. Nämlich dann, wenn die Musik eine tröstende Stütze in schwierigen Zeiten ist. Es kann auch interessant sein, die politischen und historischen Dimensionen der Kompositionen und ihres Entstehungskontextes zu entschlüsseln. Oder nachzuforschen, worüber sich die Komponisten die Köpfe zerbrochen haben und warum die Musik auf einen selbst so wirkt wie sie wirkt. Auch faszinierend kann die große Zusammenarbeit der Musiker*innen und des Orchesters sein, die bei einem Konzert notwendig ist. Und nicht zuletzt kann die Dramatik der Musik einen Menschen emotional berühren. Bei einem Konzertbesuch lohnt es sich also, sehr aufmerksam gegenüber der Musik und der eigenen inneren Resonanz zu sein. Schostakowitschs Musik löst auf jeden Fall Begeisterung aus, nicht zuletzt wegen dem antifaschistischen, widerständigen Gehalt. Und sie kann vielleicht Traurigkeit auffangen und Trost in schwierigen Zeiten spenden.

    Für alle was dabei:  

    Das umfangreiche Programm beim Schostakowitsch-Festival umfasste Sinfonien, Lieder, Kammerorchesterstücke, Instrumentalkonzerte und Chorsinfonien, sowie Präludien und Fugen für Klavier solo und Streichquartette. Außerdem gab es zwei Aufführungen der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ in Kooperation mit der Oper Leipzig. Filmabende, insgesamt 24 Musikeinführungen auf Englisch und Deutsch, extra Gespräche mit Musiker*innen und eine Ausstellung zu „Dimitrij Schostakowitsch“ von Studierenden der HGB rahmten das Festival. Und das hauseigenes Gewandhaus-Radio sendete die Konzertaufnahmen und Erläuterungen zu den Stücken. So war für alle etwas dabei und es konnten einige Studis aus der Campusbib gelockt werden. Ausgelassene Stimmung gab es bei diesem Festival mit Publikum und Musizierenden aus aller Welt allemal. Standing-Ovation waren bei den meisten Konzerten garantiert.

    Titelbild: Jens Gerber

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