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  • Ich laufe, also bin ich

    Ist Sport die beste Medizin? Auf jeden Fall, denkt Kolumnist Eric und schreibt, warum gerade das Laufen für ihn Erfüllung bedeutet.

    Es war ein Sonntag, als ich ein fürchterliches Schnaufen hörte. Das Geräusch kam gefährlich näher. Sollte ich mich schnell verstecken? In ein Gebüsch springen oder doch besser auf einen Baum klettern? Was ist das überhaupt? Ein Raubtier oder „nur“ ein Wildschwein? Können Wildschweine klettern? Gibt es überhaupt Wildschweine in einem Stadtpark? Vielleicht ist ein Angriff doch die beste Verteidigung? Haien soll man ja auch auf die Schnauze schlagen. Ich bin zu jung zum Sterben! Als diese Gedanken immer abstruser werden, kommt schon die Erklärung: Doch nur eine Läuferin, die schnauft, als laufe sie gerade zwei Ultramarathons hintereinander. Die Arme wie eine – mit Verlaub – Verrückte um sich schlagend. Und die Farbe des Gesichts mit tomatenrot zu beschrieben, wäre sehr geschmeichelt. Eigentlich wollte ich die arme Frau gerne fragen, ob ich lieber einen Notarzt rufen sollte oder ihr zumindest zu einer Verschnaufpause raten, doch sie war zu schnell vorbeigezogen. Ich hoffe, es geht ihr gut. Vor allem, da uns eine kleine, aber sehr bedeutende Sache eint: der Laufsport.  

    Ehrlich gesagt, möchte ich nicht wissen, wie ich selbst bei dem ein oder anderen Lauf aussehe. Doch mit Sicherheit kann ich sagen: Laufen ist meine Leidenschaft. Dazu bin ich über den Fußball gekommen, wollte mich in der Saisonpause fit halten. Irgendwann merkte ich dann, dass das ja auch ganz lustig sein kann, und lief weiter, neben Fußballtraining und Spielen am Wochenende. Folglich war ich jedoch völlig  ausgepowert, weshalb ich beim Fußball nicht mehr die Leistungen bringen konnte, die ich von mir selbst erwartete. Der Körper braucht schließlich auch etwas Regeneration und Abwechslung in der Belastung, zum Beispiel durch Schwimmen oder Krafttraining. So konnte das nicht weitergehen, also musste nach dem Abitur eine Grundsatzentscheidung her: Wo bin ich besser? Was ist neben Studium, Nebenjob und Zeitung im Wochenplan vereinbar? Die Entscheidung fiel dann schnell auf den Laufsport, wo ich wahrscheinlich doch ein größeres Leistungspotenzial besitze.

    Laufen kann auch Spaß machen. Foto: Sportograf

    Oft wird mir die Frage gestellt, was denn so begeisternd am Laufen sei. Dem Sport wird oft eine gewisse Stumpfheit nachgesagt. Ich kann teilweise verstehen, dass viele das bloße Laufen als öde empfinden. Es gibt keine schnellen Ballwechsel, das Wettkampfgefühl ist meistens weniger vorhanden. Und vor allem ist es mehr ein Einzelsport. Du kannst zwar in einer Gruppe laufen, aber das ist immer noch etwas anderes, als zum Beispiel in einer Mannschaft Volleyball zu spielen. Ich glaube, die wichtigste Voraussetzung zum Laufen ist, irgendwie gerne alleine zu sein. Wer das nicht kann, wird dauerhaft keinen Gefallen am Laufen finden.  

    Um aber auf die Frage zurückzukommen: Man bekommt den Kopf frei. Wenn ich laufe, denke ich an rein gar nichts. Vielleicht kommt mir das ein oder andere mal ein schöner Gedanke, doch überwiegend ist dort nichts. Der Schriftsteller Haruki Murakami hat diese Gedanken beim Laufen mal mit Wolken am Himmel verglichen: Wolken in verschiedenen Größen, die kommen und vorüberziehen, aber der Himmel bleibt immer gleich. Ich finde es äußerst selbstheilend, jeden Schritt zu hören und dem leichten Wind zu lauschen, wie er langsam an mir vorbeirauscht. Zu spüren, wie mit jedem Kilometer mein Puls höher wird und ich nach jedem weiteren Kilometer versuche, mehr Luft einzuatmen. Deshalb höre ich bei meinen Laufeinheiten meistens auch keine Musik oder Podcasts. In den Momenten möchte ich bei mir sein, eine etwas andere Art der Meditation.  

    Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Dieser Sport bedeutet für mich irgendwie eine innere Erfüllung. Laufen ist für mich die wahrhaftigste Form der Bewegung, und ich bilde mir ein, von Natur aus eher der Bewegungstyp zu sein. Jedenfalls soll ich schon früh aus dem Kinderwagen geflüchtet sein. Das merke ich auch im Alltag: Wenn zu lange Stillstand ist, ich beispielsweise am Schreibtisch gebunden bin oder mit dem Auto viel zu lange im Stau stehe, dann werde ich innerlich unruhig. Dieses Gefühl werden wohl alle ab einem bestimmten Zeitpunkt spüren, bei manchen ist die „Zündschnur“ jedoch schneller abgebrannt.  

    Irgendwie bewundere ich die Menschen, die gefühlt zehn Stunden am Stück konzentriert ihrer sitzenden Tätigkeit nachgehen. Ich kann das jedenfalls nicht, weshalb ich meine täglichen Bewegungseinheiten dringend brauche. Kommen diese zu kurz, merke ich das sofort. Ich bekomme Kopfschmerzen, ein ungutes Gefühl im Magen, meine Gedanken tanzen Breakdance und ich habe sehr schnell ein schlechtes Selbstwertgefühl. Wer mich zu einem Urlaub zwingt, bei dem ich zu lange an einem Ort gebunden bin, kann mich nicht glücklich machen. Acht Stunden am Strand zu liegen bedeuten für mich die reinste Qual. Und da ist Laufen für mich die beste Medizin. Das soll nicht heißen, dass ich jeden Tag laufe. Wenn Verletzungen mich nicht gerade hemmen, komme ich auf ungefähr vier bis fünf Läufe in der Woche. Daneben gehe ich viel spazieren, mache laufspezifisches Krafttraining, zwinge mich ab und zu ins Wasser zum Schwimmen, fahre mit dem Rad oder trete selten mal gegen einen Ball. Doch bei und nach dem Laufen bin ich am glücklichsten.  

    Mittlerweile habe ich den Tick entwickelt, alle anderen Läufer*innen irgendwie zu analysieren. Wie bewegt die Person ihre Arme? Rollt sie eher mit dem Vorderfuß oder der Ferse ab? Atmet sie ruhig oder zu schnell? Ich bilde mir ein, der Laufstil sagt etwas über den Charakter eines Menschen aus. Manchmal ist es auch sehr unterhaltsam zu erraten, welche Musik die jeweilige Person hört. An einem leicht aggressiven und schnellen Schritt bilde ich mir ein, Eminem mit „Lose Yourself“ zu sehen. Schwebt die Person mehr über dem Boden, hört sie wohl doch eher ABBA. Oft ordne ich den Leuten verschiedene Typen zu: die „Profis“, die „Gelegenheitsläufer“ und natürlich die „Ich hasse eigentlich laufen, habe aber gehört, das soll ganz gesund sein“. Glaubt mir, gerade letztere erkennt man schon am Gesichtsausdruck. 

    Ohne Frage: Uns Laufsport-Begeisterte kann man manchmal verfluchen. Wir sind das personifizierte schlechte Gewissen, das anderen mal wieder die sportlichen Vorsätze vorhält. Kann man nicht einmal im Park ruhig in eine fettige Süßspeise beißen, ohne dass der laufende Vorwurf einem entgegengehastet kommt, die reinste sportliche Disziplin ausstrahlend? Dazu kommt, dass wir oft sehr eigen sind. Wer es mit den Zielen ernst meint, lässt schon mal die ein oder andere Party sausen, da man sich auf den sonntäglichen Long Run vorbereiten muss. Zahlen haben eine große Bedeutung, jede Sekunde zählt. Echte Läufer*innen sind unermüdlich und laufen meist bei Wind und Wetter. Wir haben unsere ganz eigenen Essgewohnheiten und geben viel zu viel Geld für diesen Sport aus. Und dann soll es auch noch Menschen geben, die ernsthaft über das Laufen schreiben – die sind schon längst nicht mehr zu retten. 

    Nun war für mich der vergangene Februar ein reinster Horror. Gerade in der Klausuren- und Hausarbeitsphase musste ich verletzungsbedingt eine kleine Zwangspause beim Laufen einlegen, die Schienbeinkante zwickt(e). In Summe hat mich das ungefähr drei Wochen gekostet. Da ich mitten in der Vorbereitung für den nächsten Halbmarathon stecke, ist das besonders hart. Vor allem in der ersten Woche konnte ich deshalb nur an das Laufen denken. In Prinzip hatte der Sport also genau den gegenteiligen Effekt: Lenkt er mich normalerweise vom Alltag in positiver Art und Weise ab, war es diesmal eine eher negative Ablenkung. In der Woche habe ich gefühlt nichts zustande gebracht und bin mit meiner Hausarbeit gefährlich in Verzug geraten.

    Rückblickend empfinde ich diese Zeit aber als durchaus lehrreich. Mir wurde gezeigt, wie viel mir der Sport eigentlich bedeutet. Wenn ich mal nicht so motiviert sein sollte, kann ich immer daran zurückdenken, wie ich mich ohne das Laufen gefühlt habe. Vor allem empfinde ich mehr Dankbarkeit für das, was ich tue. Dankbarkeit dafür, dass ich mich überhaupt bewegen kann und grundsätzlich ein gesunder Mensch bin. Eine neue Bestzeit beim Halbmarathon ist zwar eher unwahrscheinlich, aber man kann sich ja nicht nur auf der Überholspur bewegen. Das Leben bietet genug Routen, die uns irgendwo hinführen.   

    Diese Kolumne soll kein Aufruf zum Laufen sein. Zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen ist es mir herzlich egal, ob ihr wöchentlich ein paar Kilometer abspult oder nicht. Das ist jedem selbst überlassen, nicht alle sind zum Laufen geboren. Der eine findet sein Glück an der Langhantel, die andere im Schwimmbecken. Hauptsache, man macht das, was Freude in den Alltag bringt. Dann hat man sehr viel gewonnen. Ich kann nur sagen, was dieser Sport für mich bedeutet. Laufen ist für mich die beste Medizin. Wenn ich laufe, dann bin ich. 

     

    Titelbild: Pixabay

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