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  • Wo geht’s nach Panama?

    Redakteurin Annika Franz war auf dem Highfield Festival, um sich das Awarenesskonzept näher anzuschauen. Aber schon auf dem Weg zum Interview wird sie ironischerweise selbst gecatcallt.

    Folgender Text ist ein subjektiver Erfahrungsbericht unserer Redakteurin Annika Franz. Die geschilderten Erlebnisse wurden von ihr persönlich so erlebt und wahrgenommen. (Anm. d. Red.) 

     “Ey, zeig Titten und wir spritzen!“ „Eher ungern“, denke ich mir, während ich mich stark schwitzend auf dem Weg zum Dixiklo befinde. Es ist Mitte August, die Sonne knallt und am Störmthaler See öffnen die Tore für das alljährliche Highfield-Festival. Mittlerweile sind es circa 35.000 Menschen, die sich drei Tage lang auf zwei großen Bühnen tummeln, um Künstler*innen aus dem Pop Rock- und Hip Hop-Bereich zu bejubeln.  Alternativ wird sich die Zeit auf dem Campingplatz vertrieben. Mit Trichtern, Flunkyball und Rage Cage ist es möglich, innerhalb kürzester Zeit mehrere Liter warmes Dosenbier in sich hineinzukippen. Bei Hitze und viel Promille fallen schnell sämtliche Hemmungen. Anders kann ich mir die nette Aufforderung der Gruppe oberkörperfreier Männer, meine Brüste zu entblößen, nicht erklären. Alle bewaffnet mit riesigen Wasserpistolen warten sie darauf, dass irgendeine weibliche Person ihrem Wunsch nachkommt. Einige unangenehm warme Minuten auf dem Dixi später laufe ich zurück zu meinem Camp und komme an einer „Kusshaltestelle“ vorbei. Ein Typ auf einem kaputten Campingstuhl hält ein Schild hoch: „1 Kuss für mich = 1 Bier für dich“ und rülpst extrem laut. „Na Bock?“, ruft er mir hinterher. Reflexartig schüttele ich lachend den Kopf. Warum ich gelacht habe, weiß ich selbst nicht so genau.  

    Awarenessarbeit auf dem Highfield-Festival  

    Im Sommer bin ich viel auf Festivals unterwegs, vor allem im elektronischen Musikbereich. Da passiert mir sowas eher selten. Kein Ort ist von Übergriffen befreit, das ist Fakt. Trotzdem wurde mir zumindest noch nie hinterhergerufen, dass ich „Titten zeigen“ soll. Kommt es zu Überschreitungen dieser oder anderer Art, gibt es auf vielen Festivals seit einigen Jahren Ansprechstellen, sogenannte Awarenessteams. Diese werden immer häufiger auf Musikveranstaltungen, um allen ein angenehmes Feiern zu garantieren. Laut der deutschen Agentur „Safe The Dance“ sind Sexismus, Gewalt, Rassismus und Diskriminierung immer noch erlebter Alltag auf Partys. Die Teams sollen als Ansprechpartner*innen fungieren, wenn man sich aus irgendeinem Grund beim Feiern nicht wohlfühlt. Der Begriff Awareness bedeutet übersetzt Bewusstsein oder Achtsamkeit. Für die Leipziger Initiative Awareness bedeutet das, „einen wertschätzenden und respektvollen Umgang miteinander zu haben, um diskriminierende Verhältnisse zu verhindern. Auch das Highfield hat seit 2017 eine derartige Awarenesstruktur: Das Panama-Team. Aber bevor ich es bis zu deren Zelt geschafft habe, wurde ich bereits mehrere Male gecatcalled oder dumm angemacht. Man, es nervt. Anstelle eines Interviews, könnte ich die Arbeit des Teams auch eigentlich gleich selbst mal in Anspruch nehmen.  

    Das Panama-Konzept 

    Von Weitem sehe ich schon das große gelbe Zelt mit der lilafarbenen Aufschrift: „Panama Safe Space“. Vor dem Zelt sitzen ein paar Menschen in lilafarbenen Shirts. Es gibt ein paar gemütliche Sitzmöglichkeiten, Wasserflaschen und vor allem: Schatten. „Viele Leute, die zu uns kommen, sind einfach überhitzt, überfordert und brauchen kurz Ruhe“, erzählt Ruth Lösser, die Pressebeauftragte des Panama-Teams. Aufgrund des sensiblen Themas war der Austausch einzig mit dem Presseteam möglich, nicht aber mit den Menschen vom Team selbst. Die Mitarbeitenden des Panama-Teams erkennt man an einem Sticker auf dem Shirt mit der Aufschrift: „Wo geht’s nach Panama?“. Mit dieser Frage kann jede Person auf dem Festival sofort Hilfe bekommen, wenn sie sich gerade nicht wohl fühlt. Von den 2.000 Angestellten auf dem Highfield seien laut Jonas Rohde, dem Kommunikationsleiter der FKP Scorpio Konzertagentur, so gut wie alle über das Konzept informiert. Egal ob Security, Gastro, Polizei, Sanis oder Festivaljobber*innen – alle mit Sticker können angesprochen werden. Die informieren dann wiederum das 22-köpfige Awarenessteam. Das ist laut Katja Wittenstein, der Marketingleiterin von FKP Scorpio, dieses Jahr das erste Mal beim Highfield dabei. Die Panama-Aktion selbst gibt es schon seit 2017, unter anderem auch noch beim Southside, Hurricane und dem Mera Lune Festival. Bei der Auswahl der Teammitglieder würde laut Jonas Rohde auf entsprechende Vorerfahrung geachtet, außerdem bekämen die Jobber*innen Briefings und Schulungen im Vor- und Nachhinein.  Inspiriert wurde das Panama-Projekt von dem „Ask for Angela“-Konzept aus Großbritannien, meint Wittenstein. Die Kampagne startete 2016 in England und soll Menschen auf Partys vor sexuellen Übergriffen schützen. Genau wie bei Panama. „Das Wort ist bei einem Brainstorming im Team entstanden. Inzwischen haben wir häufig die Rückmeldung bekommen, das viele an die Geschichte „Wo geht’s nach Panama?“ von Janosch denken und es sich deshalb gut merken können“, meint Katja Wittenstein. Die Mitarbeiter*innen des Panama Teams vor Ort machen ihre Arbeit aus einer Überzeugung heraus. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie oft es vorkommen kann, dass andere meine Grenzen nicht respektieren. Mir ist es wichtig, dabei mitzuwirken, dass das Bewusstsein für sensiblen Umgang miteinander auf Festivals geschärft wird“, meint Adrian, der Panama-Tagesleitung auf dem Highfield 2023 ist.  

    Und was meinen die Leute vor Ort?  

    Laura (27) aus Dresden sorgt mit kostenlosen Periodenprodukten für ein bisschen Awareness auf dem Campingplatz.

    Bei einem kleinen Sprung in den Störmthaler See unterhalte ich mich am Strand mit ein paar Menschen über die Panama-Aktion. Zwei Frauen, die sich oberkörperfrei sonnen, erzählen, dass sie die Idee „extrem cool finden und es auch nutzen würden“. Sie hätten auch schon den einen oder anderen Kommentar für ihre Nacktheit bekommen und fänden das „ziemlich scheiße“. „Vielleicht kann die Person ja dann auch einfach mal für so einen Kommentar rausgeschmissen werden.“ Andere Menschen die ich frage, haben von dem Konzept noch nie etwas gehört. Laut der Pressestelle des Panamateams würde das Awarenesskonzept über alle Veranstaltungskanäle, wie Social Media, die Website, Festival App sowie über Plakate vor Ort und die Festivalleinwände kommuniziert. „Aus unseren Gästeumfragen wissen wir, dass über 90 Prozent der Gäste das Panama-Konzept kennen“, sagt Katja Wittenstein. Trotzdem sind es 35.000 Menschen auf dem Festival, das Gelände ist groß und die Wege lang.  So erzählt eine Festivalbesucherin auf dem regulären Campingplatz, dass im Duschbereich des regulären Campingplatzes jemand Kameras angebracht hätte, um Frauen filmen zu können. Als das entdeckt wurde, sei wohl umgehend das Panama-Team kontaktiert worden, das dann laut der Besucherin nach einer längeren Wartezeit zur Hilfe gekommen sei. Die Pressestelle hat von diesem Vorfall noch nichts gehört, aber möchte dem Sachverhalt nachgehen.  

    „Das war doch ein Kompliment“ 

    Abends mache ich mich fertig, um auf das Gelände zu gehen. Wir haben unsere Bluetooth Box an und dancen auf dem Campingplatzweg. Eine Gruppe Männer kommt vorbei und bleibt stehen. Nach einer leicht angetrunkenen Konversation, bei der ich auch gar nicht mehr so richtig weiß, worum es jetzt eigentlich ging, gehen einige von ihnen weiter. Der eine Typ mit Propellerhut dreht sich nochmal und sagt zu mir und meiner Freundin: „Ey, echt schöne Brüste habt ihr“. Ich platze innerlich fast vor Wut, weil ich einfach keinen Bock mehr habe. Ich bin es so leid. Fast wollte ich hier hereinschreiben, was ich anhatte. Als würde das irgendeinen Unterschied machen. Ich hätte nackt vor ihm stehen können. „Scheiße ey, bitte sag das nicht einfach so zu ner Frau, das ist nicht cool“, presse ich hervor. Sein Kumpel guckt mich verständnislos an: „Hä, das war doch ein Kompliment?“. Ich überlege ein Fass aufzumachen. Darüber, dass ich keine ungefragten Kommentare über meinen Körper hören will. Ich lasse es dann aber sein, um noch pünktlich zu KIZ zu kommen.  

    Das Berliner Rap Trio ist auch nicht gerade für seine respektvollen und liebevollen Texte bekannt. Spaß gemacht hat das Konzert aber trotzdem. Die Band benutzt die Texte eher, um die Aufmerksamkeit auf das zu legen, was schief läuft. Trotzdem braucht man bei einigen Zeilen ein dickes Fell. Sie sind nicht die einzigen, die gesellschaftliche Machtverhältnisse anprangern. Adam Angst, Disarstar, Team Scheisse, Turbostaat: Die Liste mit den Namen der systemkritischen Künstler*innen ist lang auf dem Highfield-Festival. Jede dritte Person trägt ein Shirt mit Antifa-Logo, viele haben sich ein durchgestrichenes Hakenkreuz auf dem Arm gemalt. „No Sexism, Racism, Homophobia“ steht auf einem Oberteil. Vor den Stages wird viel gemosht, aber trotzdem aufeinander aufgepasst und den Menschen, die stolpern oder fallen, direkt wieder hochgeholfen. „Das ist doch klar, wir müssen doch schließlich aufeinander aufpassen“, meint Jannik (24) zu mir, der zum ersten Mal beim Highfield Festival ist. Er findet FLINTA Moshpits „richtig nice“, weil da Frauen endlich mal ungestört feiern könnten. „Muss schon stressig sein, die ganze Zeit von irgendwelchen oberkörperfreien, verschwitzten Typen umgeschubst zu werden.“  Catcalling, dumme Sprüche und heimliches Filmen auf dem Campingplatz, dafür aber kritischer Umgang mit Machtverhältnissen auf den Stages und die Panama-Menschen vor Ort, die wichtige Arbeit leisten. Passt das zusammen?  

    Natürlich erzähle ich hier nur von meinen Einzelerfahrungen. Einzelfälle sind das trotzdem nicht. Bei einem Workshop der Initiative Awareness hier in Leipzig meinte einmal die kursleitende Person: „Du kannst zehn Awareness-Teams auf eine Party stellen. Wenn die Leute vor Ort keinen Bock haben, aufeinander zu achten, dann wird auch die Party dementsprechend aussehen“.  

    Es sind die Gäst*innen, die die Party aware machen, nicht das Team.  

    Kann ich nur unterschreiben.  

     

    Bilder: Annika Franz

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