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  • Wildpinkeln ist keine Lösung – oder doch?

    Zwischen Gebüsch und Bußgeld: Warum Wildpinkeln kein Skandal, sondern ein städtisches Versäumnis ist – und was Komposttoiletten verändern könnten.

    Wildpinkeln: eklig, respektlos, unhygienisch – sagen die Regeln des Anstands.

    Aber auch: alltäglich, unausweichlich und in manchen Leipziger Parks schlicht die letzte Möglichkeit. Was bleibt, wenn die Blase drückt und das Ordnungsamt lauert? Ein Gebüsch, ein Mantel, ein stilles Gebet. Willkommen im urbanen Spagat zwischen Körperbedürfnis und kommunaler Ignoranz.

    Wer abends durch den Clara-Zetkin-Park spaziert, sieht, was die Dunkelheit ermutigt: Menschen verschwinden verstohlen im Gebüsch, den Mantel als moralischen Sichtschutz vorgestreckt. Andere irren mit genervtem Blick und halb leeren Bierflaschen durch die Gegend – auf der Suche nach einem Ort, der weder Café noch Bußgeldbescheid bedeutet.

    Hand aufs Herz: Ist das wirklich „wild“ – oder einfach nur die logische Folge fehlender Infrastruktur?

    Leipzig inszeniert sich als urban, offen und grün, doch viele Parks bieten die sanitäre Ausstattung eines Mittelgebirgswanderwegs. Öffentliche Toiletten? Oft abgeschlossen, kostenpflichtig oder in einem Zustand, der eher Lost Place als stilles Örtchen schreit. Und weil wir so tun, als sei Pinkeln ein privates, fast mystisches Ritual, ignorieren wir das Offensichtliche: Wer draußen ist, muss irgendwann mal.

    Und zwar alle. Nicht nur Nachtschwärmerinnen oder Tagtrinker – auch Familien mit Kindern, ältere Menschen, Spaziergängerinnen, Picknickfreunde. Besonders Frauen sind hier klar im Nachteil: Während Männer kurz hinter einen Baum verschwinden, bleibt allen anderen nur Improvisation – mit einer Freundin als Sichtschutz. 

    Und dann gibt es noch diejenigen, über die nie gesprochen wird: Frauen mit Inkontinenz. Junge Mütter, die nach der Geburt mit Verletzungen oder einem geschwächten Beckenboden kämpfen. Für sie ist „mal eben pinkeln“ keine Option – weder ins Gebüsch noch unterwegs zwischen Parkbank und Eisdiele. Wer dabei stürzt, sich bekleckert oder schlicht nicht schnell genug ist, bezahlt mit Scham, Isolation und dem Rückzug aus dem öffentlichen Leben.

     Dabei wäre die Lösung längst erprobt: die Komposttoilette. Sie steht im Lene-Voigt-Park, sieht aus wie ein überdimensionierter Stromkasten und beweist, dass es geht: kostenfrei, umweltfreundlich und überraschend geruchslos.

    Warum also nicht mehr davon? Im Johannapark, im Palmengarten, am Auensee?

    Statt Wildpinkelnde zu kriminalisieren, könnte die Stadt endlich das Naheliegende tun: Toilettenhäuschen aufstellen – nicht als Gnadenakt, sondern als Teil der Grundversorgung. Gleich neben Parkbank, Spielplatz und Mülleimer.

    Denn Wildpinkeln ist keine Lösung, sondern ein Symptom. Ein feuchter Hilfeschrei aus dem Dickicht der kommunalen Vernachlässigung. Wer keine Toilette findet, nimmt sich eben einen Busch – nicht aus Lust am Rebell*innentum, sondern weil die Blase demokratischer ist als die Stadtplanung.

    Und mal ehrlich: Wenn jemand zwischen Mülltonne und Rhododendron in die Hocke geht, dann ist das nicht unanständig – sondern subversiv. Wildpinkeln? Das ist Guerilla fürs Grundbedürfnis. Es ist ein feministischer Akt. Einer mit heruntergelassener Hose – aber Haltung.

    Titelbild: Pixabay, Chris Keller

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