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  • Kopfhörer statt Kant – Warum Podcasts das neue Seminar sind

    Fußnotenfrei zur Erkenntnis: Warum Podcast-Hörer*innen mitreden können, ohne je ein Buch aufzuschlagen, erklärt Kolumnistin Greta.

    Man muss heute nicht mehr lesen, um belesen zu wirken. Ein paar gute Podcasts reichen. Wer im Gespräch beiläufig „der späte Bernhard“ fallen lässt oder Adornos Radiotheorie erwähnt, wird selten nach Fußnoten gefragt. Denn Podcasts haben das geschafft, was Germanist*innen seit Jahren vergeblich versuchen: Sie machen Theorie nebenbei konsumierbar – und zwar im Gehen, Kochen, Putzen. Oder beim Prokrastinieren.

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    Warum lesen? Es gibt doch auch Podcasts. Foto: privat

    Die Playlist der Gegenwart: Die sogenannte Gegenwart, Philosophisches Radio, Büchermarkt, Der literarische Salon. Alles, was früher Seminar hieß, kommt heute als MP3-Datei. Statt trockener Lektüreliste gibt’s angenehm warme Stimmen, die über Sinn, Sprache und Selbstverwirklichung parlieren. Wer sich besonders akademisch fühlen will, hört auf 1,0-facher Geschwindigkeit. Wer’s eilig hat, auf 1,5 – dann klingt selbst Botho Strauß wie Slam Poetry.

    Natürlich ist das alles keine Bildung im klassischen Sinne. Aber was ist das schon. Man muss sich heute entscheiden: Will man Nietzsche lesen oder über Nietzsche hören? Ersteres kostet Zeit und Nerven, letzteres zwei Tram-Stationen.

    Aber, zugegeben: Es funktioniert. Die Podcasts liefern Gesprächsfutter für das nächste Tutorium, sorgen für halbe Erkenntnisse mit ganzer Pose und machen uns alle ein bisschen zu Flaneur*innen der Philosophie. Wir hören über Bücher, die wir nie gelesen haben, und denken kurz darüber nach, wie schön es wäre, mal wieder zu lesen. Dann kommt die nächste Folge.

    Man kann das beklagen. Oder anerkennen. Denn Podcasts schaffen, was der akademische Betrieb oft verlernt hat: Sie sprechen verständlich. Sie lassen Menschen reden, die was zu sagen haben – und nicht nur, weil sie eine Dissertation mit 327 Fußnoten geschrieben haben. Und wer zuhört, wird nicht dümmer. Nur vielleicht ein bisschen bequemer.

    Am Ende bleibt die alte Einsicht: Lesen fordert. Es verlangt Konzentration, Mitdenken, gelegentliches Zurückblättern. Podcasts dagegen laufen nebenbei. Man gleitet durch Meinungen mit Musikbett. Beides hat seinen Reiz – aber nur eines passt zur Mensafahrt.

    Podcasts sind das, was das Studium verspricht, aber selten hält: klug, kompakt – und erstaunlich unterhaltsam.

     

    Titelbild: Pexels

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