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  • Die passive Aggressivität der Deutschen

    Warnung: Kleiner Rage incoming. Unsere Kolumnistin Annika muss was loswerden. Darüber, wie passiv aggressiv hier bei uns miteinander kommuniziert wird. Und darüber, dass man das auch sein lassen kann.

    „Man könnte auch mal etwas Platz machen“. Das bekommt man öfter mal zu hören, wenn man sich gerade in der Regionalbahn auf dem Weg durch die zahlreichen mittelkleinen Städte Deutschlands befindet. Oder eingequetscht im Bus früh direkt nach dem Aufstehen. Meist kommt die Aussage von einer älteren Person aus der Ecke, mit grimmigem Gesichtsausdruck. Aber der Blick geht links neben dem eigenen Gesicht vorbei. Es ist nicht mal direkt an einen gerichtet. Es ist eher eine Art zu sich selbst grummeln, aber in einer Lautstärke, in der man es auf gar keinen Fall überhören kann. Man will schließlich sicher gehen, dass wir uns peinlich berührt fühlen und beschämt auf den Boden schauen. Meist passiert das dann auch. Vielleicht entweicht einem auch ein genervtes Aufstöhnen, wenn man keine Morning Person ist, aber das war es dann eigentlich auch meist schon.  

    Das denkt sich Annika, wenn sie mal wieder passiv aggressiv angemotzt wird. Foto: privat

    Diese passiv aggressiven Anranzer kann man sich wirklich überall abholen. Vor ein paar Wochen beim Bäcker antwortete ein alter Mann mit Anzugjacke auf die Frage, ob ich kurz vor könne, weil meine Bahn gleich kommen würde, mit einem klaren Nein. Schließlich habe er auch einen Job und könne nichts dafür, wenn ich es nicht schaffe, pünktlich aufzustehen. Und überhaupt diese jungen Leute, die sich herausnehmen, einen älteren Mann so etwas zu fragen. Wie respektlos das doch wäre. Und dass ich erstmal Guten Morgen sagen solle, bevor ich überhaupt irgendetwas anderes sage. Diese Hasstirade gab er von sich, ohne mich dabei eines einzigen Blickes zu würdigen. „Dann muss man eben früher aufstehen“. Wer soll denn dieser „man“ sein? Wenn du mich meinst, dann guck mich an und sag es mir ins Gesicht.  

    Ich habe noch nie etwas in einer solchen Situation gesagt, aber in dem Moment hatte er mich auf dem falschen Fuß erwischt. „Hören Sie, ich habe eine ganz normale Frage gestellt, das ist kein Grund so respektlos mit mir umzugehen. Und schauen Sie mir gefälligst ins Gesicht, wenn sie mit mir reden.“ Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, möchte ich meinem Ich in der Situation wirklich mal auf die Schulter klopfen. In dem Moment aber klopft mein Herz ganz schnell und meine Worte überschlagen sich fast. Er würdigt mich keines weiteren Blickes und grummelt in seinen Bart hinein: „Eine Frechheit, so mit einem Mann zu reden“. Perfekt, auch noch ein Sexist. Ich habe nichts anderes erwartet. 

    Irgendwas in mir brennt durch. Jahrelang wird man hier in Deutschland passiv aggressiv angemacht und ich hab die Schnauze so gestrichen voll. Wenn was ist, sprich mich an. Und ansonsten lass es einfach sein. Oder braucht ihr noch eine Situation? Gar kein Problem, i got plenty of them. 8 Uhr früh, in der Arztpraxis. Die Ärztin kommt Nase schnaubend in den Raum und sagt in gedämpften Ton: „Entschuldigen Sie die Verspätung, ich bin sehr durch den Wind heute, super erkältet“. Ich drehe mich zu ihr um und sage mit einem verständnisvollen Lächeln: „Alles gut. Kein Problem.“ Aufgebraucht antwortet sie, dass überhaupt nichts „gut“ sei. Okay, okay, wenn man krank ist will man vielleicht noch mehr Verständnis, deswegen sage ich in meiner verständnisvollsten Stimme und wie ich es von Rettungssanitäter*innen kenne: Das tut mir sehr leid. Wie schlimm ist es von 1 bis 10. Sie guckt mich wütend an, senkt den Blick auf den Anamnesebogen, in dem unter Beruf „Journalistin“ steht und murmelt zu sich selbst: Ah, Journalistin, da ist die Empathielosigkeit ja kein Wunder. EXCUSE ME?  

    Ich sitz direkt vor dir, verdammt nochmal. Sag es mir doch einfach direkt ins Gesicht. Und gut ist. Ich habe auf jeden Fall genug von dieser passiven Aggressivität und habe mir vorgenommen: Wenn wieder einer etwas über mich sagt, wenn ich direkt vor der Person stehe, dann sag ich was zurück.  

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