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  • „LIEBE“ – Ein Tanzstück übers Lieben und Leiden auf Französisch

    Das Duett toaspern|moeller verarbeitet das Liebestagebuch „Sich verlieren“ (franz. Org. „se perdre“) der Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Anni Ernaux zu einem famosen Tanzstück namens „LIEBE“.

    Das Buch „se perdre“ handelt von einer Liebesbeziehung, die einseitig und unausgewogen ist. Die Protagonistin empfindet mehr für den verheirateten, jüngeren russischen Diplomaten als dieser an Liebe erwidert. Trotzdem zieht sich die Hauptfigur nicht aus der Beziehung heraus, sondern versucht weiterhin den Kontakt zu dem Mann aufrecht zu erhalten. Verzweifelt versucht das literarische Ich „La Pérfection d’amour“, die „Vollkommene Liebe“, zu erreichen. Jedoch wird die Beziehung obsessiv und die einseitige Fixierung darauf letztendlich toxisch und schmerzhaft. Allerdings schöpft die Autorin aus der zwanghaften Beziehung auch Material für ihr schriftstellerisches Schaffen. Um nicht von der Muse verlassen zu werden und die kreative Quelle der literarischen Inspiration zu verlieren, bleibt die Protagonistin unglücklich in der Affäre. Vergeblich wartet sie auf die Liebe, die aber nicht erwidert wird. Die Aussichtslosigkeit der Affäre ist der Schreibenden im Tagebuchroman auch sehr bewusst. Trotzdem kann sie sich nicht frei machen. Wie blöd! Und was für ein unerträgliches, aber wohl auch allgemein bekanntes Gefühlschaos. Die Zerrissenheit zwischen harmonischem Verliebtsein und manischer Obsession… Ein ganz schön großes Cringe!

    Die Performance der Tänzerin Alma Toaspern und dem Sänger Mathias Monrad Møller ist vom LOFT – Das Theater und dem Theater Basel koproduziert. Zu Beginn ist die Bühne, die Christian Friedländer entworfen hat, im Halbdunkel zu sehen, die zwei Tanzenden stehen links vorne in Unterwäsche. Sie bewegen sich schwunghaft und mit einem tiefen, gurrenden r-r-r-Geräusch hin, zu den sakralen Marmorpodesten im hinteren Teil der Bühne. Auf den Podesten stehen sie starr wie antike Statuen, bis sie wieder anfangen sich langsam zu bewegen. Die zwei berühren sich nicht direkt. Doch die großen, weißen Stoffbahnen, die die Bühne einrahmen, erinnern an ein Schlafzimmer. Dort gibt es ein zartes Streicheln im luftleeren Raum, dass die Berührungen der  Liebenden andeutet. Da schwebt ein Bein in der Luft.

    Ist es Liebe in dem Mamor-Schlafzimmer?

    Irgendwann beginnt eine Kleiderschlacht. Es ist eine Art Fangenspiel, bei dem lediglich das gegenseitige Einfangen erfolglos bleibt. Beim Liebesakt werden kurze Sätze, wie Gespräche ausgetauscht: „Je t’aime – Merci”. Aber ist das eine ernst gemeinte Liebeserklärung?  „Du wirst meine Frau kennen lernen – Merci“. Ein minuziös gestreckter Fuß der Tänzerin, ein hoher Schrei, dann ist das Liebesspiel vorbei.

    Moeller ist ausgebildeter Opernsänger, Toespern ist ausgebildete Tänzerin.  Wie kann ein Glissando beim Tanzen gesungen werden? Der Bauch muss beim Tanzen locker sein, aber das Zwerchfell beim Singen angespannt. Diese Fusionierung der beiden Professionen Tanz und Gesang hat das Duett in der sehr organischen Aufführung aber wunderbar erarbeitet.

    Interessant war auch, dass die Performer*innen nicht die festen Rollen aus dem zugrunde liegenden Roman dargestellt haben. Stattdessen spielten in „LIEBE“ beide Darstellenden gemeinsam die Gefühle und Emotionen aus der Liebesbeziehung. Sie brechen damit aus der konkreten Rollenverteilung mit dem russischen Diplomaten und dem obsessiv verliebten, schreibenden Ich aus. Dank der getanzten Darstellung der Gefühlswelt dieser obsessiven Liebesbeziehung kommt das abstrakte Stück ohne die Reproduktion von Stereotypen aus romantischen, klischeehaften heteronormativen Liebesbeziehungen aus.  Textzitate aus Anni Ernaux´ Liebestagesbuch rahmen das gesamte Stück ein, indem sie auf die Stoffballen projiziert und auf französisch eingesprochen werden. In der Originalsprache sind die Textschnipsel, weil es sich auf Französisch, der Sprache der Liebe, „besser leiden“ lässt, so die Performenden im anschließenden Artist-Talk. Anni Ernaux hat das Tanzstück über ihre Liebesaffäre noch nicht gesehen. Aber die Rechte für den Text wurden für das Tanzstück freigegeben und ein Auftritt in Paris sei bereits in Planung.

    Insbesondere weil es in dem Stück um Liebe, um zwischenmenschliche Beziehung und Gefühle geht und nicht nur um Nacktheit, Sex und Körperlichkeit, sind die Tanzenden auf der Bühne nie völlig unbekleidet und nackt. Denn: „Wären wir nackt, läge der Fokus auf etwas anderem und nicht mehr auf der Liebe“, sagen die Künstler*innen im Nachgespräch.

    Von der Muse geküsst und zueinandergefunden. Halt bietet vor allem die Schreibsucht.

    Einmal schauen die Tanzenden glücklich ins Publikum. Trotzdem ist die Liebe auf dem unfruchtbaren Boden einer nicht-konsensualen, nicht-monogamen Affäre, und der Sucht zum Weiterschreiben gegründet. Hoffnungslos findet das Nicht-Paar in LIEBE nicht zueinander und macht sich dabei vor allem selbst kaputt. Sicherlich konnte dieser vergebliche, leidvolle Liebestanz einige Zuschauende etwas verzweifelt stimmen. Jedenfalls werden die Emotionen dieser verrückten, manischen Beziehung und der unerwiderten Zuneigung dem Publikum sehr nahegebracht. Im Nachgespräch erhält das Tanzduett großes Lob für die hervorragende Technik der tänzerisch-musikalischen Darbietung, sowie die präzise filmhafte Darstellung der Liebe.

    Die romantisierte vernarrte Fantasie von etwas, dass keine Liebe ist, lässt eine große trostlose Leere zwischen den zwei Menschen  auf der Bühne entstehen. Die Leere ist bis ins Publikum zu spüren durch den Tanz in Kombination mit dem Gesang entstanden. Schlussendlich bleibt beim „FAN-zösischen“ Nachhause-Tanzen die Frage über LIEBE zurück: Kam die Leere eigentlich durch die Liebe oder die Liebe durch die Leere?

    Weitere Aufführung von „LIEBE“ am Donnerstag, den 4. Juli 2025 im LOFT – Das Theater. Ab 17.30 Uhr gibt es ein Übungslabor zu Intimität, Nähe, Distanz und Konsens.

    Titelbild und Fotos: Kirsten Nijhof

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