Karabiner-Krise
Eine kleine Geschichtslektion von Kolumnistin Maritta an all die Dudes, die Trends einfach ungefragt mitmachen und gar nicht so genau wissen, was ihr Karabiner eigentlich bedeutet.
Als ich letztens die Albi besucht habe, dachte ich kurz, ich stehe in einer Boulderhalle – nicht nur wegen der vielen multifunktionalen Klamotten und Salomon-Wanderschuhe, sondern auch wegen des kleinen silbernen Häkchens, welches an jedem zweiten Hosenbund baumelt: dem Karabiner. Heute genutzt als stylisches Accessoire für Schlüsselbund, Flaschenöffner und Snoopy-Figur. Was viele allerdings nicht wissen: Er ist auch ein Stück queerer Geschichte.
Im Zweiten Weltkrieg, als Frauen in Berufen arbeiteten, die sonst Männern vorbehalten waren, diente der Karabiner als Code für queere Frauen*. Während er zuvor von Männern in Handwerksberufen getragen wurde, nutzten ihn nun Frauen*, um sich unauffällig als queer zu erkennen zu geben. Diese Diskretion war nötig, da sie sich sonst in Gefahr hätten bringen können. Je nachdem, auf welcher Seite der Karabiner getragen wurde, drückte er aus, ob man eher passiv oder aktiv beim Geschlechtsverkehr ist.
Solche subtilen Zeichen queerer Identität sind Teil einer Praxis namens „Flagging“. Dazu gehört etwa auch der bekannte Ein-Ohrring-Code: Ein Ohrring rechts galt früher (und manchmal heute noch) als Zeichen für queere Männer*. Der Spruch „links ist cool, rechts ist schwul“ ist ein übriggebliebenes Echo dieser Zeit und spukt manchmal noch immer in den Köpfen mancher unwoken Piercer*innen. Auch der „Hanky Code“, bei dem verschiedenfarbige Bandanas bestimmte Vorlieben und Kinks ausdrücken, oder das Tragen von grünen Nelken, zählen zu dieser queeren Zeichensprache.
Problematisch wird es, wenn solche Zeichen ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt und als trendiges Accessoire verkauft werden. Denn damit geht nicht nur ein Symbol verloren, sondern ein Stück queerer Geschichte. Und nein – das heißt nicht, dass bestimmte Menschen etwas nicht tragen dürfen. Mode ist für alle da. Aber ein wenig Wissen darüber, woher ein Trend kommt, schadet nicht – im Gegenteil.
Deshalb richtet sich dieser Text vor allem an euch, liebe Cis-Typen mit Tattoo-Sleeve, Mullet und Karabiner an der Carhartt-Hose. Wenn ihr euch mit der Geschichte der Styles auseinandersetzt, denen ihr folgt, wird aus bloßem Trend ein bewusstes Statement. Und dann ist es auch völlig okay, dass ihr gerade die Essentials aus „Lesbian Fashion 101“ rockt.
Fotos: privat


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