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  • Nach dem Espresso Martini ist vor dem Kir Royal

    Nora Haddada hat mit „Nichts in den Pflanzen“ einen alkoholischen Roman über das Nicht-Schreiben geschrieben.

    Leila ist Drehbuchautorin in einer Schaffenskrise. Sie hat zwar schon fast einen großen Deal an der Angel, aber die Wörter wollen einfach nicht fließen. Den Drehbuchauftrag hat sie durch ihren Freund bekommen, ein liebevoller Kerl, der aber aufgrund seines Berufs als Regieassistent und Aufnahmeleiter selten zu Hause ist. Sie schlägt sich die Nächte in Bars um die Ohren, einerseits um, wie sie sich selbst sagt, Kontakte in der Szene zu pflegen. Andererseits um die Ideenlosigkeit mit Alkohol zu betäuben und dabei aufkeimende Ideen zu ertränken. Ihre Konkurrenz heuchelt Verständnis und ist eigentlich hämisch, jede*r von ihnen kocht ein eigenes Dramasüppchen. Aber die Symptome von Leilas Schreibblockade werden mit dem steigenden Druck der Auftraggeberin immer stärker. Fliegen belagern sie plötzlich, fressen erst ihren Laptop und dann ihre Wohnung auf. Sie sucht überall nach dem Auslöser, auch in den Pflanzen. Neben der Insektenplage ist Gewalt ein Ventil für Leila: der Mord an einer Katze, Schläge beim Liebesspiel, und auf einmal sind da Blutspuren im Schnee. Nur zweifelt sie selbst manchmal, ob es auch wirklich so geschehen ist.  

    Foto: privat

    Nora Haddada kreiert vor unseren Augen eine Situation, die wir eigentlich alle kennen: etwas nicht auf die Reihe bekommen, frustrieren und dann verdrängen, solange, bis es einen auffrisst. Die beschriebenen Szenen sind altbekannt und gerade deswegen findet man sich in diesem Roman so gut wieder. Es fühlt sich an, als würde man mit einer langjährigen Freundin durch die Nacht ziehen und am nächsten Morgen verkatert aufwachen. Man sitzt neben Leila an der Bar, als sie vom Barhocker fällt, man kann den bitter-süßen Espresso Martini schmecken und man kann das Kribbeln spüren, als sie mit einem Kerl flirtet, um ihr lädiertes Ego wieder aufzupolieren. Genauso ist man skeptisch gegenüber ihrer schärfsten Konkurrentin, die ihren Freund umgarnt und ein Drehbuchangebot nach dem anderen bekommt, aber man hält sie ebenfalls für weniger talentiert.  

    Aber dann bricht etwas in der Handlung die Vertrautheit. Leila vollbringt brutale Dinge, die man nicht wagen würde zu tun und die nur in Gedanken und Büchern ungestraft ihren Freiraum haben dürfen. Wie in der Literatur Charles Bukowskis ereignen sich Gewalttaten, eindringlich beschrieben, und ob von Leila gewollt oder ungewollt, geht es ihr danach besser, sie kann sogar wieder schreiben. Diese Passagen des Ausbruchs aus der Normalität machen das Buch nicht nur zu einem Gesellschaftsroman, der wie viele andere Geschichten die kreative Szene in einer Stadt portraitiert, sondern zugleich zu einem Raum für Gedanken, die man lieber nicht ausspricht. Diese Gedanken machen Leila unheimlich und, dem voyeuristischen Charakterzug des Menschen geschuldet, auch interessant. Sie ist auf einmal die beste Freundin mit einem dunklen Geheimnis. Diese Dinge, die man in der Realität nie tun würde, jagen Schauer über den Rücken und lassen fragen: Warum tut sie das? Um direkt danach zu denken: Und wenn es real war, was tut sie als Nächstes?  

    Nora Haddad hat mit ihrem Debütroman ein atmosphärisches Bild über die Anstrengungen der Selbstbehauptung und -findung in unserer heutigen Gesellschaft geschrieben. Trotz der Turbulenzen und Irrungen auf der sprichwörtlichen Achterbahn der Gefühle durch dieses Buch kommt es doch zu einem überraschend besänftigenden Ende, das wieder mal einen Gedankengang enthält, in dem man sich selbst erkennt: Vielleicht besteht Freiheit darin, sich nicht entscheiden zu müssen. 

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