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  • Mein Wohnzimmer im Grünen

    Die Malerwege- im Elbsandsteingebirge bieten eine kurze Auszeit vom hektischen Stadtleben. In dieser ländlichen Idylle hat Kolumnist*in Kalina die Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen.

    Ich setze mir oft unrealistische Ziele. Im Dezember letzten Jahres, hatte ich nur einen Gedanken: „2025 laufe ich einen Halbmarathon!“. Schneller angemeldet und bezahlt als durchdacht. Ich schaue in meine Emails und habe meine Startnummer. Rückblickend schon wieder 50 Euro unfreiwillig gespendet. Denn am Sonntagmorgen vom13.04. liege ich friedlich in meinem Bett, während meine Startnummer darauf wartet abgeholt zu werden. Solche Dinge passieren mir viel zu häufig. Vielleicht kennt ihr das auch?! Ich bin eine Meisterin darin Pläne zu schmieden, neue Hobbys für mich zu entdecken und Geld darin zu investieren. Dabei ist meistens nach kurzer Zeit das brennende Feuer der Motivation erloschen. Übrig bleiben nicht benutzte Werkutensilien, teure Boulderschuhe oder eben die Startnummer vom Leipziger Marathon. Naja, passiert mal, oder?  

    Dieses Mal soll alles anders laufen! Der Flug nach Porto für den 29.08. ist bereits gebucht. Die Wanderschuhe habe ich auch schon gekauft. Jetzt habe ich keine Wahl mehr. Vor meinem Ziel, den Jakobsweg zu laufen, kann ich mich nicht mehr in meinem Bettchen verstecken. Es heißt aufstehen, Wanderschuhe an und los! Sind doch nur 280 Kilometer von Porto bis nach Santiago de Compostela. 

    In letzter Zeit war alles zu chaotisch. Außerdem könnte mir eine Pause von der Schlange in der Cafeteria ziemlich guttun. Einfach mal wieder rausfahren in die Natur.  

    Der Gedanke an Ruhe gefällt mir. Das Gefühl von schmerzenden Füßen allerdings nicht. Es bleibt nichts anderes übrig, als vorher zu üben. Meine Glaubwürdigkeit und eine zu hohe Geldsumme stehen auf dem Spiel. Mit viel Überredungskunst schaffe ich es, meine Finger zu animieren nach Wanderwegen in meiner Umgebung zu schauen. 

    Der Gedanke an Ruhe gefällt mir. Das Gefühl von schmerzenden Füßen allerdings nicht.

    Bei meiner halbherzigen Recherche sehe ich plötzlich eine riesige Felswand. Mein Interesse ist geweckt. Keine Woche später sitze ich mit einer Freundin im Zug Richtung Pirna. Es war eine gute Idee, zu fragen, ob mich jemand begleiten will. Der soziale Druck hat es geschafft, mich genug zu motivieren, tatsächlich in den Zug zu steigen. Nach nur drei Stunden, sehe ich anstatt grau wieder grün. Eine angenehme Brise weht mir entgegen. Ich finde die perfekte Umgebung, um in meiner Hängematte ein Buch zu lesen. Doch das ist nicht der Plan. Der Bus fährt die letzten drei Stationen bis zur Haltestelle. Es geht immer steiler, während meine Motivation immer mehr bergab geht. Zusätzlich habe ich verdrängt, dass wir das Ziel auch irgendwie erreichen müssen. Jemand muss navigieren. Die Aufgabe fällt an diesem Tag mir zu. Meine Orientierungsschwäche ist die perfekte Zusatzqualifikation, um wandern zu gehen.  

    Die Wanderung beginnt. Es ist alles so ruhig! Meine Ohren kennen das Phänomen gar nicht mehr. Entweder hören sie die Stimmen meiner Mitmenschen oder auf voller Lautstärke meine Musik. Es ist friedlich. Erst hier draußen merke ich, wie sehr mich mein Alltag in seinem Netz gefangen hielt. Die Schritte fallen mir schwerer, jedoch wird meine Stimmung besser. Es ist keine halbe Stunde vergangen, als wir an einem Wasserfall vorbeilaufen. Könnte ich es mir aussuchen, wäre die Wanderung dort schon vorbei gewesen. Ich wäre richtig gerne einfach in dieses Wasser gesprungen. Einfach treiben lassen von der Strömung. Vielleicht bringt sie mich sogar bis zu unserem Zielort Wahlen. 

    Auch wenn meine Füße mir langsam wehtun, fängt meine Stimmung an sich zu verbessern. Denn die Umgebung ist viel zu schön, um schlechte Laune zu haben. Ich bin umgeben von riesigen Felsenwänden, die auf ihrem Rücken Bäume tragen. Neben dem Weg, der meine Ausdauer herausfordert, fließt das Wasser in Richtung Ziel. Keine lauten Geräusche umgeben mich, sondern angenehme Stille ist mein Wegbegleiter. Endlich finde ich die Zeit dafür nur zu existieren. Meine schmerzenden Füße lassen sich besser aushalten, da ich merke, dass mein Kopf nicht mit rasenden Gedanken vollgestopft ist. Heute muss ich nicht in einen vollen Bus, sondern sehe zwei Frösche, die meinen Weg kreuzen.  

    Nach zwei Stunden wandern brauche ich dann aber wirklich eine Pause. Der letzte Abschnitt geht steil bergab, hat meinen Energiereserven aufgebraucht. Am Rande eines Feldes, setzen wir uns auf eine Bank. Von dort aus haben wir eine weite Aussicht auf gelbe Rapsfelder und leere Wiesen. In diesem Moment merke ich, dass sich meine Einstellung zum Wandern ändert. Ich bin müde! Die Vorahnung des morgigen Muskelkaters, spüre ich schon. Aber ich fühle in mir auch eine angenehme Ruhe. Dieses Gefühl habe ich in den letzten Monaten vermisst. Innerlich bedanke ich mich bei mir selbst, dass ich doch aufgestanden bin. 

    Aufstehen fällt schwer. Vor allem wenn wir Dinge tun müssen, auf die wir eigentlich keine Lust haben. Manchmal braucht es einen Perspektivwechsel. In Gedanken versunken philosophiere ich über Lebensqualität im Alltag. Dann müssen wir schon weiter. Die Hälfte des Weges liegt noch vor mir. Der Gedanke reicht, um mich wieder zu demotivieren. Trotzdem bleibt die Erkenntnis. Wandern macht trotz der Anstrengung richtig Spaß! 

    Als wir endlich Wahlen erreichen, hat mein Körper den Energiesparmodus erreicht. Mein Kopf hingegen ist voller Glücksgefühle. Ein kleines stolzes Lächeln, liegt auf meinen Lippen, als ich wieder im Zug Richtung Leipzig sitze. Der Zufall und eine undurchdachte Flugbuchung ließen mich auf die Malerwege in der Sächsischen Schweiz stoßen. Ein Ort, den ich in nächster Zeit öfter besuchen will – oder eher muss? Zwischen 11 und 280 Kilometern liegen Welten. Bis ich dazu in der Lage bin, den Jakobsweg zu überleben, liegt noch viel Arbeit vor mir. Ich bin zuversichtlich. Die Eindrücke meiner ersten Wanderung sind mir trotz der Anstrengung positiv in Erinnerung geblieben. Ich glaube, dass die Chancen gut stehen, dieses Mal ein geplantes Ziel auch umzusetzen. 

     

    Fotos: privat

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