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  • Selbstbestimmung, Fremdbestimmung

    Kolumnist Eliah schaut mit gemischten Gefühle auf das neue Selbstbestimmungsgesetz.

    Am 12. April hat der Bundestag endlich das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Bedeutet: Ab August 2024 kann man sich beim Standesamt anmelden, um nach drei Monaten Wartezeit seinen Namen und Geschlechtseintrag zu ändern, einfach so und ohne weitere Voraussetzungen. Eine große Erleichterung für trans und nichtbinäre Menschen – also auch für mich? Leider nicht. Leider fällt es mir schwer, mich mit meiner Community zu freuen, ich fühle mich vor allem bitter – weil ich immer noch auf meine Änderung über das alte Transsexuellengesetz warte. 

    Schon in meiner allerersten luhze-Kolumne ging es um mein Namensproblem. Also das Ausweis-Name-versus-richtiger-Name-Problem, das die meisten trans Menschen (und auch manche andere) kennen. Damals schrieb ich sehr optimistisch, dass das angekündigte Selbstbestimmungsgesetz (SBG) bald kommen würde, damals glaubte ich auch daran. Danach wurde es jedoch immer wieder verschoben. Es wurden ständig neue Einwände gefunden, die Sache artete zum Kulturkampf aus. Ich verfolgte jede neue Nachricht dazu, um abzuschätzen, wann es denn endlich so weit sein würde. Für mich gab es eine Deadline: Bis zu meinem Abschluss, voraussichtlich im September 2024, wollte ich meinen amtlichen Namen geändert haben, um nicht nochmal Umzug und Jobsuche mit falschem Namen auf dem Ausweis durchmachen zu müssen. (Erklär mal zwanzig neuen Personen, warum du einen weiblichen Namen auf dem Ausweis hast, aber eindeutig männlich aussiehst und auch nicht mit diesem Ausweis-Namen angesprochen werden willst.) 

    Als es nicht mehr so aussah, als würde das SBG rechtzeitig kommen, stellte ich den Antrag auf Namens- und Personenstandsänderung über das Transsexuellengesetz (TSG), also den Vorgänger des SBG. Das bedeutete: zwei psychologische Gutachten, um meine echte Transsexualität zu bescheinigen, ein Gerichtsverfahren, und vor allem Kosten von 1861 Euro. Eintausendachthunderteinundsechzig. Fast vier Monate Minijob-Lohn. 

    Foto: privat

    Mir wurde gesagt, dass es in Leipzig drei bis sechs Monate dauern würde. Ich bekam dann auch recht schnell Termine für die Gutachten-Gespräche, in denen festgestellt werden sollte, dass ich wirklich transsexuell bin und nicht nur seit Jahren zum Spaß so tue. Die Gespräche waren in Ordnung – anders als viele andere, die von unangenehmen und invasiven Fragen ihrer Gutachter*innen berichten, hatte ich da Glück. Dann musste ich nur noch auf das Gutachten warten. Und warten. Und warten. 

    Es ist April, das SBG hat es durch den Bundestag geschafft, und ich habe immer noch nicht beide Gutachten erhalten. Ich habe also auch noch keinen Gerichtstermin, um die Namens- und Personenstandsänderung abzuschließen. Wann mein Verfahren vorbei sein wird, weiß ich nicht. Im Endeffekt habe ich wahrscheinlich 1861 (eintausend, achthundert, sechzig und einen) Euro dafür bezahlt, die Namensänderung maximal ein paar Monate früher zu schaffen als über das SBG. Und für die zweifelhafte Ehre, einer der letzten Transsexuellen der alten Generation zu sein: Wir alten TSG-Hasen. Die Jugend von heute hat es ja so einfach mit ihren drei Monaten am Standesamt, zu meiner Zeit mussten wir noch demütigende Gespräche über uns ergehen lassen, 1861 Euro zahlen und ein Jahr auf die Änderung warten. Die Zeit und das Geld bekommen wir nicht zurück. Das Leid, das das alte TSG ausgelöst hat, wird durch das neue Gesetz nicht rückgängig gemacht. 

    Nein. Ich will mich trotzdem freuen für die anderen, die nächsten Generationen, dass sie dieses Verfahren nicht mehr über sich ergehen lassen müssen, und irgendwann werde ich mich freuen können. Jetzt überwiegt die Bitterkeit und vor allem das Gefühl der Ohnmacht: Weil andere Menschen (Gutachter*innen, Gericht, Gesetzgeber) die Kontrolle über derart wichtige Aspekte meines Lebens in der Hand halten. Ich kann nichts tun, außer vielleicht anrufen und E-Mails schreiben, nachfragen und betteln, was sich entwürdigend anfühlt. 

    Es geht nicht um Diskriminierung im Einzelnen, es geht auch nicht um die Böswilligkeit einzelner Beamter oder Psycholog*innen, es geht um Machtverteilung. Auf der einen Seite sitze ich mit meiner Identität und meiner Lebensplanung, auf der anderen Seite sitzen Bürokrat*innen, die gerade aus irgendeinem Grund keine Zeit oder Lust haben, den fünfzigsten Bericht der Woche fertigzustellen. Dieser wird nun aber leider über mein Leben entscheiden. Wenn ich den Gedanken daran richtig zulasse, wird mir schwindelig, ich habe das Gefühl zu fallen: Ohn-Macht. Machtlosigkeit. 

    Meine Transition hat mir gezeigt, wie viel und wie wenig Macht ich über mein Leben habe. Einerseits: Ich bin in der Lage, mein Leben grundsätzlich, tiefgreifend zu verändern, wie ich es will. Andererseits: Das letzte Wort haben Bürokratie, Institutionen und Staat. Am Ende gehört mein Leben der Bundesrepublik Deutschland, bevor es mir selbst gehört. Und wenn diese meint, Entscheidungen über meinen Namen, mein Geschlecht und meinen Körper fremdbestimmen zu müssen, kann ich dagegen im Einzelnen wenig ausrichten. 

    Dieser Text ist persönlich, aber das Problem ist kein persönliches. Das Selbstbestimmungsgesetz wurde nicht im Persönlichen gewonnen, sondern durch den jahrzehntelangen politischen Einsatz von Trans-Aktivist*innen. Das neue Gesetz bedeutet ein Stück weniger Abhängigkeit von ungleicher Machtverteilung, ein Stück mehr persönliche Rechte. Das ist auf jeden Fall ein Anlass zum Feiern. Doch während die deutsche Trans-Community Rechte gewonnen hat, sind die Selbstbestimmungs-Rechte von anderen Gruppen, in anderen Ländern wie in Deutschland, weiterhin begrenzt und werden teilweise zur Zeit weiter beschränkt. 

    Denn Selbstbestimmung ist nicht nur ein Trans-Problem: Meine Machtlosigkeit ist im Grunde dieselbe wie die aller, deren Würde und Menschlichkeit von Bürokratie und/oder Staatsmacht eingeschränkt werden. Alle, die mit der Krankenkasse um ihre Behandlung kämpfen müssen; alle, die von Visa-Willkür abhängig sind; alle, die zum Kriegseinsatz gezwungen werden; alle, die auf Sozialleistungen angewiesen sind; alle, die eine Abtreibung brauchen; alle, denen Selbstbestimmung verwehrt wird, weil sie Frauen sind – uns alle eint, dass über unsere Leben und Körper gegen unseren Willen fremdbestimmt wird. Die Machtlosigkeit, die ich selbst erlebt habe, bewegt mich zur Solidarität mit allen, die Ähnliches und oft noch Schlimmeres erleben müssen. Ich will mich nicht auf den Rechten ausruhen, die die deutsche Trans-Community erkämpft hat. Ich will mich dafür einsetzen, dass alle Menschen selbstbestimmt leben können. 

     

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