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  • „Film ist eine Kulturarbeit, die man durchaus auch mit einer politischen Haltung gestalten kann“

    Verfolgung und Flucht stehen in Kurdistan auf der Tagesordnung, belasten die gesamte Region. Ein Leipziger Filmfestival macht darauf aufmerksam.

    Amos Borchert spricht im Interview mit Hans Paul Koch über zehn Jahre kurdische Filmtage in Leipzig, kulturelle Selbstermächtigung und die Kraft des Kinos als Brücke zwischen Communities.

    luhze: Vom 14. bis zum 17. Mai fanden die 10. kurdischen Filmtage in Leipzig statt. Als Gründungsmitglied bis du seit dem ersten mal dabei. Was sind die kurdischen Filmtage und wie haben sie sich entwickelt?

    Amos Borchert: Die kurdischen Filmtage sind ein kleines Filmfestival, was wir seit 2015 organisieren. Sie sind ein Kulturprojekt von DOZ. Der Verein hat sich im Zuge der Revolution in Syrien hauptsächlich durch kurdischen Studenten gegründet und ist seit 2012 vor allem  im Nord-Osten Syriens, in den Bereichen Entwicklungshilfe, humanitäre Hilfe und Bildungsarbeit, aktiv.  Zudem arbeitet der Verein mit marginalisierten und vulnerablen Gruppen wie Frauen oder Binnengeflüchteten zusammen. Seit 2014 ist der Verein in Leipzig registriert und seit 2017 gibt es auch in der Region Kurdistan im Irak ein Büro.

    In Deutschland organisieren wir hauptsächlich Bildungsprojekte, einen Gemeinschaftsgarten und eben auch die kurdischen Filmtage, als Kulturprojekt. Die Filmtage sind aus der selbstorganisierten migrantischen Arbeit hervorgegangen und möchten den Dialog zwischen der kurdischen Diaspora und anderen Bevölkerungsgruppen in Leipzig, sowie die kurdische Kultur fördern.

    Wie haben die kurdischen Filmtage angefangen?

    2015 haben wir aus dem Verein als kleine Gruppe angefangen und zeigen die Filme seit dem ersten Jahr im Cineding. Seit zwei Jahren sind wir auch im Ost Passage Theater im Leipziger Osten. Dies war uns auch sehr wichtig, da ein großer Teil der kurdischen Diaspora in Leipzig im Osten der Stadt lebt.

    Wie funktioniert das Festival?

    Das Festival ist eher klein. Seit ein paar Jahren kriegen wir Unterstützung vom Amt für Migration und Integration der Stadt Leipzig, was super ist. In den Jahren davor mussten wir uns das Geld über kleinere Anfragen von verschiedenen Stellen zusammensuchen, wie zum Beispiel über Abgeordnetenbüros von Politiker*innen oder kleinere Fördertöpfe.

    Wie sucht ihr die gezeigten Filme aus?

    Die Film Auswahl machen wir zu Dritt. Es gibt schon relativ viele Festivals, auf denen kurdische Filme gezeigt werden. Dort schauen wir uns dann die Programme an und wählen dann die Filme aus, die wir zeigen wollen. Wir versuchen immer, eine Bandbreite an Filmen auszuwählen. Wir zeigen Filme aus den verschiedenen Regionen Kurdistans: Syrien, Iran, Irak und Türkei, aber auch Filme aus der kurdischen Diaspora.

    Welche Herausforderungen gibt es bei der Organisation?

    Am Anfang war hauptsächlich die Finanzierung ein Problem. Es ist immer noch ein kleines Projekt, in dem viel Herzblut und unbezahlte Arbeit steckt. Ansonsten ist es manchmal schwierig, an die Filme heran zu kommen. Es kann kompliziert sein die Rechteinhaber der Filme herauszufinden und teilweise sind die Filme dann auch zu teuer für uns, sodass wir uns die Vorführung nicht leisten können. Die meisten Verleiher sind aber sehr kulant und geben uns als NGO mit wenig Budget auch Rabatte. Aber es gab auch schon Filme, die wir gerne zeigen wollten und dann nicht zeigen konnten.

    An wen richtet ihr euch mit dem Festival?

    An interessierte und offene Leute. Es wäre natürlich auch cool, noch mehr Menschen aus der kurdischen Gemeinschaft in Leipzig ansprechen zu können. Daher kommt auch der Wunsch, im Leipziger Osten was zu machen. Außerdem haben wir in diesem Jahr auch einen Fokus daraufgelegt, dass der Flyer mehrsprachig erscheint.

    Flyer der diesjährigen Ausgabe. Credits: Kurdische Filmtage Leipzig.

    Ansonsten wäre es auch schön, intergenerational Leute zusammen zu bringen. Aber man merkt schon, dass ein Großteil des Publikum auch eher jüngere Menschen sind. Viele Leute kommen aus einem eher linken Spektrum. Sie beschäftigen sich oft schon vorher politisch mit dem Thema kurdische Selbstbestimmung.

    Warum ist es wichtig, dass in Deutschland durch Veranstaltungen wie diese, Aufmerksamkeit für die kurdische Gemeinschaft geschaffen wird?

    Es ist zum einen gut, dass man verschiedene Bilder, die man vom mittleren Osten hat, nochmal mit der Realität abgleicht. Ich glaube, dafür können Filme sehr gut sein. Zum anderen ist es wichtig, dass man beispielsweise auch den Kampf für Selbstbestimmung und Frieden in Syrien unterstützt. Und gleichzeitig sich auch, aus einer antirassistischen Haltung heraus, mit Leuten mit Migrationsgeschichte in der eigenen Stadt und mit deren Hintergrund beschäftigt.

    Warum wählt ihr ein Filmfestival als Mittel für diese Ziele?

    Zum einen glaube ich, dass Filme anschlussfähig sind. Filme sind halt sehr populär und Leute gehen gerne ins Kino. Ich glaube, dass Film eine Kulturarbeit ist, die man durchaus auch mit einer politischen Haltung gestalten kann. Und, dass man durch und mit Filmen mit Leuten ins Gespräch kommen kann, mit denen man normalerweise nicht so ins Gespräch kommt. Das ist oft sehr interessant, weil Leute Filme auch total unterschiedlich sehen. Das überrascht mich teilweise immer noch, wenn man nach dem Film mit Leuten spricht, aus welcher Ecke die Leute den Film lesen und verstehen.

    Wir versuchen auch immer wieder eine Mischung zu schaffen zwischen den Themen und der Art und Weise wie sie in den Filmen verhandelt werden. Wir zeigen Filme, die Probleme behandeln, die aber auch unterhaltsam sind. Es sind zum Beispiel auch mal Sportdokus dabei, die von kurdischen Fußball- oder Basketballmannschaften handeln. Wir probieren nicht nur die schweren Filme über Selbstverteidigungseinheiten in Syrien dabeizuhaben. Das ist manchmal gar nicht so leicht, weil es tatsächlich nicht so viele Komödien gibt. Der Großteil der Filme ist schon auch oft nicht so einfach zu konsumieren.

    Wie können Veranstaltungen wie diese dabei helfen, eine kurdische Gemeinschaft oder Identität hier in Deutschland zu schaffen oder zu erhalten?

    Das ist für mich nicht so einfach zu beantworten, weil ich keine kurdische Identität habe. Aber ich denke darüber zu sprechen und zu hören, wie Kurd*innen Identität für sich selbst definieren, kann schon helfen. Da gibt es natürlich so viele Antworten, wie es Menschen gibt. Aber ich glaube, dass es schon wichtig ist, dass man sich in seiner eigenen Erstsprache wahrgenommen fühlt. Dass man gesehen wird und sich anerkannt fühlt und nicht durch einen Begriff wie „Migrant*in“ oder „Flüchtling“ entpersonalisiert und letztlich auch entmenschlicht wird. Die Leute sollen in der Lage sein, differenziert kulturelle Hintergründe zu sehen. Zum Beispiel, dass es nicht nur eine kurdische Sprache, sondern verschiedene Dialekte und Schriftzeichen gibt.

    Durch die Filme werden die Zuschauer*innen mit unterschiedlichen Selbstbildern konfrontiert. Dadurch sollen sie auch ein Verständnis dafür gewinnen, dass es manchmal ein bisschen schwierig ist, eine Identität aufzubauen, wenn man zerrissen ist und auch nicht so genau weiß, wo man hingehört. Da man sowohl im Dorf der Großeltern als fremd wahrgenommen wird, weil die Erstsprache Deutsch ist, und dann aber auch hier als fremd wahrgenommen wird.

    Titelbild: Pixabay

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