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  • Literatur in Zeiten der Krise

    Die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse setzte ein Zeichen für die Kraft der Literatur und würdigte zum 21. Mal Werke in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung.

    Die feierliche Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse zählt traditionell zu den Höhepunkten am ersten Messetag in der Glashalle. Zum 21. Mal wurde zum Auftakt der Messe am 27. März 2025 die renommierte Auszeichnung vergeben. 

    Seit 2005 entscheidet eine siebenköpfige Jury jährlich darüber, welche*r der 15 Nominierten aus den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung den Leipziger Buchpreis und damit ein Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro erhält. Die Jury, bestehend aus Literaturkritiker*innen und Journalist*innen und wird jeweils für drei Jahre berufen. Dieses Jahr wählte sie aus insgesamt 506 Einreichungen deutschsprachiger Neuerscheinungen die Gewinner*innen. 

    Die Bedeutung von Literatur 

    „Das Spektrum der nominierten Werke wirkt in diesem Jahr augenöffnend. Die Jury spricht von einer ‚Gegenwartsausgrabung‘ “. Mit diesen Worten eröffnet Astrid Böhmisch, Direktorin der Leipziger Buchmesse, die feierliche Zeremonie. Wie vielschichtig die literarischen Entdeckungen sind, unterstrich auch Katrin Schumacher, Vorsitzende der Jury: „Es ist eine große, sehr besondere Reise […] um am Ende Werke herauszuheben, die ihren jeweils eigenen ästhetischen Raum öffnen, die etwas wollen und etwas können und uns dadurch überzeugt haben.“ 

    Neben Verleger*innen, Autor*innen und zahlreichen Messebesucher*innen fanden sich auch prominente Persönlichkeiten aus Kultur und Politik im Publikum ein. Darunter waren Skadi Jennicke, Kulturbürgermeisterin der Stadt Leipzig, Manuel Frick, Kulturminister des Fürstentums Liechtenstein sowie die Staatsministerin Claudia Roth. 

    In ihrer eindringlichen Rede, hob Katrin Schumacher die verbindende Kraft der Literatur und deren subversives Potenzial in Zeiten der Krise hervor: „Was sonst oft ein einsames Leseereignis ist, wird in diesem Moment maximal sozial.“ Im Anschluss daran wurde die feierliche Preisverleihung eröffnet, beginnend mit der Kategorie „Übersetzung“. 

    Die Stimmen der Überlebenden 

    Gewinner dieser Kategorie ist der aus dem Schwarzwald stammende Autor Thomas Weiler mit der Übersetzung des belarusischen Werkes „Feuerdörfer. Wehrmachtsverbrechen in Belarus – Zeitzeugen berichten“ von Ales Adamowitsch, Janka Bryl und Uladsimir Kalesnik. Das Buch gibt Überlebenden von Wehrmachtsverbrechen in Belarus eine Stimme: Zwischen 1970 und 1973 sammelten Ales Adamowitsch, Janka Bryl und Uladsimir Kalesnik ihre Berichte aus den sogenannten „Feuerdörfern“. Die auf Tonband festgehaltenen Erinnerungen wurden verschriftlicht, literarisch aufbereitet und historisch eingeordnet. Entstanden ist ein vielschichtiges Abbild des menschlichen Leids, das verdrängte Aspekte deutscher Geschichte beleuchtet und angesichts heutiger Konflikte erschreckend aktuell wirkt. 

    Die Jury begründet ihre Entscheidung für Thomas Weilers Übersetzung damit, dass sie die sprachliche Eigenart und emotionale Wucht des Originals bewahrt. Mit großer Sorgfalt und Einfühlungsvermögen gibt er den Stimmen der Überlebenden ihren Raum und erinnert auf eindrucksvolle Weise an ihr Leid. 

    Über die Macht der Sprache 

    Weiter ging es mit der Preisverleihung in der Kategorie „Sachbuch/Essayistik“. Im Zentrum dieser Auszeichnung stand in diesem Jahr das Erinnern an politische Gefangene in Russland und an den anhaltenden Krieg in der Ukraine. Ein Werk, das diese Realität eindrucksvoll aufgreift, stammt von der in Juschno-Sachalinsk geborenen Autorin, Grafikerin und Übersetzerin Irina Rastorgueva. Sie wurde ausgezeichnet für ihr Buch „Pop-up-Propaganda. Epikrise der russischen Selbstvergiftung“. In diesem analysiert Rastorgueva, wie Propaganda, Sprachmanipulation und staatliche Repression in Russland heute wirken und wie sie tief in der sowjetischen Vergangenheit verwurzelt sind. Gestützt auf persönlichen Erfahrungen, Medienanalysen und Studien zeigt sie, wie sich autoritäre Kontrolle und Verschwörungsnarrative in Sprache und Gesellschaft entwickeln. 

    Die Jury lobt, wie Irina Rastorgueva mit „bitterem Humor“ aufzeigt, wie systematische Desinformation und staatlich gelenkte Narrative die russische Wirklichkeit verzerren. Mit analytischer Genauigkeit und konkreten Handlungstipps macht sie die Mechanismen der Propaganda sichtbar und bietet Ansätze für zivilen Widerstand. Das gebe Hoffnung und schafft eine Vorstellung davon, wie Widerstand in Russland funktionieren könnte. 

    Generationskampf im Wattenmeer 

    Zum Abschluss wurde der Preis in der Kategorie „Belletristik“ an Kristine Bilkau für ihren Roman „Halbinsel“ verliehen. Darin verstrickt sie große gesellschaftliche Themen wie Krieg, Brexit und die Klimakrise bilden den Hintergrund einer persönlichen Geschichte: Eine Mutter nimmt ihre erwachsene Tochter wieder bei sich auf einer Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer auf. Die junge Frau war zuvor aus Erschöpfung zusammengebrochen. Im gemeinsamen Alltag prallen unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinander. Es entspinnt sich ein leiser, aber eindringlicher Generationenkonflikt über Erwartungen, Verantwortung und das Ringen um gegenseitiges Verständnis. 

    Die Jury würdigt „Halbinsel“ als einen tiefgehenden Roman, der unter der Oberfläche einer Familiengeschichte komplexe Fragen zu emotionalen Altlasten, Rollenbildern und gesellschaftlicher Verantwortung verhandele. Mit großer Präzision erzähle Bilkau „über eine vielfache Entfremdung, über Einsamkeit des Alterns und die Hoffnung auf Versöhnung“. 

     

    Titelbild: Antonia Wengner

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