Riesencurrywurst: ein kulinarischer Ausnahmezustand
Zwischen Brokkoli und Prinzipien – wie eine Wurst die Mensa am Park lahmlegt.
Neulich fragte mich ein Freund in der obligatorischen Schlange vor den Automaten im Eingangsbereich der Mensa: „Würdest du lieber für den Rest deines Lebens immer Punkt 13 Uhr in die Mensa am Park gehen – oder nur noch samstags um 12 Uhr in Reudnitz im Kaufland einkaufen?“
Ich musste nicht lange überlegen. Gebt mir die Kaufland-Omis, die mit ihren Einkaufswagenpanzern zielsicher jedes Schienbein treffen. Gebt mir die schreienden Kinder, die sich an der Süßigkeitenkasse festklammern wie Demonstrant*innen an Kohlebagger. Aber haltet mich fern vom 13-Uhr-Wahnsinn in der Mensa.
Denn wer es wagt, zur Stoßzeit die Mensa am Park zu betreten, erlebt Leipzigs eigene kleine Version vom Berghain – nur ohne Bass, mit Tablett und deutlich mehr Brokkoli. An normalen Tagen bilden sich epische Schlangen vor dem vegetarischen und veganen Gericht – nicht selten stehen da mehr Studis als in der Bib während der Prüfungszeit. Für Fisch, Fleisch oder den Grill reicht ein entspanntes „Mahlzeit“ – und zack, ist man durch.
Bis plötzlich die Riesen-Currywurst auf dem Plan steht.
Die Atmosphäre kippt. Die sonst eher gemächlich frequentierte Fleischstation wird zur Pilgerstätte. Die Mensa verwandelt sich für einen Tag in den Mehringdamm, die Ausgabe wirkt wie ein Außenposten von Curry 36, und aus dem Küchenfenster dringen aromatische Curryschwaden, als hätte sich ein Berliner Imbisswagen im Edelstahl versteckt.
Menschen, die sonst über Tierwohl, CO₂-Bilanzen und Sojaimporte debattieren, greifen zur Gabel wie Frodo zum Ring. Aus eingefleischten Vegetarier*innen werden für einen Mittagstisch lang Flexitarier*innen mit schlechtem Gewissen und leuchtenden Augen.
Was macht diese Currywurst so besonders?
Es ist nicht nur die Größe – obwohl: ja, sie ist absurd groß. Ein Snack für Leute, die finden, dass ein richtiges Mittagessen beeindruckend aussehen und eine eigene Geschichte erzählen sollte. Es ist auch das Ritual. Die Pommes daneben, die quietschrote Sauce, der Hauch von Kiez mitten in Leipzig.
Vielleicht ist es genau das, was uns fehlt. Zwischen Bib, Blockseminaren und Boulderkursen sehnen wir uns nach etwas Bodenständigem, Fettigem, Fastfoodigem. Ein kleines Rebellionsbekenntnis in Wurstform. Eine Currywurst, die sagt: Heute bin ich kein Bio-Tofu-Engel. Heute bin ich einfach nur hungrig.
Und trotzdem bleibe ich standhaft.
Ich werde nicht Teil dieser Schlange. Ich werde nicht mit 400 Kommiliton*innen den Eingang blockieren wie ein Streik. Ich werde nicht kämpfen um die letzte Portion Soße, während jemand im Hintergrund mit Schweißperlen auf der Stirn „Nachschub kommt gleich“ ruft.
Nein. Ich schnüre meine Docs mit Plateausohle, trete Samstag um 12 Uhr in Reudnitz durch die Schiebetür von Kaufland, weiche Einkaufswagen aus wie Neo den Kugeln, duelliere mich um den letzten Kopfsalat mit einer Kaufland-Koryphäe, die mindestens drei Jahrzehnte Erfahrung im Nahbereichskampf hat – und lächle dabei. Denn ich weiß: Ich habe das wahre Chaos vermieden.
Titelbild: Pixabay


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