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  • Liebe Grüße an Clara

    Auf einer Demo mitmarschieren? Ein Instagram-Reel über die Orgasm Gap reposten? Nackt durch die Straßen rennen und eine sexistische Werbetafel anspucken? Wie geht eigentlich 8. März heute?

    Vorgestern war feministischer Kampftag. In mehreren Städten Deutschlands und international sind Demonstrationen angemeldet gewesen. In Berlin waren geschätzt bis zu 10.000 Menschen für die Verbesserung der Lebensbedingungen von FLINTA* auf der Straße. In Leipzig sollen es mehr als 2.000 Personen, verteilt auf verschiedene Veranstaltungen gewesen sein. 

    Ich habe in diesem Jahr im Vorfeld mehr denn je gehadert mit der Frage danach, was für mich der richtige Umgang mit dem feministischen Kampftag ist. Wem nützen dieser Aktionstag und die dranhängenden Strapazen überhaupt? Profitieren FLINTA* davon? Verändert sich etwas? Oder bewirkt das eintägige Spektakel nur, dass Männer in Deutschland sich an den übrigen 364 oder 365 – in Schaltjahren wie diesem – besser fühlen, weil sie am 8. März einmal auf der Demo mitgelaufen sind oder ausnahmsweise aus eigenem Antrieb den Abwasch im geteilten Haushalt gemacht haben? 

    Bisher habe ich es so erlebt: Feministische Zusammenschlüsse schöpfen zu diesem Anlass aus ihren begrenzten Kapazitäten, formen eigens zum Anlass Kollaborationen, beantragen im Vorfeld Gelder oder sammeln Spenden. Bei der Demo drohen dann konkrete Aussagen oft vom Pop-Einheitsbrei geschluckt zu werden. Ist das effektiv? Und noch so angebracht wie zu Beginn der Bewegung? 

    Caro mit Beanie

    Demos dürfen nicht der Gipfel des Protests sein, finde ich. Foto: privat

    In diesem Jahr war ich am 8. März nicht in Leipzig, sondern in meiner Heimatstadt. In Mecklenburg-Vorpommern wie in Berlin ist der „Internationale Frauentag“ mittlerweile ein Feiertag. Das ist schön, denn so sind weiblich gelesene Personen zumindest sicher davor, von ihren Arbeitgeber*innen Blumen geschenkt zu bekommen. Andererseits entfällt dadurch die Möglichkeit, zu streiken. So hat alles, was veranstaltet wird automatisch weniger Protestcharakter. Auch die Demonstrationen. 

    „Männer Frauen, Hand in Hand – gegen Sexismus in jedem Land“ klingt wirklich imposant im Chor. Und ist billiger, abstrakter Konsens. Wie und woraus die Brücke in die geschlechtergerechte Utopie genau gebastelt werden soll, da ist man sich seltener einig. Dieser Umstand scheint komplett überzeichnet, wenn man sich als lauthals krakeelende, glitzernde und einstimmige Gruppe inszeniert. Und die anschließend notwendigen Diskussionen finden nicht konsequent genug statt. Mittlerweile empfinde ich diese Protestform vor allem als deprimierend. 

    Zu der Zeit, in der Clara Zetkin den Kampftag mitbegründete, ging es unter anderem ums Wahlrecht für Frauen. Also warum nicht nun ab in die Parlamente, deren Zugang sie und andere mutige Frauen uns mit ihrem Straßenprotest erkämpft haben? Dort könnten viele von uns sich selbst für die Verwirklichung unserer Forderungen engagieren: Sei es Sexkaufverbot, elternfreundliche Arbeitsstrukturen, Ausbau kostenfreier Frauenhaus-Strukturen, verschiedene Anpassungen im Gesundheitssystem oder Löhne, die ein gutes Leben für alle ermöglichen, ohne dabei die Ausbeutung an anderen Orten in Kauf nehmen zu müssen. Femizide, Vergewaltigung, Schwangerschaftsabbrüche. Wirklich dringende Belange könnten endlos weiter gelistet werden. 

    Trotzdem möchte ich Demos nicht ihre Daseinsberechtigung absprechen. Sie sollten bloß nicht in der Luft hängen bleiben. Es kann euphorisierend sein, eine Menschenmasse gebündelt zu sehen und Feministinnen* zu begegnen, die sich ganz anderen Themenschwerpunkten widmen als man selbst. Demonstrationen können super Orte sein, um sich für weitere Projekte und Aktionen zusammenzufinden. Und sie bleiben Privileg: Nicht in allen politischen Systemen ist es möglich, sicher Protest zu äußern. Ein Grund, um beispielsweise iranischen Stimmen hier Raum zu geben. 

    Schlussendlich war ich selbst demonstrieren und es war gut so. Trotzdem hoffe ich, dass mir und möglichst vielen anderen im nächsten Jahr etwas Besseres einfällt. Noch konkreter und treffsicherer. Sodass in Zukunft weniger Menschen in der Faust des Patriarchats zerquetscht werden. 

     

    Titelbild: Pixabay

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